# taz.de -- Verbandsvorstände über Antiziganismus: „Ignoranz ist auch eine Form der Diskriminierung“
       
       > Gibt es Fortschritte im Kampf gegen den Antiziganismus? Mario Franz und
       > Jill Strüber vom Verband deutscher Sinti über Runde Tische und alte
       > Traumata.
       
 (IMG) Bild: Späte Aufarbeitung: Ausstellung in der Polizeidirektion Hannover 2023
       
       taz: Herr Franz, Frau Strüber, der ursprüngliche Anlass für unser Gespräch
       war die feierliche Eröffnung des „Runden Tisches SiRo 3.0“ im Hannoverschen
       Rathaus. Aber das ist schon eine Weile her. 
       
       Mario Franz: Ja, die Medienresonanz darauf war nicht so, wie wir uns das
       gewünscht hätten. Aber das sind wir ja gewohnt. Ignoranz ist auch eine Form
       der Diskriminierung.
       
       taz: Pardon, aber möglicherweise liegt das daran, dass Runder Tisch einfach
       nicht so richtig aufregend klingt. In meinen Ohren eher nach einer weiteren
       Runde, die wohlklingende Abschlusspapiere produziert. 
       
       Mario Franz: Aber in diesem Fall ist das etwas ganz anderes! Klar gibt es
       diese Runden, wo auf Worte niemals Taten folgen. Aber das hier soll eine
       feste Einrichtung werden, keine einmalige Angelegenheit. Wir haben
       zweieinhalb Jahre darauf hingearbeitet. Für uns ist das ein Riesenschritt,
       vergleichbar mit der Mondlandung.
       
       Warum so groß? 
       
       Mario Franz: Weil es das erste Mal ist, dass es so einen Dialog auf
       Augenhöhe gibt. Das ist ein Zeichen dafür, dass alte verkrustete
       Machtstrukturen aufbrechen. Wir sind sehr stolz darauf, dass es uns
       gelungen ist, hier tatsächlich auch Entscheidungsträger an den Tisch zu
       bekommen. Zur Eröffnung waren beispielsweise auch die Kultusministerin und
       Führungspersonal aus der Polizeidirektion Göttingen, der Zentralen
       Polizeidirektion Hannover und der Polizeiakademie da.
       
       taz: Aber was soll dieser Runde Tisch denn nun konkret bewirken? 
       
       Mario Franz: Wir besprechen dort alles, was auf landespolitischer Ebene zu
       regeln ist: Bildungspolitik, Soziale Arbeit, Polizeiangelegenheiten. Den
       Auftakt wird eine Runde im Kultusministerium zur rassismuskritischen
       Überarbeitung der Kerncurricula aller Schulformen machen. Da geht es auch
       um eine verbesserte Teilhabe von Schüler*innen mit Sinti- oder
       Romahintergrund.
       
       taz: Vor zwei Jahren sorgte eine wissenschaftliche Studie für Furore, die
       nachwies, wie stark [1][Verwaltungshandeln in der Stadt Hannover durch
       antiziganistische] Einstellungen geprägt wird. Hat sich danach etwas
       geändert? 
       
       Mario Franz: Ja, und ich rechne das dem Oberbürgermeister hoch an, dass er
       sich an dieser Stelle nicht weggeduckt hat, sondern offen gesagt hat, dass
       es hier ein Problem gibt und dass wir etwas dagegen unternehmen müssen. Er
       hätte ja auch mit dem Finger auf andere zeigen können, das Problem besteht
       ja nicht bloß in Hannover, das war nur ein Beispiel.
       
       Jill Strüber: Wir haben eine ganze Workshop-Reihe mit Angehörigen der
       Stadtverwaltung und des Jobcenters der Region gemacht.
       
       taz: Die Abkürzung SiRo bezieht sich auf Sinti und Roma. Wie schwierig ist
       es denn da an einen Tisch zu kommen? 
       
       Mario Franz: Wir arbeiten mit dem Roma Center in Göttingen sehr gut
       zusammen. Aber natürlich sind unsere Interessen nicht immer deckungsgleich.
       Wir Sinti sind die älteste autochthone Minderheit Deutschlands. Roma sind
       viel mehr mit aktuellen Zuwanderungsfragen befasst. Aber uns eint natürlich
       das Leiden an der gleichen Art von Diskriminierung. Ich nenne das die
       „Z-Projektion“.
       
       taz: Projektion, weil es mehr mit den Bedürfnissen der
       Mehrheitsgesellschaft zu tun hat als mit dem tatsächlichen Leben von Sinti
       und Roma? 
       
       Mario Franz: Natürlich. Auch medial werden da ja immer wieder die gleichen
       Bilder reproduziert. Am liebsten irgendwas mit Wohnwagen und Müllbergen.
       
       taz: Sie haben auch viel von der dritten Generation gesprochen. Deshalb
       heißt der Runde Tisch ja auch SiRo 3.0. Was unterscheidet die von den
       vorangehenden? 
       
       Mario Franz: Erst einmal machen wir das natürlich am Überleben fest. Die
       erste Generation ist die, die den Horror der Vernichtungslager noch am
       unmittelbarsten miterlebt hat. Die ist häufig verstummt. Und die
       Ausgrenzung, die Ghettoisierung, die Schulverbote – das hörte nach 1945 ja
       nicht auf. Die zweite Generation war diejenige, die allmählich anfing, von
       den neuen Ressourcen zu profitieren …
       
       Jill Strüber: Meine Generation also. Die aber auch häufig mit dem Gefühl
       lebt, den Vorfahren etwas schuldig zu sein oder eben etwas zurückgeben zu
       dürfen.
       
       Mario Franz: Genau. In der dritten Generation sehen wir nun zunehmend
       Bildungsaufsteiger, sie ist aber auch insgesamt mutiger, fordernder, hat
       gelernt, Dinge auszusprechen und einzufordern.
       
       Jill Strüber: Wobei das insgesamt auch immer noch ein sehr ambivalentes
       Thema ist. Gerade unter den Älteren ist die Angst sich zu exponieren,
       sichtbar zu werden, sehr verbreitet. Das habe ich auch bei der Debatte um
       unseren Podcast gemerkt.
       
       taz: Sie machen diesen Podcast zusammen mit der Schauspielerin Taisiya
       Schumacher. 
       
       Jill Strüber: Genau, [2][er heißt „Chaya's Talk“.] Es war durchaus eine
       längere Debatte, ob wir uns da mit Namen und Gesicht – den Podcast gibt es
       auch auf Youtube – als Sintizza und Romni outen. Und zwar sowohl hier im
       Vorstand als auch in unseren jeweiligen Familien. Und wir merken das auch
       bei Interviewanfragen für unseren Podcast, dass manche zögern.
       
       Mario Franz: Manchmal glaube ich, dass wir unsere Kinder da vielleicht auch
       nicht gut genug vorbereitet haben, in dem Bestreben viele der alten
       Traumata von ihnen wegzuhalten. Wir sehen das auch oft bei Beratungsfällen
       aus Unis und Ausbildungsstätten.
       
       Jill Strüber: Die sitzen dann da nett in einigermaßen internationalen
       Runden und plaudern locker über die familiäre Herkunft. Aber oft – wenn sie
       dann sagen, dass sie Roma oder Sinti sind – bemerken sie in den Tagen
       darauf dann plötzlich doch, dass etwas anders ist, sie anders behandelt
       werden. Es beginnt die subtile Ausgrenzung.
       
       taz: Geht das denn überhaupt, die Traumata von den Kindern wegzuhalten? 
       
       Wahrscheinlich nicht. Am Ende holt es einen immer ein. Aber auch bei uns
       hat die Aufarbeitung der NS-Verfolgung ja spät begonnen. Viele konnten ja
       zunächst gar nicht darüber sprechen, die beginnen damit erst am Lebensende.
       Oft holen einen ganz unvermutet Dinge ein. Wir hatten den Fall, dass bei
       unserer [3][eigenen Ausstellung „Aus Niedersachsen nach Auschwitz“ in der
       Polizeidirektion] ein Mitglied unseres Verbandes zusammenklappte – weil er
       plötzlich mit den Polizeifotos seines Großvaters konfrontiert war.
       
       26 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] https://www.youtube.com/@ChayasTalk
 (DIR) [3] /Deportation-von-Roma-und-Sinti/!5920887
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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