# taz.de -- Freispruch wegen Schuldunfähigkeit: Wer trägt die Schuld am Tod in der Psychiatrie?
       
       > Das Landgericht Bremen spricht eine Frau frei, die ihre Zimmernachbarin
       > getötet hatte. Der Sohn der Getöteten zeigt jetzt die Klinik an.
       
 (IMG) Bild: Am Heiligabend tötete hier in Bremen eine Patientin ihre Zimmernachbarin
       
       Mit einem Freispruch endete am Donnerstag das Verfahren vor dem Bremer
       Landgericht gegen eine 42-jährige Frau. Sie hatte zwar am Heiligabend nach
       Überzeugung des Gerichts [1][in der Bremer Psychiatrie eine Mitpatientin
       getötet]. Eine Schuldunfähigkeit aufgrund ihrer psychischen Erkrankung
       könne aber nicht sicher ausgeschlossen werden. Weil nach Einschätzung der
       zwei beiden forensischen Gutachter:innen weitere gefährliche Angriffe
       möglich sind, ordnete das Gericht die unbefristete Unterbringung im
       Maßregelvollzug – einem psychiatrischen Krankenhaus für
       Straftäter:innen – an, wo die Frau bereits seit dem 25. Dezember
       behandelt wird.
       
       „Die Tat hat ihre Wurzeln in der Erkrankung“, sagte der Vorsitzende
       Richter, der in der Urteilsbegründung ausführlich auf die ärztlichen
       Diagnosen einging und in Bezug zum Tatgeschehen setzte. Die Verurteilte
       habe an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten sowie an einer
       Persönlichkeitsstörung, die psychotische Episoden einschloss. So habe sie
       sich oft bedroht gefühlt und wiederholt Stimmen gehört, unter anderem die
       ihrer Mutter, die ihr die Tötung anderer befahlen.
       
       Ob sie diese auch zum Tatzeitpunkt gehört habe, lasse sich nicht mit
       Sicherheit sagen, so der Richter. Das Gericht geht davon aus, dass die
       Tötung ihrer Zimmernachbarin durch Erwürgen ein Ventil für einen Zustand
       extremer innerer Anspannung und die Geschädigte ein Zufallsopfer war.
       
       Dass das falsch war, habe sie gewusst, so der Richter, daher habe sie die
       Tat auch sofort dem Klinikpersonal gemeldet und sie später gegenüber einer
       Gutachterin auch bedauert. „Niemand kann etwas für eine Krankheit“, sagte
       er noch. Dennoch müsse die Verurteilte die Verantwortung für die Tat
       übernehmen und an der Besserung ihres Zustands in der Klinik mitarbeiten.
       
       ## Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
       
       Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Anwalt des Nebenklägers – der
       Sohn der Getöteten – waren zu einer anderen Einschätzung gekommen als das
       Gericht und hielten die 42-Jährige für schuldfähig. Möglich ist daher, dass
       sie das Urteil anfechten werden. Von ihren Plädoyers war die Öffentlichkeit
       ausgeschlossen worden, da fast das ganze Verfahren unter Ausschluss der
       Öffentlichkeit stattgefunden hatte.
       
       So wurden Details erst nach der Urteilsverkündung bekannt. Der Sohn der
       Getöteten berichtete, dass seine Mutter ohne sein Wissen aus dem
       Rot-Kreuz-Krankenhaus in die [2][Psychiatrie des kommunalem Klinikums
       Bremen Ost] in einem anderen Stadtteil verlegt worden war, weil sie in eine
       geplante und offenbar notwendige Operation nicht einwilligen wollte.
       
       „Wir waren am Heiligabend Vormittags im Rot Kreuz Krankenhaus, um sie mit
       Geschenken zu besuchen und erfuhren dort nur, dass sie auf einer anderen
       Station lag.“ Wie lange sie dort war, wisse er nicht, vermutlich nur zwei
       oder drei Tage. Um 17 Uhr am Heiligabend habe ihn die Polizei dann darüber
       informiert, dass seine Mutter fünf Stunden zuvor getötet worden war.
       
       Zudem soll die Verurteilte dem Anwalt Jan Lam zufolge vor der Tat den
       Notruf gewählt haben, mit der Ankündigung, sie werde ihre Zimmernachbarin
       töten. Dies sei während der Beweisaufnahme gesagt worden, so der
       Rechtsanwalt. Er kündigte am Donnerstag an, eine Strafanzeige wegen
       fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt zu stellen. Er sehe sowohl „grobe
       Defizite“ im Vorgehen sowohl beim Klinikum Bremen Ost als auch bei der
       Klinik in Bassum, einer Kleinstadt bei Bremen.
       
       ## Über Umwege in der Klinik gelandet
       
       Diese habe sie fünf Tage vor der Tat entlassen, über Umwege soll sie laut
       Gericht in der Bremer Klinik gelandet sein, in der sie zunächst gegen ihren
       Willen war, anschließend freiwillig blieb. Die Entlassung der wohnungslosen
       Frau nach Weihnachten habe allerdings bevorgestanden, sagte der Richter,
       was wohl zu ihrer Anspannung beigetragen habe. Der Nebenklage-Anwalt Jan
       Lam sagte, er habe Zweifel daran, dass die Kliniken sich ausreichend über
       ihren Zustand und eine mögliche Gefährlichkeit ausgetauscht haben.
       
       Es sei bekannt gewesen, dass die Frau immer wieder Todesdrohungen
       ausgestoßen habe, so der Anwalt. Er verstehe daher nicht, warum die Mutter
       seines Mandanten zu ihr aufs Zimmer gelegt wurde, „eine körperlich
       wehrlose“ Person, die adipös gewesen sei und einen Rollator genutzt habe.
       Nach seiner Einschätzung sei aufgrund der Feiertage zu wenig Personal auf
       der Station gewesen.
       
       Aufgrund des großen und wachsenden Bedarfs sind Doppelzimmer nicht nur in
       der Bremer Psychiatrie die Regel. Alles andere als ungewöhnlich sind zudem
       Patient:innen, die Todesdrohungen ausstoßen, ohne Taten folgen zu lassen.
       Nach einer Reihe von teils tödlichen Angriffen von psychisch kranken
       Menschen im öffentlichen Raum in den vergangenen zwei Jahren hatten
       Psychiater:innen wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich um
       Einzelfälle handele, die schwer voraussagbar sind.
       
       ## Projekt für Menschen mit Psychosen
       
       Viele bekämen nicht die richtige Behandlung, sagte [3][der Münchner
       Psychiater Peter Brieger] im Gespräch mit der taz. In seiner Klinik gibt es
       ein Projekt für Menschen mit Psychosen, das eine Zwangsunterbringung wegen
       Gefährlichkeit in den Maßregelvollzug vermeiden soll. Entscheidend sei die
       kontinuierliche persönliche Beziehung, so Brieger.
       
       Das statistische Risiko gewalttätig zu werden ist [4][bei Menschen mit
       Psychosen leicht erhöht]. Der überwiegende Teil übt dennoch nie Gewalt
       gegen andere aus, obwohl mit ihrem Krankheitsbild oft das Gefühl starker
       Bedrohung einhergeht. Dieses könne durch Wohnungslosigkeit verstärkt
       werden, hatte der ehemalige Leiter der Hamburger Psychosenambulanz, Thomas
       Bock, [5][der taz in einem Interview gesagt].
       
       In seiner Urteilsbegründung hatte der Bremer Richter hervorgehoben, dass
       die große innere Anspannung der Verurteilten für das Personal nicht
       ersichtlich gewesen sei. Körperliche Angriffe nannte er keine. In ihrem
       Verhalten gegenüber dem Fachpersonal habe sie geschwankt zwischen dem
       Wunsch, versorgt und kontrolliert zu werden und sich gegen die Behandlung
       zu sträuben. „Sie hat sich verzweifelt dagegen gewehrt, verlassen zu
       werden.“
       
       18 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] /Schaerfere-Gesetze-fuer-psychisch-Kranke/!6097740
 (DIR) [4] https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/fullarticle/2787197
 (DIR) [5] /Psychologe-ueber-Hamburger-Messerangriff/!6090880
       
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