# taz.de -- 25 Jahre Luchse im Harz: Angekommen, doch isoliert
       
       > Ein viertel Jahrhundert nach Auswilderung der ersten Luchse im Harz ist
       > die Population stabil. Damit das so bleibt, braucht es Luchsmigration.
       
 (IMG) Bild: Nordluchse wie dieses Exemplar hier aus dem Harz brauchen mehr Wildbrücken, um neue Artgenossen lieben zu lernen
       
       Am Teufelsberg bei Lautenthal erinnert ein Gedenkstein an den Abschuss des
       letzten in freier Wildbahn lebenden Luchses im Harz. Am 17. März 1818 hatte
       der königlich-hannöversche Förster Johann Friedrich Wilhelm Spellerberg das
       Tier nach einer zweiwöchigen Jagd zur Strecke gebracht. An die 200 Jäger
       und Treiber sollen damals im Einsatz gewesen sein, um den Luchs ausfindig
       zu machen. Angeschossen und verletzt, war er immer wieder seinen Häschern
       entkommen.
       
       182 Jahre später, im Sommer 2000, begann [1][im niedersächsischen Teil des
       Harzes unter Regie der Nationalparkverwaltung die Wiederansiedlung von
       Luchsen]. Zwei Weibchen und ein Männchen, in der Jägersprache Katze und
       Kuder geheißen, die zuvor in verschiedenen Wildparks gelebt hatten, wurden
       damals in die Freiheit entlassen. Sie gewöhnten sich schnell an die neue
       Umgebung. Bereits im folgenden Jahr wurden die ersten Jungtiere geboren.
       
       25 Jahre danach hat sich das Luchsvorkommen stabilisiert und auf das Umland
       ausgeweitet. „[2][Die Fläche, auf der sich die Population ausbreitet,
       wächst]“, sagt der Leiter des Luchsprojekts, Ole Anders. Der diplomierte
       Forstwirt betreut das Programm von Beginn an. „Und wir beobachten immer
       mehr führende Weibchen. In der vergangenen Saison haben wir 20 Weibchen
       gezählt, die Jungtiere geführt haben.“
       
       Ein weiterer Indikator für eine stabile Population ist laut Anders die
       steigende Zahl von tot aufgefundenen Luchsen: „Gibt es mehr Luchse, gibt es
       auch mehr tote Luchse, etwa durch Verkehrsunfälle.“ Unter dem Strich lasse
       sich sagen: „Die Harzer Luchspopulation wächst seit Jahren moderat an.“
       
       ## „Wir sammeln alles, was gemeldet wird“
       
       Ganz genaue Zahlen kann der Experte gleichwohl nicht liefern, man könne
       sich da nur annähern. „Für den Harz selbst gehen wir von etwa 55
       erwachsenen Luchsen aus. Plus etwa 35 Jungtiere, die pro Saison geboren
       werden. Wenn wir das weitere Umfeld des Harzes betrachten, kommen wir auf
       eine Zahl von 120 oder sogar 150 erwachsenen Tieren.“
       
       Aus dem Harz abgewanderte Luchse wurden zuletzt etwa im Solling, im
       Leinebergland und in Hessen nachgewiesen. „Während man anfangs einen
       Flickenteppich hatte, wächst das jetzt mehr und mehr zusammen“, sagt
       Anders. „Wir haben jetzt eine ziemlich große durchgehende Fläche, die von
       Luchsen besiedelt ist.“
       
       Die Nachweise erfolgen durch Fotofallen und Zufallsbeobachtungen. „Wir
       sammeln alles, was von Spaziergängern, Förstern oder Jägern gemeldet wird.
       Dann können wir mit unseren Kameras in das Gebiet gehen.“ In den letzten
       Jahren wurde auch das genetische Monitoring stark etabliert – „das heißt,
       dass wir Kot oder Tierhaare untersuchen lassen“. In der
       Nationalparkverwaltung laufen alle Informationen bei Anders und einer
       Kollegin zusammen.
       
       Probleme bei der Akzeptanz der Harz-Luchse in der Bevölkerung gehören der
       Vergangenheit an, betont der Experte: „In den Anfangsjahren des Projekts
       gab es Ängste und Vorurteile, damals war das Thema Luchs in Deutschland ja
       noch gar nicht präsent.“
       
       ## Ein Maskottchen für den Harz
       
       Das habe sich in den Folgejahren in eine fast durchgehend positive Richtung
       gedreht, „[3][der Luchs ist ja inzwischen ein Maskottchen für den Harz
       geworden]“. Tatsächlich stehen Stoff- und Spielzeugluchse in den
       Schaufenstern der Geschäfte von Goslar, Osterode oder Bad Sachsa. Örtliche
       und regionale Firmen bewerben ihre Produkte mit dem Sympathieträger Luchs.
       
       Aber wurden nicht auch schon im Harz Luchse illegal getötet? „Ja, schon“,
       sagt Anders. „Aber das hat längst nicht die Ausmaße wie bei Wölfen.“ Oder
       wie bei der anderen nennenswerten deutschen Luchspopulation im Bayerischen
       Wald. Dort wurden die streng geschützten Raubkatzen trotz Verbots häufiger
       gejagt und die Kadaver auch schon Umweltschützern vor die Tür gelegt.
       
       Im Harz kam es in den vergangenen 25 Jahren insgesamt viermal zu
       „Vorfällen“, wie Anders die Abschüsse nennt. Zwei gab es in Thüringen,
       einen in Sachsen-Anhalt und einen in Niedersachsen. „Das sind Einzelfälle,
       die man nicht verharmlosen sollte, aber vier bekannt gewordene Fälle in 25
       Projektjahren hatten keinen Einfluss auf die Entwicklung der Population.“
       
       Offen ist, ob und wie sich die Luchse im Harz mit den zuletzt in das
       Mittelgebirge zugewanderten Wölfen vertragen. „Grundsätzlich schließen sich
       Wölfe und Luchse nicht aus in einem großen Waldlebensraum Harz“, sagt
       Anders und verweist auf die Karpaten, wo beide Arten seit Jahrzehnten
       relativ friedlich nebeneinanderleben.
       
       ## Im Harz genügend Platz für Luchs und Wolf
       
       Andererseits könne es im direkten Kontakt auch zu Aggressionen kommen.
       Dabei sei ein Luchs durchaus in der Lage, einen einzelnen Wolf „das
       Fürchten zu lehren“ und auch zu vertreiben, „aber Wölfe sind schlau, die
       kommen eben häufig im Rudel“. „Es ist ein großer Feldversuch“, sagt Anders.
       „So eine Situation – der Luchs ist da und der Wolf kommt dazu – haben wir
       bisher nicht gehabt. Ein Novum zumindest in Deutschland.“
       
       Langfristig gefährdet seien die Harzer Luchse indes durch genetische
       Verarmung und Inzucht. Anders zeigt Bilder von einem Luchs ohne Ohren von
       der französisch-schweizerischen Grenze. Dort gebe es auch Luchse mit
       Herzanomalien: „Wir vermuten, dass dahinter Inzucht und Degeneration
       stehen.“ Die betroffene Population sei 25 Jahre älter als die im Harz und
       nicht vernetzt mit anderen. Durch das Beispiel sei abzusehen, „wo wir in 25
       Jahren landen, wenn nichts passiert“.
       
       [4][Es passiert aber etwas, und es gibt Initiativen und Projekte, die
       gegensteuern] – etwa ein Zuchtprogramm des Internationalen Zooverbands oder
       Luchsauswilderungsprojekte im Schwarzwald, im Thüringer Wald und im
       Erzgebirge. Auf wissenschaftlicher Ebene stößt das Netzwerk „Linking Lynx“
       Forschungsvorhaben an.
       
       „Wichtig ist, dass die Luchse wandern“, betont Anders. Der Weg vom Harz in
       den Thüringer Wald sei zumindest für männliche Luchse „durchaus machbar,
       und das wäre schon nahezu die halbe Strecke ins Erzgebirge“. Wenn sich das
       Thüringer Projekt erfolgreich gestalte, „hätte man einen Trittstein in der
       Mitte, sodass vielleicht wirklich Luchsmigration in die eine oder andere
       Richtung möglich wird und eine Vernetzung zustande kommt“.
       
       ## Langfristig mehr Wald, kurzfristig mehr Wildbrücken
       
       Aber woher weiß der Luchs aus dem Harz, dass im Thüringer Wald Artgenossen
       von ihm leben? Anders sagt: „Durch Trial and Error“. Es gebe ja bereits vor
       allem bei den Männchen Abwanderungen, die seien „bisher aber ins Leere
       gelaufen. Ein Luchs, der vom Harz aus Richtung Norden startet, kommt
       irgendwann in der Lüneburger Heide oder an der Küste an, aber er bleibt der
       einzige Luchs dort.“ Künftig würden aber nach Süden wandernde Kuder im
       Thüringer Wald vielleicht auf andere Luchse stoßen. „Und wenn es dann zur
       Reproduktion kommt, hätte das einen Effekt.“
       
       Ohne menschliche Hilfe geht es allerdings nicht. Denn um Nahrung zu
       erbeuten und sich selbst sicher zu fühlen, brauchen Luchse Wald. Da eine
       kurzfristige Anpflanzung von Wäldern auf den potenziellen Luchswanderwegen
       unrealistisch ist, müssten die Tiere zumindest durch Korridore und
       Wildbrücken über Bundesstraßen und Autobahnen geleitet werden. „Da wäre ein
       dickes Brett zu bohren in unserer intensiv genutzten Landschaft. Aber wir
       müssen versuchen, es zu bohren“, sagt Anders.
       
       Auch über eine Umsiedlung von Luchsen wird diskutiert, erklärt er. Der
       Fokus dabei liege auf verwaisten Jungtieren. „Die Idee ist, wenn man in
       verschiedenen Populationen verwaiste Jungtiere hat, dass man dann so eine
       Art Ringtausch organisiert. Wenn das regelmäßig passiert, könnte das schon
       zu einer Sanierung der genetischen Strukturen führen.“
       
       Die erfolgreiche Wiederansiedlung der Luchse im Harz war der Grund, dass
       ein Gegenstück zu dem eingangs erwähnten Lautenthaler Luchsstein geschaffen
       wurde. Das kleine Denkmal aus Bronze wurde am 20. Oktober 2017 am Kaiserweg
       bei Torfhaus an der nun „Luchsbrücke“ genannten Überquerung des
       Gebirgsgbachs Abbe errichtet. Präparate des 1818 erlegten Luchses
       existieren übrigens heute noch im Naturhistorischen Museum in Braunschweig.
       
       22 May 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Artenschutz-braucht-Wandermoeglichkeiten/!5820574
 (DIR) [3] /Luchse-im-Harz/!6000106
 (DIR) [4] /Artenschutz-in-der-EU/!5773382
       
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