# taz.de -- Von der Hamas entführt und ungebrochen: Yotam Haim trommelte auch im Hamas-Tunnel
       
       > Tuval Haim erzählt die Geschichte seines Bruders Yotam. Der Drummer der
       > Band Persephore wurde am 7. Oktober von der Hamas nach Gaza entführt.
       
 (IMG) Bild: Tuval Haim (links) mit seinem Bruder. Yotam wurde von israelischen Soldaten erschossen, nachdem er der Hamas entkommen war
       
       Am 7. Oktober 2023 sollte Yotam Haim beim vierten und bisher größten
       Konzert seiner Metal-Band Persephore am Schlagzeug sitzen. Er trommelte am
       Morgen dieses Tags auch – im Safe-Room seines Hauses im Kibbuz Kfar Aza,
       während um das Haus herum bereits Schüsse fielen. Dann setzten Terroristen
       der Hamas das Haus in Brand und zerstörten mit drei Schüssen das Schloss
       des Safe-Rooms. Yotam versuchte durch ein Fenster zu flüchten.
       
       Seine Familie war bis dahin noch beruhigt gewesen. Wenn ihr Sohn und
       Bruder, mit dem sie bis zuletzt per Chat Kontakt hatten, Schlagzeug spiele,
       könne es so schlimm nicht sein, dachten sie. Es dauerte einige Zeit, bis
       sie erfuhren, dass er nicht ermordet, [1][sondern nach Gaza entführt wurde]
       und noch am Leben war.
       
       Yotams Bruder Tuval Haim erzählt am Montagabend in Berlin die
       Lebensgeschichte seines Bruders. Es ist das erste Mal, dass er diesen
       Vortrag hält, zu dem er Fotos und Videos zeigt, sagt er. Yotam Haim kam
       krank zur Welt. Sein Darm war nicht in Ordnung, es war nicht klar, ob er
       überleben würde. Für Tuval Haim ist dieses Urtrauma seines Bruders eine
       Metapher für dessen Unbehagen in der Welt: „Something didn’t digest in this
       world for him“, sagt er. Es habe etwas gegeben, was sein Bruder nicht
       verdauen konnte.
       
       Beide hatten Schwierigkeiten, im Kinderhaus ihres Kibbutz und in der
       Grundschule zurecht zu kommen, aber sein Bruder, sagt Tuval, hatte es noch
       schwerer. Yotam Haim litt unter psychischen Problemen, entwickelte mit 17
       eine Anorexie und kämpfte schon als Kind mit vielen Ängsten: Was, wenn die
       Welt explodiert? „Oft sahen ihn die Erwachsenen nicht“, sagt Tuval.
       
       ## Zur Bar-Mizwa nach Wacken
       
       Vater Raviv hatte den Brüdern früh das Schlagzeugspielen beigebracht. Tuval
       begann bald professionell zu trommeln, Yotam entdeckte erst später seine
       Liebe zu den Drums. Als die Frage aufkam, was sich Yotam für seine
       Bar-Mizwa wünschen sollte, hatten die Brüder eine Idee: ein Trip auf das
       legendäre Metal-Festival im norddeutschen Wacken. Da fuhren sie dann auch
       hin, mit ihrer Mutter und Freunden.
       
       Yotam meldete sich freiwillig zur Armee, in der Hoffnung, dass sein Leben
       dann endlich normal verlaufen würde, wurde aber nach drei Wochen entlassen,
       wofür er sich schämte. Der Stress und der Konkurrenzdruck, den das geplante
       Studium in einer renommierten Musikschule in ihm auslöste, war so stark,
       dass er gar nicht erst hin ging.
       
       Er kochte in einem Sushirestaurant und spielte Basketball. Als Persephore
       einen Drummer suchte, fuhr er zu einer Probe, alles lief gut. Als er zum
       zweiten Mal vorspielte, bekam er eine Panikattacke. Ein halbes Jahr kämpfte
       er mit sich, bis er sich wieder bei der Band meldete. Deren Antwort war:
       „Wir haben auf dich gewartet.“ Für Yotam war die Band auch eine weitere
       Familie, erzählt sein Bruder.
       
       ## Er konnte sich selbst befreien
       
       Die Familie erfuhr später, wie es Yotam Haim in der Hamas-Gefangenschaft
       ergangen war. Er saß lange in einem Tunnel, zusammen mit Alon Shamriz,
       Samer al-Talalka und einem Arbeiter aus Thailand, Wichian Temthong. Yotam
       versuchte, Thai zu lernen, um beim Übersetzen zu helfen. Er machte
       regelmäßig Push-ups und ließ sich Plastikbehälter geben, auf denen er
       trommelte. Er bot sogar einem seiner Bewacher an, ihm Schlagzeug spielen
       beizubringen. Wichian Temthong wurde eines Tages mit anderen Thais
       freigelassen. Die anderen drei wurden in einem Haus zurückgelassen, als die
       israelische Armee in das Viertel von Gaza einrückte, in dem sie gefangen
       waren. Sie konnten sich befreien.
       
       Yotam Haim und seine Kollegen waren fünf Tage in der Kampfzone unterwegs.
       Die Hamas hatte ihnen die Haare geschoren, und sie mussten sich Bärte
       wachsen lassen, damit sie nicht als Israelis erkennbar waren. Dann trafen
       sie auf israelische Soldaten. Obwohl sie ihre T-Shirts ausgezogen hatten,
       ein weißes Tuch hochhielten und auf Hebräisch riefen, wurden sie
       erschossen. Die Soldaten nahmen an, sie würden in einen Hinterhalt gelockt.
       
       Immer noch seien viele Fragen zu den Umständen des Tods seines Bruders
       offen, sagt Tuval Haim, offenkundig wurden Fehler gemacht. Die Familie habe
       sich jedoch entschlossen, nicht mehr nach dem Warum zu fragen, die Wut
       hinter sich zu lassen. Für sie zählt, dass Yotam sich nicht unterkriegen
       ließ, dass er anderen helfen konnte und es ihm gelungen ist, sich selbst zu
       befreien, sagt Tuval Haim. Diese Vorstellung habe ihm geholfen, in dieser
       Dunkelheit einen Sinn zu finden.
       
       ## Resilienz durch Musik
       
       Yotam Haim ist zur Inspiration geworden. [2][Der berühmte israelische
       Sänger Berry Sacharov hat mit Tuvals Band Pulkes ein Lied für ihn
       aufgenommen]. Tuval, der nach dem Tod seines Bruders nie wieder trommeln
       wollte, hat ein Album eingespielt. Jetzt erfährt er die Musik als stärkste
       Verbindung zu seinem Bruder. Ein Film wurde über Yotams Leben gedreht. Die
       Familie hat eine Stiftung ins Leben gerufen, „Beit Yotam“, auf Englisch
       [3][Yotam’s Life Association.] Sie soll sich für Kinder und Jugendliche
       einsetzen, die ähnliche Probleme wie Yotam haben. Durch Sport, den Kontakt
       mit Tieren, durch familiäre Unterstützung und Musik soll ihre Resilienz
       gestärkt werden. Unter dem Motto „Resilienz durch Musik“ steht auch der
       Abend in Berlin.
       
       Die Haims widersprechen, wenn jemand sagt, Yotam sei „gefallen“. Für sie
       ist er aufgestanden, hat sein Schicksal in die Hand genommen.
       
       30 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zum-Gedenken-an-Yotam-Haim/!6038244
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=TSxmlv5UF3M
 (DIR) [3] https://yotam-haim.co.il/en/yotams-life-association/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
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