# taz.de -- Animationsfilm „Memoiren einer Schnecke“: Knetfräulein mit Schneckenaugen
       
       > Für den Oscar wurde er als bester Animationsfilm nominiert: Adam Elliots
       > „Memoiren einer Schnecke“ spielt in einer liebenswerten Knetfigurenwelt.
       
 (IMG) Bild: Unglück, Trauer und Niedlichkeit gehen in „Memoiren einer Schnecke“ zusammen
       
       Eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass heutzutage immer noch
       Stop-Motion-Filme mit Knetfiguren produziert werden. [1][Der Australier
       Adam Elliot hat sich auf diese aufwendige Animationstechnik spezialisiert]
       – und darauf, die liebenswert-skurrile Anmutung seiner Knetpüppchen zu
       kontrastieren mit einem melodramatisch aufgeladenen Storytelling. Die
       Drehbücher pflegt er selbst zu schreiben. Für seinen Kurzfilm „Harvey
       Krumpet“ gewann Elliot 2004 einen Oscar; in diesem Jahr ist sein zweiter
       Lang-Spielfilm, „Memoir of a Snail“, für den Oscar als bester animierter
       Spielfilm nominiert.
       
       Es sei vorausgeschickt, dass die Geschichte von Grace, der Hauptfigur in
       „Memoiren einer Schnecke“, eine Art Happy End haben wird. Alles andere wäre
       kaum auszuhalten, denn die geplagte Heldin hat ein ordentliches Päckchen
       Elend zu tragen.
       
       Grace ist ein rundliches Knetfräulein mit traurigem Gesicht und einer
       braunen Mütze, an der an zwei wippenden Drähten zwei kugelrunde Augen
       angebracht sind – Schneckenaugen, die Grace’ Vater, wie sie erzählt, für
       das Töchterchen aus seinen einstigen Jonglierbällen gebastelt hat. Mit
       diesem Accessoire trägt Grace das Unglück ihrer Familie sozusagen ständig
       mit sich herum.
       
       Die Mutter ist tot, gestorben bei der Geburt der Zwillinge – ja, Grace hat
       einen Bruder, Gilbert, den sie sehr liebt –, der Vater, der die Familie als
       Straßenjongleur durchgebracht hat, verliert nach einem Unfall seine
       Jonglierfähigkeiten und wird Alkoholiker. Als auch er stirbt, werden die
       Zwillinge getrennt und an entgegengesetzten Enden Australiens in
       Pflegefamilien gegeben.
       
       ## Entfremdet von der Welt
       
       Während Grace in geordneten Verhältnissen, aber ohne Geborgenheit
       aufwächst, landet der eigenwillige Gilbert in einer Familie radikaler
       Evangelikaler, die alles tun, um ihn umzuerziehen. Grace vermisst den
       Bruder schrecklich, lebt entfremdet von der Welt, zieht sich in jeder
       Hinsicht immer mehr in ihr Schneckenhaus zurück und beginnt, Gegenstände in
       Schneckenform zu horten.
       
       Eine kurze Ehe verläuft unglücklich, per Brief erhält Grace irgendwann die
       Nachricht vom Tod des geliebten Bruders; und die einzige Freundin, die sie
       je hatte, eine fidele alte Lebenskünstlerin, ist gleich zu Beginn des Films
       gestorben. Der Großteil von Grace’ Geschichte wird von diesem
       Schicksalsschlag an in Rückschau erzählt.
       
       Einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Wirkung bezieht der Film aus der
       Diskrepanz zwischen dieser tiefschwarzen Storyline und der verschrobenen
       Niedlichkeit der Knetfiguren und ihrer Welt. Das ist nicht ganz
       unproblematisch, denn wenn man sich zum Beispiel fragte: Würde ich mir
       diesen Film auch gern ansehen, wenn das Drehbuch mit „echten Menschen“
       realisiert worden wäre? – dann würde die Antwort wahrscheinlich eher Nein
       lauten.
       
       Grace’ und Gilberts Geschichte ist so überbordend voll mit Unglück, dass es
       fast schon beliebig wirkt. So viel geballte Misere braucht unbedingt einen
       Kontrapunkt; und der liegt in diesem Fall nicht in der Erzählung, sondern
       im Visuellen. Der Film ist von Anfang bis Ende toll anzusehen. Adam Elliot
       ist auch sein eigener Production Designer und füllt diese Rolle zweifellos
       mit inspirierter Hingabe aus. In zahllosen visuellen Details ist ein
       liebevoller Humor am Werk, der allerdings auch widersprüchliche Botschaften
       vermittelt.
       
       ## Das Allzuniedliche
       
       Manchmal schwappt er ins Sarkastische – am Überlandbus, der Gilbert von
       Grace fortbringt, etwa steht der Werbeslogan „Connecting people“. Dann
       wieder ins Allzuniedliche: All die Schnecken-Accessoires, die Grace um sich
       versammelt, verbreiten ein solches Feelgood-Ambiente, dass Grace’
       Unglücklichsein darin fast unangemessen wirkt. Dass Grace keine einfache
       Sammlerin, sondern eine pathologische Hoarderin ist, wird so jedenfalls
       nicht vermittelt.
       
       Eine Ursache solcher leichten inhaltlichen Unwuchten liegt wahrscheinlich
       in der Arbeitsweise des etwas allzu allmächtigen
       Regisseurs/Autors/Designers, der im Presseheft freimütig erzählt, er
       beginne zunächst immer mit all den Details, die er im Film unterbringen
       wolle, „und finde dann irgendwie einen Weg, sie aneinanderzureihen“. Da
       kann es natürlich passieren, dass von den gehoardeten Ideen manche sich
       nicht so richtig ins Gesamtbild fügen. Und Kunst lebt sehr oft eben auch
       vom Weglassen.
       
       23 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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