# taz.de -- Regisseurin zu Abtreibungs-Drama „April“: „Die Klinik war ein sicherer Ort“
       
       > In ihrem Film „April“ zeigt Dea Kulumbegaschwili eine mutige Gynäkologin.
       > Die Regisseurin spricht über ihr Exil in Berlin und die Lage in Georgien.
       
 (IMG) Bild: Äußerlich nüchtern: Nina (Ia Suchitaschwili) in ihrer Klinik in „April“
       
       Gleich für ihr Regiedebüt „Beginning“ wurde Dea Kulumbegaschwili beim
       Festival in San Sebastián 2020 mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Im
       Mittelpunkt des neuen Films der 1986 geborenen Georgierin steht eine
       Gynäkologin, die Frauen bei der Geburt hilft, aber auch auf eigenes Risiko
       illegale Schwangerschaftsabbrüche durchführt. In „April“ verbindet
       Kulumbegaschwili Sozialdrama mit Körperhorror und Slow Cinema zu einer
       radikalen Seherfahrung. 
       
       taz: Frau Kulumbegaschwili, am Anfang von „April“ zeigen Sie in einer
       langen Einstellung eine echte Geburt. Ihr erster Film beginnt mit einem
       unerwarteten Anschlag. Was reizt Sie an diesen verstörenden Einstiegen? 
       
       Dea Kulumbegaschwili: Ich finde, Kino ist dazu da, wachzurütteln und aus
       der Komfortzone herauszureißen. Bei [1][„Beginning“] hielt mich mein
       Co-Autor zunächst für verrückt. „Wie willst du das noch toppen?“ Aber darum
       geht es mir gar nicht. Kino ist für mich nicht Steigerung, sondern
       Anhäufung. Etwas sammelt sich an, innerhalb von Szenen und auch dazwischen.
       Es erfordert ein Engagement des Publikums, ich verstehe Kino als einen
       Dialog. Manche werden meinen Film mögen, andere ihn hassen. Die
       unterschiedlichen Reaktionen interessieren mich.
       
       taz: Wie bereits Ihren ersten Langfilm „Beginning“ haben Sie „April“ in
       Ihrem Heimatort Lagodechi gedreht. Unter welchen Bedingungen war das
       möglich? 
       
       Kulumbegaschwili: Der örtliche Polizeichef war zu der Zeit jemand, mit dem
       ich zur Schule gegangen war. Während der Vorbereitungen des Films kam er
       öfter vorbei und wir waren froh, uns zu sehen und über unsere Kindheit zu
       sprechen. Aber zugleich versuchte er ständig, mich dazu zu bringen,
       seltsame Fragen zu beantworten. Dann passierte etwas Schreckliches, das zum
       Wendepunkt für uns alle wurde. Eine junge Frau, die wir beide seit der
       Kindheit kannten, wurde von ihrem Ex-Mann ermordet. Kurz darauf ließ der
       Polizeichef sich in eine andere Stadt versetzen. Vermutlich konnte er nicht
       ertragen, emotional so nah dran zu sein. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch
       unsere Arbeitsbedingungen verschärft. Wir hatten keinen Zugang mehr zu
       bestimmten Orten, waren unter Dauerbeobachtung. Sie folgten uns überall.
       Nur in die Entbindungsklinik durften sie nicht. Sie war ein sicherer Ort.
       
       taz: Im Mittelpunkt des Films steht mit der Gynäkologin Nina erneut eine
       komplexe weibliche Figur. 
       
       Kulumbegaschwili: Ich erlebe als Frau Dinge auf eine bestimmte Art und
       Weise. Wenn du in einer sehr patriarchalischen Gesellschaft wie Georgien
       aufwächst, wird die eigene Weiblichkeit sogar noch stärker bewusst, weil du
       jeden Tag daran erinnert wirst, als Frau nicht gleichberechtigt zu sein.
       Mittlerweile lebe ich in Berlin und frage mich, wie es wohl wäre, wenn ich
       hier aufgewachsen wäre. Es hätte mich sicher auf eine andere Art geprägt,
       aber ich denke, ein gewisses Gefühl von Verletzlichkeit ist universell.
       
       taz: Beruht Nina auf einem realen Vorbild? 
       
       Kulumbegaschwili: Für mich waren anfangs zwei Figuren aus der Literatur
       wichtig. Fürst Myschkin in Dostojewskis „Der Idiot“ und Don Quijote von
       Cervantes. Beides Männer, die in sinnlose Kämpfe verstrickt sind. Kämpfe,
       die keine Früchte tragen. Für mich ist Nina ein tragischer Held, eine
       epische Figur, die Leben und Tod in sich verkörpert. Aber es ist ein
       letztlich aussichtsloser Kampf. Derzeit verschärft sich die Gesetzgebung
       beim Thema Abtreibung wieder, auch in Europa und den Vereinigten Staaten.
       
       taz: Sie leben in Berlin, haben längere Zeit mit einem Künstlerstipendium
       in San Sebastián am Film gearbeitet. Wie hat diese Distanz den Film
       beeinflusst? 
       
       Kulumbegaschwili: Ich brauche immer wieder diese Distanz, weil ich sehr
       emotional bin und mich Dinge sehr mitnehmen. Ich habe eine sehr seltsame
       Beziehung zu meinem Land. Ich liebe Georgien, für mich ist es sehr wichtig,
       Filme in georgischer Sprache zu drehen. Dort zu sein, ist für mich eine
       sehr intensive Erfahrung. Dann brauche ich den Abstand, um das zu
       verarbeiten. Ich bin auch nicht auf sozialen Medien, weil es mich so
       überwältigen würde, dass ich nicht mehr funktionieren könnte. Für meinen
       kreativen Prozess sind Zeit und Ruhe wichtiger als Geld.
       
       taz: [2][Vergangenen Herbst feierte „April“ auf dem Filmfest Venedig
       Premiere] und wurde dort mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Wie haben
       Sie die Zeit seitdem erlebt? 
       
       Kulumbegaschwili: Einerseits war es ein schöner und besonderer Moment, den
       ich mit meinen Schauspielern teilen konnte, denn zu diesem Zeitpunkt war
       Georgien politisch gesehen bereits in der Krise. Der Preis war eine tolle
       Würdigung. Aber nun sind 11 Monate vergangen und der Film war noch immer
       nicht in Georgien zu sehen. Nirgendwo, nicht einmal in den kleinsten Kinos.
       Es laufen nur Blockbuster. Alles, was auch nur im Entferntesten politisch
       kontrovers ist, wird einfach nicht gezeigt. Die Theater sind gleich ganz
       geschlossen, es gibt keine Aufführungen, und die Schauspieler sind jeden
       Tag auf der Straße. Ich war sehr lange vorsichtig mit dem Begriff
       „Diktatur“, nannte es erst Autoritarismus, aber es ist eine Diktatur. Seit
       den Wahlen im Oktober, deren amtliches Ergebnis zweifelhaft ist, gibt es
       Proteste, gegen die das Regime hart vorgeht. Oppositionelle sitzen im
       Gefängnis müssen mit vielen Jahren Haft rechnen.
       
       taz: Trotzdem sind Sie gerade in Georgien. Warum? 
       
       Kulumbegaschwili: In Berlin ist für mich alles einfacher, ich bin dort
       freier. Irgendwann hat man es einfach satt, Angst zu haben. Emotional ist
       es für mich gerade sehr schwierig, denn ich habe das Gefühl, mein Land und
       alles verloren zu haben, woran ich geglaubt habe. Ich habe in meinem Leben
       schon an vielen Orten gelebt, in den Vereinigten Staaten studiert. Und es
       war damals meine bewusste Entscheidung, nach Georgien zurückzukehren und
       hier Filme zu drehen. In der jetzigen Lage ist das unmöglich. Ich bin hier,
       weil es um mehr geht als Kino und Kunst. Es geht um das grundlegende Recht
       auf freie Meinungsäußerung. Ich bin in der glücklichen Lage, jederzeit
       ausreisen zu können. Aber die meisten Menschen hier können nicht weg.
       
       taz: Ist Ihre Rückkehr also ein Akt der Solidarität? 
       
       Kulumbegaschwili: Für mich ist es sehr irrational, um ehrlich zu sein. Ich
       bin mit meinem kleinen Sohn hier, den ich letztes Jahr geboren habe. Das
       ist vielleicht keine sehr kluge Entscheidung. Aber ich vermisse mein Land.
       Erst gestern war ich wieder im Osten des Landes, von wo ich stamme. Es ist
       wichtig für mich, mit den Menschen dort zu sprechen. Dort gibt es wenig
       Proteste, aber man spürt, dass sie im Moment keine Hoffnung haben.
       
       taz: Haben Sie überlegt, „April“ inoffiziell zu zeigen? 
       
       Kulumbegaschwili: Ja, schon allein wegen all der Menschen, die den Film mit
       mir gemacht haben. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein, damit niemand
       gefährdet wird. Wir sind uns alle einig, dass er zumindest einmal gezeigt
       werden muss und ein paar hundert Leute ihn sehen. Denn ich habe „April“ mit
       einer überwältigenden Wut auf alles gedreht, was in diesem Land passiert
       ist.
       
       30 Jul 2025
       
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