# taz.de -- Journalistin über Gesprächskultur: „Wir suchen aktiv das Blöde am Anderen“
       
       > Catherine Newmark will die Gesprächskultur entgiften. Am Schauspiel
       > Hannover hat sie die Gesprächsreihe „Chronik der laufenden Entgleisungen“
       > initiiert.
       
 (IMG) Bild: Zunehmende Verschlechterung der Debattenkultur: Landwirt-Demo am 15. Januar 2024 in Berlin
       
       taz: Catherine Newmark, Sie moderieren eine Gesprächsreihe im
       Schauspielhaus Hannover, die Sie auch initiiert haben. Was ist die Idee
       dahinter? 
       
       Catherine Newmark: Es geht uns darum, angesichts einer wahrgenommenen
       zunehmenden Polarisierung und Verstärkung der Stimmungslage ein
       Gesprächsformat zu finden, bei dem man versucht, mit den Gästen und einem
       Publikum ins Gespräch zu kommen.
       
       taz: Steht es nach Ihrer Einschätzung also schlecht um die
       [1][Gesprächskultur in Deutschland?]
       
       Newmark: Ich nehme da eine Giftigkeit von allen Seiten wahr, die alles
       härter, schärfer und dümmer macht und bei der wir oft nicht wissen, wie wir
       dagegen angehen können. Wenn wir in kleinen Gruppen miteinander reden,
       schaffen wir es ja vielleicht noch, aber auch da ist oft alles verzweifelt
       und es geht immer ums große Ganze, so im Sinne von: Wenn die Gegenseite
       sich durchsetzt, ist die [2][Demokratie] nicht mehr zu retten. Wir haben in
       Deutschland sicher noch keine [3][amerikanischen Verhältnisse], aber wir
       haben definitiv eine Herausforderung, was den Diskurs betrifft.
       
       taz: Ist dieser Pessimismus nicht das Einzige, worauf sich alle einigen
       können? 
       
       Newmark: Ich finde es interessant, zu fragen, ob das wirklich so ist. Da
       herrscht ja auch eine verzerrte Sicht. Ich will gar nicht bestreiten, dass
       wir vor Krisen und Herausforderungen stehen. Aber was die Fähigkeit
       betrifft, in realen Situationen Gespräche miteinander zu führen, sehe ich
       gar nicht so schwarz. Selbst zwischen dem jungen progressiven,
       genderfluiden Gemüse und den alten weißen Männern gibt es ja im Grunde
       immer noch eine Übereinstimmung von 90%. Und die Frage ist, ob wir diese
       betonen oder die 10%.
       
       taz: Aber ist es nicht auch ein Problem, dass wir es heute mit Menschen zu
       tun haben, die meinen, [4][die Bundesrepublik würde gar nicht existieren
       oder die Erde sei flach?]
       
       Newmark: Da sprechen Sie eine Beobachtung an, die mir zentral für unsere
       Gegenwart zu sein scheint. Denn ein Teil unserer medialen Kultur führt
       dazu, dass wir viel zu viel Zeit damit verbringen, uns über andere Menschen
       zu mokieren. Das Internet ist der Ort, wo wir uns angewöhnt haben,
       grundsätzlich das Schlechteste an den Anderen zu sehen. Wir schauen ja
       ständig irgendein Video, in dem sich irgendjemand sehr dumm geäußert hat.
       Das Medium, das solche Bananenausrutscher puscht, kreiert so eine Kultur,
       bei der ich aktiv das Blöde, Hässliche und Dumme am Anderen suche.
       
       taz: Spielen da nicht Schadenfreude und Häme eine wichtige Rolle? 
       
       Newmark: Genau! Und ich finde, das ist eine extrem ungesunde Kultur, weil
       wir uns ja nicht an Vorbildern orientieren, die etwas Tolles geleistet
       haben. Stattdessen orientieren wir uns immer nach unten. Das sind ja
       Beobachtungen, die viele Menschen machen. Unsere Gesprächsabende werden
       darum nicht kontrovers besetzt sein, also wie es [5][Talkshows] machen, um
       möglichst polemische Kontraste zu erzielen, sondern ich werde versuchen,
       mit meinen Gästen das größere Bild zu sehen, Punkte oder Flächen jenseits
       der Polarisierungen zu finden, in denen wir uns alle wiedererkennen können.
       
       taz: Sie moderieren ja auch eine Radiosendung und sind selber zu Gast in
       Podcasts und im Fernsehen. Ist im Vergleich dazu eine Gesprächsrunde in
       einem Theater nicht ein Anachronismus? 
       
       Newmark: Ja, die Reichweite spielt eine Rolle. Aber ich meine, jedes Format
       hat seine Vor- und Nachteile. Für mich sind Publikumsveranstaltungen sehr
       wertvoll. Ich glaube, dass die körperliche Präsenz bei Livegesprächen nicht
       irrelevant ist. Ich meine sogar, dass die Absenz von leiblicher Präsenz
       eines der großen Probleme in unserer aktuellen Medienlandschaft ist.
       
       taz: Wie meinen Sie das? 
       
       Newmark: Das merken wir ja auch in der Arbeitssituation mit all diesen
       Zoomsitzungen. Das macht etwas mit uns. Wir sind den anderen gegenüber ein
       wenig verbohrter, bockiger und weniger tolerant. Bei Veranstaltungen, wo
       alle physisch in einem Raum sind, kann dagegen ein gemeinsames Nachdenken
       entstehen. Und das ist dann etwas sehr Schönes.
       
       1 Oct 2025
       
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