# taz.de -- Meme auf Social Media: Propaganda, auf die ich nicht hereinfalle
       
       > Ein neuer Meme-Trend kommt als Geste der Selbstbehauptung daher. Doch
       > auch in konservativen und rechten Kreisen hat das Meme Karriere gemacht.
       
 (IMG) Bild: Augen auf beim Memes posten: Bundesministerin Dorothee Bär äussert sich mit ironischen Lifestyle-Post
       
       Kennen Sie das Meme [1][„Propaganda, auf die ich nicht hereinfalle“?] In
       meinem Feed taucht es inzwischen täglich auf. Als ich die Formulierung zum
       ersten Mal sah, musste ich direkt einen Screenshot machen – nicht wegen
       ihrer medienkritischen Schärfe, sondern wegen ihrer erstaunlichen
       Elastizität. Denn „Propaganda“ meint hier nicht russische Trollarmeen oder
       chinesische Desinformationskampagnen, sondern Labubus (bitte googeln),
       Matcha Latte oder Duzen.
       
       Zunächst erschien mir das Meme als Trotzakt gegenüber den kaum mehr
       zählbaren digitalen Mikro-Trends: Hinterlegt mit Selfies werden Dinge
       aufgelistet, auf die man nicht hereinfällt, obwohl sie als unverzichtbar
       vermarktet werden. Eine Geste individueller Selbstbehauptung!
       
       Nicht immer bezieht sich die Selbstbehauptung auf Konsumtrends, oft geht es
       auch um Konventionen. Dabei verrät das, was jeweils als „Propaganda“
       empfunden wird, viel über die soziale Blase, in der sich die jeweilige
       Person bewegt. Wenn eine Reise-Influencerin etwa „I’m a Traveler not a
       Tourist“ in die Liste aufnimmt, oder eine Beauty-Influencerin „Botox als
       Prävention“, dann wird auch der eigenen Peergroup gegenüber Skepsis zum
       Ausdruck gebracht. Sie wollen sich aufgeklärt und urteilsfähig zeigen.
       
       Doch was zunächst wie spielerische Konsumkritik wirkte, offenbart sich
       immer öfter als ideologische Positionierung. Bestes Beispiel dafür lieferte
       Bundesministerin Dorothee Bär, [2][die auf Instagram ein Video postete],
       in dem sie barfuß über eine Wiese läuft und lächelnd ihr Handy checkt. Dazu
       der Text: „Propaganda I’m not falling for: 5am club, flache Schuhe,
       lowcarb, ‚weniger ist mehr‘, oatmilk, Duzen.“ Der ironische Lifestyle-Post
       entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine zwar subtile, aber auch
       dezidierte Abgrenzung von urbanen Milieus mit progressivem Selbstbild.
       
       ## Sympton eines kulturellen Backlashs
       
       Denn geht es wirklich nur um eine Vorliebe für High Heels und Kuhmilch?
       Oder verbirgt sich dahinter die Ablehnung von Communitys, die
       Geschlechterrollen hinterfragen und sich für nachhaltige Ernährung
       starkmachen? Der Punkt ist: Wenn flache Schuhe zur „Propaganda“ erklärt
       werden, dann zeigt sich darin nicht nur ein ästhetisches Urteil, sondern
       ein politischer Affekt. In der Logik des Memes verschwimmen Ironie, Meinung
       und ideologisches Statement – und das macht es so wirkmächtig.
       
       Einige Ausprägungen des Memes lassen sich gar als Symptom eines
       fortschreitenden kulturellen Backlashs ansehen. Ein Beispiel gefällig?
       „Propaganda, auf die ich nicht mehr hereinfalle: Multikulti, Feminismus, es
       gibt mehr als zwei Geschlechter.“ Was einst als fortschrittliche Haltung
       galt, wird nun als moralischer Zwang gebrandmarkt; die Person selbst
       inszeniert sich dabei als geläutert.
       
       Auch in rechten Kreisen hat das Meme Karriere gemacht, passt es doch
       perfekt zu deren Behauptung, die sogenannten „Mainstream-Medien“ stünden im
       Dienste einer politischen Agenda. Da tauchen dann Klassiker auf wie
       „Corona-Impfung“, „Klimakrise“ oder „ARD/ZDF“.
       
       Das Meme ist somit Symptom einer Gegenwart, die so hochpolitisiert ist,
       dass selbst eine Aussage über Schuhe unter Ideologieverdacht steht.
       Paradoxerweise produziert der Versuch, sich gegen vermeintliche
       Manipulation zu immunisieren, neue Formen der Selbstmanipulation. Denn wer
       alles als Propaganda verdächtigt, macht sich blind für die Unterschiede
       zwischen Marketingtricks, politischer Beeinflussung und schlichten
       Meinungsäußerungen.
       
       Hinzu kommt: Wer sagt, er falle nicht auf „die Propaganda“ herein,
       behauptet implizit: Ich stehe über den Dingen. Doch oft ist das Gegenteil
       der Fall. Die Reflexe sind vorgeprägt, die Haltungen bezogen. Das Meme
       enttarnt damit nicht nur mediale Narrative – sondern eine Gesellschaft, in
       der ideologische Sortierungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel
       geworden sind. Gleichzeitig verstärkt es durch seine Verbreitung die
       kritisierte Ideologisierung und Polarisierung. Vielleicht ist das der
       größte Trick von allen: uns glauben zu machen, wir seien immun gegen
       Tricks.
       
       11 Jun 2025
       
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