# taz.de -- Demokratie unter Überwachung: Die Zerstörung der liberalen CDU
       
       > Familienministerin Karin Prien droht Demokratieprojekten mit dem
       > Verfassungsschutz. Das zeigt, wie getrieben und leichtfertig ihre Union
       > ist.
       
 (IMG) Bild: Ist auf die CDU im Kampf um die Demokratie Verlass? Demonstration des Bündnisses „Gemeinsam gegen Rechts“ am 2. Februar in Berlin
       
       Berlin taz | Es ist eine Weile her, dass ein gewisser Rezo i[1][n einem
       viel beachteten Video] zum Rundumschlag gegen die Unionsparteien ausholte.
       Die CDU ließ sich damals zu einer herablassenden Antwort hinreißen: „Die
       Währung von YouTubern sind Klickraten. Die Währung einer Volkspartei ist
       Vertrauen.“ Die Christdemokraten erinnerten an ihre Verpflichtung „allen
       Menschen in Deutschland“ gegenüber und an das Gebot von „Maß und Mitte“,
       nach dem sie ihr Handeln ausrichteten.
       
       Sechs Jahre und einen gehöriger Rechtsruck später muss man feststellen: Maß
       und Mitte sind der Union ganz schön abhandengekommen. Das zeigen die
       Asyl- oder Bürgergelddebatten, das [2][Totalversagen im Umgang mit Frauke
       Brosius-Gersdorf] und Julia Klöckners entfesselter Kulturkampf gegen alles
       Regenbogenfarbene. Parteifreunde wie Schleswig-Holsteins
       Ministerpräsident Daniel Günther, die für eine sachliche und
       unideologische Union stehen, müssen sich fühlen wie die FDP in der
       Ampelkoalition: ein zunehmend ungeliebter Fremdkörper.
       
       Die Zerstörung der liberalen Union hat natürlich mit dem Aufstieg der AfD
       zu tun. CDU und CSU glauben wohl immer noch, dass sie die rechtsextreme
       Partei dadurch kleinhalten können, dass sie genauso laut „Ausländer raus“
       und „Genderwahnsinn“ rufen wie das Original. Das heißt, das erhoffen sich
       wohl diejenigen innerhalb von CDU und CSU, die es mit der viel beschworenen
       Brandmauer ernst meinen.
       
       Dass die Basis das teils anders sieht, ist gut dokumentiert: Auf kommunaler
       Ebene stimmt die CDU schon fleißig mit der AfD, und zwar längst nicht mehr
       nur, wenn es gegen Geflüchtete geht. Und wie getrieben die Führungsriege
       der Union ist, kann man schließlich sehr gut an ihrem [3][Umgang mit
       Demokratieprojekten] ablesen.
       
       ## Prien lässt Demokratieprojekte prüfen
       
       Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Bundesfamilienministerin Karin Prien
       den Abgeordneten ihrer Fraktion versprach, Demokratieprojekte vom
       Verfassungsschutz durchleuchten zu lassen. Und zwar offenbar, weil
       Abgeordnete kritisch nachgefragt hatten, warum das in ihrem Ministerium
       angesiedelte Bundesprogramm „Demokratie leben!“ von 182 Millionen Euro
       (2024) nun leicht auf 200 Millionen Euro in diesem Jahr (und ähnliche
       Summen in den Folgejahren) aufgestockt worden war.
       
       In dem Schreiben, [4][das das Portal Netzpolitik öffentlich machte], heißt
       es wörtlich: „Mich haben Fragen nach dem Grund für die Anhebung des
       Haushaltstitels erreicht. Das ist vor dem Hintergrund der Kleinen Anfrage
       aus Ihren und Euren Reihen vom Frühjahr dieses Jahres nachvollziehbar.“
       
       Darüber lässt sich streiten. In [5][der Kleinen Anfrage], die Prien
       erwähnt, attackierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Verbände,
       Organisationen und Vereine scharf, die zu Protesten gegen Rechtsextremismus
       aufgerufen hatten – das war wohlgemerkt deswegen geschehen, weil die Union
       im Bundestag einen Tabubruch beging und bei ihrem Antimigrationsantrag
       auch auf die Stimmen der AfD setzte.
       
       Bis heute scheint die Union in dem Punkt zu keiner Selbstkritik fähig.
       Stattdessen äfft sie auf Bundes- und teils auf Landesebene den AfD-Vorwurf
       nach, dass NGOs, die sich gegen rechts engagieren, ihre „Neutralität“
       verletzten.
       
       ## So bedroht wie nie
       
       Als langjährige Bildungsministerin in Schleswig-Holstein (übrigens unter
       Ministerpräsident Günther) muss Prien wissen, dass dieses Argument
       Bullshit ist – politische Bildung und Demokratiearbeit kann nie neutral
       sein, wenn extremistische Positionen demokratische Werte bedrohen. Prien
       selbst steht zwar außer Verdacht, an der Brandmauer rütteln zu wollen.
       
       Nach Bekanntwerden der Deportationsfantasien der AfD etwa lobte sie die
       Proteste aus „der Mitte der Gesellschaft“ und sprach aus, was auch viele
       Linke dachten: „Unsere liberale Demokratie ist bedroht wie nie.“
       
       Mit ihrem Schreiben an die Fraktion sendet Prien aber nun ein ganz anderes
       Signal: nämlich, dass die Zweifel an der Förderung von
       zivilgesellschaftlichen Akteuren berechtigt seien. Möglich, dass die
       Ministerin mit diesem Schritt vor allem die eigenen Reihen besänftigen
       wollte. Den Preis dafür aber zahlen alle, die sich für Toleranz und
       Vielfalt einsetzen. Hunderte Demokratieprojekte stehen jetzt unter
       generellem Extremismusverdacht – während die wahren Extremisten von AfD und
       Co im Land schon längst die kritische Zivilgesellschaft [6][einzuschüchtern
       versuchen.]
       
       ## Seite an Seite mit der AfD
       
       Erschreckenderweise sind es vermehrt auch CDUler, die der AfD in ihrem
       Feldzug tatkräftig zur Seite stehen. Erst diese Woche hat der
       AfD-CDU-dominierte Stadtrat im sächsischen [7][Wurzen] verhindert, dass
       bereits gesammelte Spenden an das örtliche Demokratienetzwerk ausgezahlt
       werden: ein gezielter Schlag, denn damit entgehen dem Netzwerk für
       Demokratische Kultur auch noch staatliche Fördermittel in Höhe von 70.000
       Euro.
       
       Im thüringischen Suhl hat sich kürzlich ein früherer NPD-Kader für die AfD
       in einen Demokratieausschuss wählen lassen – mutmaßlich mit Stimmen der
       CDU. Nun entscheidet ein Neonazi über Gelder aus dem Bundesprogramm
       „Demokratie leben!“.
       
       Das sind die Gefahren, die eine Ministerin ihrer Fraktion entgegenhalten
       sollte. Doch zur Normalisierung der AfD und ihrem Anteil daran schweigt die
       Union. Und verspielt damit das Vertrauen sehr vieler Demokrat:innen in
       diesem Land. Nach wie vor sieht eine große Mehrheit in der AfD und im
       stärker werdenden Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie.
       Wer sich nach Maß und Mitte zu richten beansprucht, kann daraus nur einen
       Schluss ziehen.
       
       12 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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