# taz.de -- Regierungskrise in Frankreich: Von einer Bredouille in die nächste
       
       > Nach nur 14 Stunden ist in Frankreich die gerade gebildete Regierung
       > gescheitert. Der Ball liegt wieder bei Präsident Macron. Gute Optionen
       > gibt es für ihn nicht.
       
 (IMG) Bild: Protest unter dem Motto „Alles blockieren“ am 19. September in Nantes, Frankreich
       
       Paris taz | Frankreich steht am Dienstag unter dem Schock der Eilmeldung:
       [1][Nur 14 Stunden nach der Regierungsbildung] musste der nominierte
       Premierminister Sébastien Lecornu beim Staatspräsidenten Emmanuel Macron
       seinen Rücktritt einreichen. Wieder steht Frankreich ohne Regierung da.
       
       Gescheitert ist Lecornus Kurzzeit-Regierung wohl an „Parteiforderungen“, so
       hatte Lecornu es in seiner Rede am Montag formuliert. Die Konservativen von
       der Partei Les Républicains hatten sich bereits am Sonntagabend darüber
       beschwert, nicht genügend Schlüsselposten zu besetzen. Unter den Franzosen
       wächst der Unmut über eine anscheinend unfähige politische Elite. Und die
       allermeisten fragen sich: Wie soll das weitergehen?
       
       Die Situation ist denkbar grotesk: Ein Premierminister resigniert nach 28
       Tagen vergeblicher Bemühungen. Die von ihm nominierten Minister sind
       bereits Ex-Minister, bevor eine Amtsübergabe stattfinden konnte.
       
       In den letzten Wochen hatten zynische Humoristen in den Fernseh-Talkshows
       die heutige Situation vorweggenommen: Braucht es überhaupt eine Regierung,
       da Frankreich doch auch ohne weiterlebt? Könnte man nicht einfach diese für
       die Steuerzahler kostspieligen Minister einsparen und die Verwaltungsarbeit
       den kompetenten Beamten überlassen?
       
       ## Frankreich tritt auf der Stelle
       
       Natürlich stimmt es nicht, dass Frankreich in den letzten vier Wochen, in
       denen Lecornu mit den Parteien und den Sozialpartnern um einen Kompromiss
       gerungen hat, keine Führung und kein Ministerkabinett hatte. Denn die
       Mitglieder der Regierung von François Bayrou, die vor einem Monat nach
       einer verlorenen Vertrauensabstimmung zurücktreten mussten, führten die
       laufenden Geschäfte der Republik weiter. Politische Initiative durften sie
       jedoch nicht ergreifen. Frankreich trat und tritt nun wieder auf der
       Stelle.
       
       Die Aussicht auf eine weitere Periode ohne reguläre und handlungsfähige
       Regierung ist durchaus beunruhigend – gerade weil Frankreich zentralistisch
       organisiert ist. Paris bleibt das bisher unersetzliche Machtzentrum, das
       Herz und Hirn des Staatsgebildes.
       
       Solange keine Regierung im Amt ist, bleibt die Macht erst recht in der Hand
       des Staatspräsidenten. Er kann laut der Verfassung der Fünften Republik von
       1958 mit oder ohne Regierung schalten und walten, wie es ihm beliebt.
       
       So viel Macht bedeutet indes auch ebenso viel Verantwortung vor der
       Bevölkerung. Und die reagiert immer ungehaltener auf Macrons Herrschaft.
       [2][Der „gewählte Monarch“, wie man den Präsidenten in Frankreich auch
       nennt, dürfte sich nicht wundern, dass die Bürger der Republik symbolisch
       seinen Kopf fordern.]
       
       ## Ultima ratio: Macrons Rücktritt
       
       Zunächst ist es nun an Macron, zu sagen, wie er Frankreich aus der Krise zu
       führen gedenkt. Grundsätzlich kann er noch einen anderen ihm politisch
       genehmen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen. Er könnte auch
       ein von den Parteien unabhängiges Kabinett aus Technokraten einsetzen und
       dabei hoffen, dass dieses von den zerstrittenen Fraktionen im Parlament
       nicht blockiert wird.
       
       Es bleiben ihm aber auch zwei radikaler anmutende Mittel: Die Auflösung der
       Nationalversammlung mit der anschließenden Neuwahl der Abgeordneten. Und
       schließlich als Ultima Ratio sein eigener Rücktritt.
       
       Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) fordert
       beides, aus der Gewissheit heraus, dass ihre Partei als Siegerin aus
       vorgezogenen Wahlen hervorgehen könnte.
       
       Auch Jean-Luc Mélenchon der linken Bewegung La France insoumise (LFI)
       erneuert jetzt erst recht seinen Appell, Macron abzusetzen. Macron selber
       hatte im Juni 2024, nach dem für ihn kontraproduktiven Ergebnis der Neuwahl
       der Abgeordneten, einen Rücktritt völlig ausgeschlossen und erklärt, er
       werde ungeachtet der politischen Wirren bis zum Ende seiner Amtszeit im
       Frühling 2027 im Élysée-Palast bleiben.
       
       ## Der Vertrauensverlust bleibt
       
       Die Frage, wer denn nun in Frankreich regiert, ist von brennender
       Aktualität, weil das Gesetz dem Parlament ab dem 7. Oktober 70 Tage gibt,
       um den Staatshaushalt des kommenden Jahres zu verabschieden. Falls dies
       innerhalb dieser Frist nicht gelingt, wird entweder der noch laufende
       Haushaltsplan um ein Jahr verlängert oder aber ein vorliegender Entwurf per
       Erlass vom Präsidenten in Kraft gesetzt. Die staatliche Exekutive hat dank
       dieser Verfassung immer das letzte Wort – oder eine Abkürzung, um
       gegebenenfalls das Parlament zu umgehen.
       
       Kann sich Macron mit einem neuen Premier, einem provisorischen Notkabinett
       oder mit seinen Verfassungsartikeln aus der Bredouille dieser
       institutionellen Krise herauswinden? Möglicherweise. Doch der
       Vertrauensverlust in der Bevölkerung bleibt.
       
       Das triste Spektakel einer verpatzten Regierungsbildung mit Parteien, die
       statt an das Allgemeinwohl nur an ein paar Ministerposten mehr oder weniger
       oder an mögliche Sitzgewinne bei Neuwahlen denken, fördert die bereits
       gravierende Diskreditierung der Politik insgesamt.
       
       Dies schafft den Nährboden für populistische Bewegungen und verschärft die
       sozialen Gegensätze. [3][Sichtbar wurde dies unter anderem bei den
       Protesten im September.] Die Demonstranten trugen ihre Wut über die
       Sparpläne im Stil der Gelbwesten auf die Straße; ihre Forderungen richteten
       sie nicht mehr an die staatlichen Institutionen, sondern gleich gänzlich
       gegen sie: „Bloquons tout!“ („Alles Blockieren!“) lautete ihr Motto.
       Vorerst ist am Horizont nach der Krise bloß die nächste Krise erkennbar.
       
       6 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Neue-Regierung-in-Frankreich/!6117668
 (DIR) [2] /Premierminister-Lecornu-tritt-zurueck/!6115236
 (DIR) [3] /Proteste-in-Frankreich/!6113507
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Haushaltskrise
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Parlamentswahlen
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Sébastien Lecornu
 (DIR) Nationalversammlung
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Sébastien Lecornu
 (DIR) Muammar al-Gaddafi
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Staatskrise in Frankreich: Das unausweichliche Ende des „Macronismus“
       
       In einem letzten Kraftakt sucht Premier Lecornu im Auftrag von Präsident
       Macron einen Weg aus der Krise. Der Macronismus ist in jedem Fall am Ende.
       
 (DIR) Regierungskrise in Frankreich: Lecornu: Parlamentsauflösung eher unwahrscheinlich
       
       Lecornu gibt sich zuversichtlich, dass eine Auflösung des Parlaments
       vermieden werden könne. Doch die Differenzen innerhalb dessen sind weiter
       groß.
       
 (DIR) Premierminister Lecornu tritt zurück: Frankreich ist reif für eine Revolution
       
       Macron ist verantwortlich für das Regierungschaos in Paris. Allein sein
       Rücktritt würde das Problem aber nicht lösen, es braucht einen
       Systemwandel.
       
 (DIR) Prozess um Gaddafi-Gelder: Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy zu fünf Jahren Haft verurteilt
       
       Sarkozy ist im Prozess um angebliche Wahlkampfgelder aus Libyen zu einer
       fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Er war zuvor teilweise schuldig
       gesprochen.
       
 (DIR) Sébastien Lecornu soll Regierung bilden: Weitermachen lautet die Parole in Frankreich
       
       Nach dem Rücktritt Bayrous macht Präsident Macron den bisherigen
       Verteidigungsminister Lecornu zum neuen Premier. Er gilt als treuer
       Gefolgsmann.