# taz.de -- Arbeitskampf bei Lieferando: Verkauft und ausgeliefert
       
       > Der Essenlieferdienst Lieferando will immer mehr seiner fest angestellten
       > Kuriere in Subunternehmen auslagern. Dort droht systematische Ausbeutung.
       
 (IMG) Bild: Keine Lust auf Outsourcing: Lieferando-Kuriere protestieren vor der Konzernzentrale in Kreuzberg
       
       Berlin taz | Das Subunternehmen, für das seine Freunde arbeiten,
       funktioniere „wie eine Mafia“, erklärt Anand S. am Samstagmittag vor dem
       Lieferando Hauptquartier in Kreuzberg. Der indische Student, der seinen
       vollen Namen aus Angst vor Vergeltungsaktionen nicht in der Zeitung lesen
       will, zeigt Nachrichten aus einer WhatsApp-Gruppe. „Wer nicht in der
       nächsten halben Stunde online geht, wird ersetzt“, schreibt ein Kontakt,
       der mit „Chef“ betitelt ist, an die über 800 Mitglieder der Gruppe.
       
       Zusammen mit rund 150 Kolleg:innen und Unterstützer:innen
       protestiert S. gegen die Pläne Lieferandos, immer mehr bislang fest
       angestellte Lieferkuriere in Subunternehmen, sogenannte „Flottenpartner“,
       auszulagern. Dort werde systematisch gegen das Arbeitsrecht verstoßen:
       Keine Verträge, kein Mindestlohn, keine Sozialleistungen, kritisiert das
       selbstorganisierte Arbeiter:innenkollektiv Lieferando Workers
       Collective, das zu dem Protest aufgerufen hat.
       
       In der Branche galt Lieferando bislang als das Unternehmen mit den am
       wenigsten miserablen Arbeitsbedingungen. Ein wesentlicher Grund dafür ist
       das Direktanstellungsmodell Lieferandos. So werden Mitarbeiter:innen
       nicht pro Lieferungen bezahlt, sie bekommen stattdessen eine feste
       Stundenanzahl zugesichert. Darüber hinaus sind unbefristete Arbeitsverträge
       die Regel.
       
       Der Stundenlohn entspricht dabei dem gesetzlichen Minimum von 12,82 Euro.
       Auch Betriebsräte konnte die Beschäftigten in vielen Städten erstreiten –
       eigentlich gesetzliche Mindeststandards in Deutschland, die aber in der
       Branche nicht überall üblich sind.
       
       ## 2.000 Entlassungen drohen
       
       Umso erschreckender war [1][die Ankündigung Lieferandos Mitte Juli, rund
       2.000 der insgesamt 9.000 direkt beschäftigten Kuriere an Subunternehmen
       auslagern zu wollen.] „Lieferando erweitert sein Logistiknetzwerk
       mancherorts um zusätzliche Lieferunternehmen“, teilt ein Sprecher auf
       Anfrage mit, „Das gegebene Markt- und Wettbewerbsumfeld erfordert dies.“
       
       Während in Städten wie Hamburg oder Potsdam die gesamte Belegschaft
       entlassen wird, verläuft der Prozess in Berlin eher schleichend, berichtet
       Moritz W. vom Lieferando Worker Collectiv. „Seit Beginn des Jahres haben
       wir 500 Kolleg:innen verloren“, berichtet er. Noch zu Beginn des Jahres
       seien 2.000 Beschäftigte beim Unternehmens gewesen.
       
       Als „psychologische Kriegsführung“ bezeichnet Moritz W. dabei das Verhalten
       seines Arbeitgebers. Ständig würden Schichten kurz vor Antritt annulliert,
       fehlerhafte Gehaltsabrechnungen seien die Regel. Urlaube würden nicht
       genehmigt, wichtige Dokumente, etwa für Visa, würde das Unternehmen gar
       nicht oder nur nach ewiger Verzögerung herausgegeben. „Lieferando will
       seine Kuriere in Berlin loswerden“, sagt W.
       
       Auf taz-Anfrage bestreitet Lieferando, dass in Berlin Auslagerungen an
       Subunternehmen geplant seien. „In Berlin ist vorerst kein nennenswerter
       Fahrer:innen-Abbau geplant und wird weiter eingestellt“, teilt ein Sprecher
       des Unternehmens mit.
       
       ## Arbeitsrecht systematisch ignoriert
       
       Auf dem Papier bieten zwar auch die Subunternehmen Festanstellungen,
       Mindestlohn und Sozialversicherungen. Doch in der Praxis kommt es bei den
       Partnerunternehmen zu massiven Arbeitsrechtsverletzungen, berichten
       Beschäftigte.
       
       Anand S. berichtet, Kuriere müssten in vielen Fällen Vermittlungsgebühren
       von bis zu 500 Euro bezahlen, um überhaupt für den Subunternehmer arbeiten
       zu dürfen. Es gäbe in vielen Fällen keine Arbeitsverträge, bezahlt werde
       pro Lieferung und nicht pro Stunde.
       
       Manchmal würden die Whatsapp-Gruppen aufgelöst, die „Flottenmanager“, die
       sonst das Geld bar in Umschlägen verteilen, seien irgendwann überhaupt
       nicht mehr auffindbar. Gleich drei Freunde von ihm seien so um rund 1.500
       Euro Lohn betrogen worden. „Bei tausend Kurieren in einer Gruppe kommt da
       schon eine Million zusammen“, erklärt Anand S.
       
       Viele der Beschäftigten kommen aus südasiatischen Ländern, wie etwa aus
       Indien, Pakistan oder Bangladesch, und seien auf das Geld angewiesen. Oft
       kennen sie ihre Rechte nicht, haben Angst, ihren Aufenthaltsstatus zu
       gefährden und scheuten deshalb davor zurück, vors Arbeitsgericht zu ziehen.
       Auch kommen die Subunternehmer damit durch, weil sie Scheinunternehmen mit
       Strohleuten als Geschäftsführer gründen, die kurz nach ihrer Gründung dann
       pleitegehen. Die Hinterleute allerdings sind von den Behörden nur schwer zu
       finden und zu fassen.
       
       ## Alte Masche Subunternehmer
       
       Die Masche ist nicht neu, Plattformunternehmen wie Uber und Wolt setzten
       schon seit Längerem auf Subunternehmen mit ähnlichen Folgen. [2][So
       versuchen Wolt-Kuriere regelmäßig vor dem Arbeitsgericht ihren von dubiosen
       Subunternehmen vorenthalten Lohn einzuklagen, bislang erfolglos.]
       
       [3][Das Investigativmagazin Kontraste berichtete bereits Ende August über
       die illegalen Praktiken von Lieferandos Subunternehmern.] Demnach würden
       die mutmaßlich kriminellen Subunternehmen nicht direkt für Lieferando
       arbeiten, sondern für Fleetlery, ein Start-up aus Hamburg, das sich als
       eine Art Business-to-Business-Plattform für Lieferdienste versteht.
       Lieferando lagert Aufträge an Fleetlery aus, die dort wiederum von mehr
       oder weniger seriösen Subunternehmen übernommen werden.
       
       Auf taz-Anfrage streitet Lieferando ab, illegale Geschäftspraktiken zu
       tolerieren. „Alle Flottenpartner unseres Marktplatzes sind angewiesen, für
       Lieferando-Bestellungen ausschließlich angestellte Fahrer:innen
       einzusetzen“, sagt ein Unternehmenssprecher. Die Subunternehmen würden
       verpflichtet, geltende Regelungen einzuhalten. Außerdem gäbe es regelmäßige
       stichprobenartige Kontrollen. Falls Verstöße bekannt würden, werde die
       Zusammenarbeit mit dem Unternehmen beendet, so der Sprecher.
       
       Angesichts der Zustände in der Lieferbranche werden die Rufe nach wirksamer
       Regulierung allerdings lauter. Eine Möglichkeit wäre, Auslagerungen in
       Subunternehmen grundsätzlich zu verbieten. [4][Ein ähnliches Modell führte
       die Bundesregierung 2021 nach vielen Skandalen in der Fleischbranche ein.]
       
       ## Kontrollen und Direktanstellungsgebote
       
       Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) verspricht deshalb, Druck auf
       Bundesebene zu machen: „Auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz in
       diesem Jahr wollen wir einen Antrag für ein Direktanstellungsgebot bei den
       Lieferdiensten stellen“, teilt Kiziltepe auf taz Anfrage mit. Doch die
       Aussichten auf Erfolg für die Bundesratsinitiative sind eher gering.
       
       Verantwortlich für die Kontrollen ist der Zoll, eine Behörde unter
       Bundeshoheit. Eine Möglichkeit für das Land hingegen wäre, das
       Nachweisgesetz durchzusetzen, sagt Damiano Valgolio, arbeitspolitischer
       Sprecher der Linken. Demnach haben Arbeitnehmer das Recht auf einen
       schriftlichen Arbeitsvertrag. Das Land wäre befugt, die Durchsetzung auch
       durch Kontrollen durchzusetzen.
       
       Doch seit 2022 verhängte Berlin kein einziges Bußgeld. „Da hätte man ein
       richtiges Instrument in der Hand, aber es passiert überhaupt nichts“,
       kritisiert Valgolio.
       
       28 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Massenentlassung-beim-Essenslieferanten/!6099982
 (DIR) [2] /Prozess-gegen-Lieferdienst-Wolt/!6095299
 (DIR) [3] https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/20250821_2145/lieferdienste-moderne-ausbeutung.html
 (DIR) [4] /Ausbeutung-in-der-Fleischindustrie/!5791699
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jonas Wahmkow
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Plattformökonomie
 (DIR) Lieferdienst
 (DIR) Ausbeutung
 (DIR) Lieferdienste
 (DIR) Refugee-Karawane
 (DIR) Lieferdienst
 (DIR) Lieferdienste
 (DIR) Ausbeutung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Doku über Lieferkuriere aus Südasien: Ausgebeutete Hoffnung
       
       Tausende Inder*innen liefern in Berlin unter schlechten Bedingungen für
       dubiose Subunternehmen aus. Das hat System, zeigt eine neue Doku.
       
 (DIR) Refugee-Karawane „We'll Come United“: Die Isolation durchbrechen
       
       Eine antirassistische Karawane ist eine Woche lang durch Asylunterkünfte in
       Ostdeutschland gezogen. Für die Teilnehmenden war sie ein Erfolg.
       
 (DIR) Massenentlassung bei Lieferando: Ausgeliefert
       
       Der Lieferdienst entlässt alle Kuriere in Hamburg. Viele stehen vor dem
       beruflichen Aus oder müssen bei einer Schattenflotte anheuern.
       
 (DIR) Prozess gegen Lieferdienst Wolt: Immer diese Einzelfälle
       
       Der Lieferdienst Wolt ist in Berlin verklagt worden, weil ein
       „Flottenpartner“ einer Riderin keinen Lohn gezahlt hat.
       
 (DIR) Ausbeutung bei Lieferdiensten: Nur zum Schein beschäftigt
       
       Wer für Wolt oder Uber arbeitet, arbeitet oft für Subunternehmen. Die
       Konzerne ziehen sich damit aus der Verantwortung – mit fatalen
       Konsequenzen.