# taz.de -- Ausstellung „Im Angesicht des Krieges“: Barfuß durch eine verwüstete Landschaft
       
       > Die Künstlerin Iryna Vorona führte ein Tagebuch in Bildern, als russische
       > Truppen ihre Stadt besetzten. Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt einige
       > davon.
       
 (IMG) Bild: Kollektive Kraft: Iryna Voronas Zeichnung „Angst“ aus dem Jahr 2023
       
       Mehr Zynismus geht nicht. Ausgerechnet am Abend des 24. Februar, dem
       dritten Jahrestag des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, hat der
       Sicherheitsrat als mächtigstes Gremium der Vereinten Nationen in New York
       [1][eine Resolution verabschiedet], die diese Aggression nicht einmal
       erwähnt, geschweige denn einen Rückzug der russischen Truppen fordert.
       Stattdessen wurde in ihr nur eine schnelle Beendigung des Krieges
       angemahnt. Von den USA ein-, mit Hilfe Russlands und Chinas durchgebracht,
       ist dieser Entscheid nun völkerrechtlich bindend.
       
       So geht das Grauen an den Fronten und in den von Russland bombardierten
       Städten und Dörfern der Ukraine ungeahndet weiter. Was bleibt ist die bange
       Frage: Wie lebt es sich für die geschätzt fünf Millionen Menschen der
       Ukraine in den okkupierten Regionen, also unter russischer Besatzung?
       
       Diese Erfahrung hat die ukrainische Künstlerin Iryna Vorona ganz persönlich
       machen müssen, als sie im Frühjahr 2022 in einer der von russischen Truppen
       besetzten Städte nördlich von Kyjiw ihr Überleben organisierte. Für sie
       bedeutete das: Monate der Isolation, in denen ausreichend Lebensmittel,
       medizinische Versorgung und grundlegende Freiheiten in unerreichbarer Ferne
       lagen.
       
       Um Struktur in ihre existentielle Not zu bringen, begann sie, Tagebuch zu
       führen: nicht mit Worten, sondern mit Bildern. So entstanden 248
       Kohlezeichnungen, eine für jeden Lebenstag in der besetzten Ukraine. Sie
       zeigen reale oder imaginäre Porträts und Situationen.
       
       „Im Angesicht des Krieges“ ist eine Auswahl von 23 Zeichnungen betitelt,
       die das Kunstmuseum Wolfsburg erstmals öffentlich zeigt. Anlass dafür war
       der traurige dritte Jahrestag des imperialistischen russischen Überfalls.
       Unter die Bilder hat Iryna Vorona handschriftliche Zahlen in Kohle gesetzt,
       die auf den konkreten Tag ihrer Entstehung verweisen.
       
       Dazu stellt sie neuere Arbeiten, die sich mit unfreiwilliger Migration
       befassen, und ihr 10-minütiges Video „I am paving the way“. Es bezieht sich
       auf ihr Erleben im seit März 2022 heftig umkämpften, zunächst besetzten,
       dann wieder befreiten Browary. Mit nackten Füßen betritt sie dort
       verwüstetes Terrain, Textpassagen erzählen, wie der Krieg und seine
       Auswirkungen zur Gewohnheit wurden.
       
       Voronas Kohlezeichnungen sind von einer Intensität, die unmittelbar
       berührt. Wohl jeder denkt sofort an [2][Käthe Kollwitz]: Vorona gelingen
       mit ähnlich kräftigem, dunklem Strich, teils auf bräunlichem Papier, aufs
       Archetypische reduzierte Bildnisse des Menschlichen in Ausnahmesituationen.
       Oft sind es Kinder, die wohl verletzlichsten Leidtragenden eines Krieges,
       schutzsuchend in den Armen ihrer Mütter.
       
       Die „Große Schwester“ ist wohl genauso ein unersetzlicher Garanat für Hilfe
       in der Not wie einfach nur die vielen Hände, die gemeinsam das Überleben
       anpacken. Denn darum geht es Iryna Vorona: Sie will der kollektiven Kraft
       und Widerstandfähigkeit der ukrainischen Menschen Ausdruck verleihen. Denn
       sie sind in ihrer Einheit stark, „weil sie nicht allein auf dem Weg sind“,
       wie die Künstlerin es beschreibt.
       
       Iryna Vorona wurde 1987 in Kyjiw geboren, hat dort an der Nationalen
       Akademie der bildenden Künste und Architektur studiert und promoviert. Ihr
       Mann ist im Krieg gestorben. Im Herbst 2023 kam sie nach Meinersen. Noch
       bis Ende Mai ist sie Stipendiatin im dortigen [3][Künstlerhaus].
       
       In ihrer Abschlussausstellung zeigte sie kürzlich neue Malereien, die auch
       versuchen, die Farbe wieder zuzulassen: einen Funken Hoffnung, vielleicht.
       Aber wie lange brauchen Menschen, um Traumata zu bewältigen, wieder
       Zuversicht und Vertrauen zu schöpfen, ein neues Leben zu beginnen? Das
       könnte eine der großen Herausforderungen Europas werden – nach einem Ende
       des [4][Krieges in der Ukraine].
       
       17 May 2025
       
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