# taz.de -- Massenentlassung bei Lieferando: Ausgeliefert
       
       > Der Lieferdienst entlässt alle Kuriere in Hamburg. Viele stehen vor dem
       > beruflichen Aus oder müssen bei einer Schattenflotte anheuern.
       
 (IMG) Bild: Würde gerne zu anständigen Konditionen weiterbeschäftigt werden: Lieferando-Rider
       
       Hamburg taz | Die Fahrer:innen des Lieferdienstes Lieferando wehren sich
       gegen ihre Entlassung. Für Freitag hat die Gewerkschaft
       Nahrung-Genuss-Gasststätten (NGG) deshalb um 18 Uhr in Hamburg zu einer
       Demonstration aufgerufen, die ausdrücklich politischer Natur sein soll und
       kein Streik ist. Erwartet werden 300 bis 500 Teilnehmende. Die NGG hofft,
       dass sich auch Politiker:innen beteiligen. Losgehen soll es am
       Gewerkschaftshaus im Besenbinderhof.
       
       Bereits Mitte Juli hatten die sogenannten Rider:innen für einen
       Tarifvertrag und gegen den drohenden Aufbau einer Schattenflotte
       demonstriert. Sie wollten verhindern, dass die Liefer-Fahrer:innen von
       Subunternehmen und nicht von Lieferando direkt beschäftigt werden – und
       zwar zu viel schlechteren Konditionen. Doch der Streik lief ins Leere. Vor
       zwei Wochen kündigte Lieferando an, mehr als 2.000 Stellen abzubauen. Das
       betrifft alle Angestellten in Hamburg.
       
       Einer von ihnen ist Issam Safouni. Der 41-Jährige ist seit 2019 in Vollzeit
       als Rider bei Lieferando angestellt. Er war geschockt, als er die Nachricht
       vom Stellenabbau las. Auch wenn er schon länger nicht mehr mit seinen
       Arbeitsverhältnissen zufrieden war. Zu Beginn seiner Tätigkeit hatte ihm
       der Job noch Spaß gemacht. Neben seinem regulären Gehalt hatte er immer
       einen Bonus bekommen, der die Rider:innen für die Auslieferung von
       möglichst vielen Bestellungen im jeweiligen Monat belohnt.
       
       Nur: Über die Jahre sei es aber immer schwieriger geworden, mit den Boni
       die Bezahlung aufzubessern, sagt Safouni. Denn statt kurzen Routen in
       nahegelegenen Regionen wurden ihm vermehrt Strecken zugewiesen, die ihn
       quer durchs ganze Hamburger Stadtgebiet schickten.
       
       ## Rider im Schwebezustand
       
       Jetzt im Juli hat er zum Beispiel um die 200 Bestellungen ausgeliefert.
       Früher fuhr er regelmäßig um die 400 Aufträge im Monat. Dementsprechend
       fallen die Boni sehr viel geringer aus. Er berichtet von Einbußen von um
       die 500 Euro bei ihm und seinem Kolleg:innen.
       
       Durch die angekündigte Entlassung steht der 2015 aus Syrien gekommene
       dreifache Familienvater nun vor einer ungewissen Zukunft. Wann er endgültig
       arbeitslos wird, weiß er auch noch nicht, da die Entlassungen zwar
       angekündigt, aber noch nicht vollzogen worden sind. Deshalb kann sich
       Safouni auch nicht auf neue Stellen bewerben. Er hofft auf eine
       ausreichende Abfindung, die als Teil des von Lieferando angekündigten
       Sozialplanes noch ausgehandelt werden muss.
       
       Der Hamburger Betriebsrat lässt sich in der Sache zusammen mit der
       Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erst einmal beraten und will
       dann in die Verhandlungen gehen. Dabei sollen gute Konditionen für die
       Arbeitnehmer:innen ausgehandelt und die Entlassungen möglichst lang
       hinausgezögert werden, sagt der Betriebsratsvorsitzende Andreas Schuchard.
       
       Lieferando will nach dem Stellenabbau vermehrt auf sogenannte
       Flottendienstpartner wie Fleetlery setzen, um die „eigene Agilität und
       Effizienz auf dem wachsenden Markt zu steigern“, wie es ein
       Lieferando-Sprecher ausdrückt. Zwar fahren in Hamburg dann weiterhin
       Kuriere im Auftrag von Lieferando Essen aus, diese sind dann aber bei
       anderen Unternehmen angestellt.
       
       Laut Schuchard betreiben diese ein undurchschaubares Netz von weiteren
       Subunternehmen, in denen Schwarzarbeit und Verstöße gegen das
       Mindestlohngesetz an der Tagesordnung sein sollen. Dabei sollen gezielt
       Menschen mit Migrationshintergrund angeworben werden und als
       Scheinselbstständige für Dienstleister wie Lieferando Essen ausliefern, so
       Schuchard. Die entsprechenden Betriebe bereiteten sich bereits darauf vor,
       Kontrollen durch den Zoll und die Polizei zu umgehen.
       
       Um solche Missstände zu unterbinden, wurde bereits im Oktober 2024 eine
       EU-Richtlinie verabschiedet, die die Arbeitsverhältnisse auf
       Plattformebene, das heißt bei den Internetdienstleistern, verbessern soll.
       Allerdings lässt sich die Bundesregierung mit der Umsetzung in Deutschland
       ordentlich Zeit. Bis heute hat sich in der Sache nichts getan und eine
       Ankündigung, wann es so weit sein wird, gibt es auch noch nicht. „Es kann
       nicht sein, dass die Politik bei solchen Arbeitsbedingungen zuschaut“, sagt
       Schuchard.
       
       Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales arbeitet nach eigenen Angaben
       an einem entsprechendem Gesetz. Wann es denn fertig sein wird, konnte ein
       Ministeriumssprecher auf taz-Nachfrage nicht sagen. Kurioserweise hat
       [1][Lieferando selbst die Bundesregierung bereits im Winter 2023 dazu
       aufgerufen], die Richtlinie auf Europaebene zu unterstützen.
       
       Lange Zeit brüstete sich der Lieferdienst mit der Behauptung, dass er
       seinen Angestellten mit einer Direktanstellung und Vertretung durch
       Betriebsräte in der Branche einzigartige Konditionen biete – und das auch
       zurecht. Nun aber werden diese Prinzipien über Bord geworfen und Lieferando
       passt sich der [2][Praxis von Wolt], Uber Eats & Co an. Wenn die
       [3][Bundesregierung die EU-Richtlinie schon früher umgesetzt] hätte, wäre
       Lieferandos Konkurrenz vielleicht gezwungen gewesen, sich Lieferandos
       Standards anzupassen und nicht umgekehrt.
       
       Für Issam Safouni ist es keine Option, für Fleetlery oder dergleichen zu
       arbeiten. Er muss sich neu also orientieren – ein Job mit Konditionen, wie
       sie bis zuletzt bei Lieferando galten, ist in der Branche nicht einfach zu
       finden. Viele seiner Kolleg:innen sprechen noch nicht mal richtig
       Deutsch, was die Jobsuche schwer macht. Safouni hat in Deutschland vor
       seiner [4][Tätigkeit als Rider] keinen anderen Beruf ausgeübt. Die Suche
       nach einer neuen Anstellung dürfte daher auch für ihn schwierig werden.
       
       5 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://newsroom.justeattakeaway.com/de-DE/233122-lieferando-ruft-bundesregierung-zur-unterstutzung-der-eu-plattformarbeitsrichtlinie-auf/
 (DIR) [2] /Prozess-gegen-Lieferdienst-Wolt/!6095299
 (DIR) [3] /Studie-zu-Arbeit-fuer-Online-Plattformen/!5831594
 (DIR) [4] /Miese-Arbeitsbedingungen-bei-Lieferando/!6050311
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Krischan Meyer
       
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