# taz.de -- Konsequenzen aus dem Fall Gelbhaar: Grüne führen Rechtsstaat ein
> Keine Unschuldsvermutung, keine Vertraulichkeit: Beim Umgang mit
> Belästigungsvorwürfen hatten die Grünen Probleme. Jetzt wollen sie ihre
> Satzung ändern.
(IMG) Bild: Stefan Gelbhaar arbeitet an einem Comeback
Der Fall Stefan Gelbhaar [1][war für die Grünen im Bundestagswahlkampf ein
Desaster]. Dem Abgeordneten wurden aus der Partei teils gravierende Fälle
sexueller Belästigung vorgeworfen. Einige davon stellten sich später als
erfunden heraus. Aber eine Ombudsstelle der Grünen, die die Vorwürfe
vertraulich aufarbeiten sollte, hatte da längst in der Partei vor Gelbhaar
gewarnt. Dazu kamen falsche Medienberichte. Im Ergebnis verlor der
49-Jährige sein Mandat.
Eine interne Kommission untersuchte den Vorgang später [2][und kritisierte
den Umgang der Partei mit Belästigungsvorwürfen]: Die bisherigen Strukturen
für solche Fälle, über Jahre wild gewachsen, hätten „erhebliche
rechtsstaatliche Defizite“. Das soll sich jetzt ändern: Für den Parteitag
im November schlägt der Bundesvorstand eine Satzungsänderung vor, die die
Verfahren neu aufstellt. Nötig dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Der Vorschlag fußt auf den Ergebnissen einer weiteren internen
Arbeitsgruppe, die in den letzten Monaten über eine Reform beriet. Er liegt
der taz vor. Angelehnt ist er in zentralen Punkten an das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz, das seit knapp 20 Jahren für Unternehmen und
ähnliche Einrichtungen gilt.
So ist aus dem Gesetz weitestgehend die [3][recht sperrige Definition von
„sexueller Belästigung“ übernommen]. „Dies garantiert Rechtssicherheit und
ermöglicht vergleichsweises Heranziehen geltender Rechtssprechung“, heißt
es zur Begründung. Außerdem sei die Definition sinnvoll, weil sie auch
„strafrechtlich nicht relevante Verhaltensweisen“ umfasse. Strafbare Fälle
wollen die Grünen nicht selbst bearbeiten, sondern den Behörden überlassen.
Angelehnt an Empfehlungen der Antidiskriminierungsstelle wollen die Grünen
außerdem ein Säulen-Modell einführen. Es sieht drei zuständige Stellen vor.
## Erst zuhören, dann schlichten
Die ersten beiden, Anlauf- und Beschwerdestellen, sollen auf Bundes- und
Landesebenen neu eingesetzt werden. Sie sind relativ niedrigschwellig
ausgerichtet. Wie sie genau arbeiten, soll später in einem eigenen Statut
ausformuliert werden. Ein Kleiner Parteitag soll dieses 2026 mit einfacher
Mehrheit verabschieden.
Grundsätzliche Pläne gibt es aber schon jetzt: Die Anlaufstellen sollen
Betroffenen sexueller Belästigung als Beistand dienen: zuhören, externe
Hilfe vermitteln, zu möglichen innerparteilichen Schritten beraten. Auch
Hinweisgeber*innen, die nicht selbst betroffen sind, können sich dort
melden. Anders als bei den bisherigen Ombudsstellen sollen anonyme
Beschwerden nicht mehr möglich sein. Vertraulich soll es aber bleiben –
beziehungsweise werden: Anders als im Fall Gelbhaar geschehen sollen aus
den Anlaufstellen keine Infos an Parteivorstände gehen.
Vertraulichkeit gilt grundsätzlich auch für die separaten
Beschwerdestellen. Wer sich dort hinwendet, kann gewissermaßen ein
Schlichtungsverfahren einleiten. Dabei werden auch die Beschuldigten
konfrontiert. Neu ist: Sie sollen das Recht bekommen, die konkrete Vorwürfe
zu erfahren und dazu Stellung zu nehmen. Die Verfahren sollen
„unvoreingenommen und auf Grundlache sachlicher Kriterien“ ablaufen.
Steht Aussage gegen Aussage, sollen die Beschwerdestellen nicht ermitteln.
Ziel auf dieser Ebene ist es, einen Konsens zwischen den Beteiligten zu
finden. Beschuldigte könnten also freiwillig Konsequenzen tragen.
## Im Zweifel vor das Schiedsgericht
Für Streitfälle sind dagegen als dritte Säule die bestehenden
Schiedsgerichte der Partei vorgesehen. Zu Sanktionen, etwa der Enthebung
von Parteiämtern, sind nur sie befugt – das soll in der Satzung explizit
klargestellt werden. Schiedsgerichte arbeiten schon jetzt nach
rechtsstaatlichen Grundsätzen, die das Parteiengesetz vorgibt. Es können
nur bewiesene Vorwürfe bestraft werden. Vertraulich sind diese Gerichte
aber nicht: Was hier passiert (und auch, wer als mutmaßlicher Betroffener
so ein Verfahren anstrengt), wird in der Partei zwangsläufig bekannt.
„Wir dulden keine sexuelle Belästigung – Punkt. Wir wollen eine Partei, in
der Menschen sich sicher fühlen können, in der Respekt und Wertschätzung
selbstverständlich sind“, sagte Pegah Edalatian, Politische
Geschäftsführerin der Grünen, der taz. Darum schaffe man „klare Verfahren
und unabhängige Strukturen“.
Ausschlaggebend sei für die Grünen die Präventionsarbeit. „Deshalb führen
wir eine*n Beauftragte*n gegen sexuelle Belästigung ein, die in der
Partei aufklären und Qualitätssicherung leisten soll und die jetzt
gebildeten Strukturen evaluieren und verbessern wird“, so Edalatian weiter.
Diese Position soll ebenfalls in der Satzung verankert werden. Anders als
die bisherigen Ombudsleute soll die Person auf zwei Jahre befristet ernannt
und von einem Parteitag bestätigt werden.
## Prinzipien „in Einklang“
Parteichefin Franziska Brantner sagte der taz: „Wir klären strukturelle
Fragen, stärken die Legitimität künftiger Verfahren und bringen Ordnung in
Prozesse, die lange aufgeschoben wurden.“ Ein besonderes Anliegen sei es
gewesen, „den Schutz von meldenden Personen und rechtsstaatliche Verfahren
in Einklang zu bringen“. Der jetzige Entwurf stehe sowohl für
Rechtsstaatlichkeit als auch für Frauenrechte.
Unabhängig davon [4][gab es schon am Mittwoch Neuigkeiten von Stefan
Gelbhaar], dessen Fall die Debatte um die reformbedürftigen Strukturen
überhaupt erst ausgelöst hatte. Der Berliner, wegen einiger noch nicht
ausgeräumter Vorwürfe in der Partei weiterhin umstritten, arbeitet an einem
Comeback. In seinem Kreisverband Pankow, der ihn im Januar fallen ließ,
bewirbt er sich um eine Kandidatur für das Abgeordnetenhaus im nächsten
Jahr.
16 Oct 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Gruenes-Desaster/!6061781
(DIR) [2] /Fingierte-Metoo-Vorwuerfe-gegen-Gruenen/!6093799
(DIR) [3] https://www.gesetze-im-internet.de/agg/__3.html
(DIR) [4] /Abgeordnetenhauswahl-2026/!6121086
## AUTOREN
(DIR) Tobias Schulze
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