# taz.de -- Klima und Queers: „Klimaschutz ist Homo(sapiens)schutz“
       
       > Drag lebt vom Überfluss, Klimaaktivismus vom Verzicht. Wie das
       > zusammenpasst, zeigt die Klima-Dragqueen Inge Ringle – mit klarer
       > Botschaft.
       
 (IMG) Bild: Inge Ringle verbindet Klimaschutz mit Drag: als „Greenwashing-Maschine“ oder als „Windmühle der Schande“
       
       Die Worte hallen laut und deutlich über den Stuttgarter Marktplatz. „Ich
       stehe heute hier – elegant, stolz und kraftvoll, mit gespreizten
       Rotorblättern – aber auch voller Angst.“ Inge Ringle ist komplett in Weiß
       gekleidet, trägt glitzernde Windradflügel und eine Schärpe mit der
       Aufschrift „Windmühle der Schande“. Die Zuschauer:innen folgen gespannt
       ihrer Rede, applaudieren und jubeln zustimmend.
       
       Es ist der letzte globale Klimastreik vor den Bundestagswahlen 2025, und
       Inge Ringle hat eine klare Botschaft: Klimaschutz ist essenziell für
       unsere Zukunft. Inspiration für ihre Rede [1][lieferte ausgerechnet Alice
       Weidel, die auf dem Parteitag der AfD von „Windmühlen der Schande“ sprach
       und damit den Abbau von Windrädern forderte.] Statt sich nur darüber zu
       ärgern, verwandelte sich Inge Ringle selbst in die „Schande“ – und zieht
       die Aussage ins Ironische.
       
       Inge Ringle ist eine besondere Stimme in der Klimabewegung, denn sie ist
       eine sogenannte Klimadiva. Mit außergewöhnlichen und einzigartigen Outfits
       und Performances verbindet sie ihre beiden großen Leidenschaften: Drag und
       Klimaaktivismus. Ob als „Windmühle der Schande“, „Greenwashing-Maschine“,
       Wal oder Dschungel – Inge macht provokant und unterhaltsam auf den
       Klimawandel aufmerksam.
       
       Drag ist eine vielfältige Kunstform, die oft mit verführerischen Auftritten
       [2][in glitzernden Kleidern, auffälligem Make-up und dem Spiel mit
       Geschlechterrollen verbunden] wird. Ob durch trashige Parodien auf
       Alltagssexismus, provokante Lipsync-Battles gegen LGBTQIA+-Feindlichkeit
       oder Performances, die Rassismus thematisieren: Die Kunstform ist häufig
       hochpolitisch.
       
       ## Aufmerksamkeit schaffen
       
       „Ich kann in Drag meine wildesten Ideen ausleben“, erzählt Ingo Haller
       begeistert. Er ist 28 Jahre alt, lebt in Stuttgart und verkörpert die
       Dragqueen „Inge Ringle“. Neben klassischeren Performances, in denen die
       Drag sich elegant in glamouröser Kleidung über die Bühne bewegt, ist Inge
       Ringle auch: eine Klimadrag.
       
       Zu Beginn seines Dragseins stand klimapolitisches Engagement für Haller
       noch im Konflikt mit der Kunstform. Drag lebt von auffälligen
       Kleidungsstücken, glitzernder Schminke, aufwendigen Perücken und
       Accessoires, die oft aus Materialien bestehen, die nicht nachhaltig sind.
       Haller näht zwar auch eigene Outfits und versucht Secondhand zu kaufen,
       trotzdem bestelle er viel über Amazon.
       
       Auch nachhaltiges Schminken sei ein Problem: „Bio-Make-up kann nicht genug
       decken.“ Inzwischen habe er mindestens 13 Paar Highheels in seinem Schrank,
       und Drag und Nachhaltigkeit schließen sich für ihn längst nicht mehr aus.
       Wichtiger sei ihm die Aufmerksamkeit, die er mit seinen provokanten
       Auftritten für den Klimawandel schafft.
       
       Dragsein gebe ihm eine gewisse Narrenfreiheit, sagt Ingo Haller. Er kann
       sich kreativ ausleben und zugleich politisch aktiv sein. „Es gibt mir Kraft
       und Selbstbewusstsein.“ Schon von klein auf war er ein „richtiges
       Theaterkind“, interessierte sich für Make-up und Schauspielerei. Drag
       entdeckte er erst 2018 mit Anfang 20, durch Enzo, „einen hübschen schwulen
       Pariser“. Seitdem lasse ihn die Dragkultur nicht mehr in Ruhe.
       
       ## Kostüm mit Wortwitz
       
       Inge Ringle ist eine Schaumgeburt. Ihren ersten Auftritt hatte sie 2019,
       als sie mit Theaterfreunden an einem See in Brandenburg war. Zu diesem
       Zeitpunkt hatte Haller noch nie eine andere Drag in Realität getroffen. Er
       hat sich die Kunstform selbst angeeignet, ohne Unterstützung einer
       sogenannten Dragfamilie. Das System einer Dragfamilie soll dabei helfen,
       Anschluss in der Dragwelt zu finden.
       
       Ursprünglich kommt das Konzept aus den 80ern aus New York. Die
       Gemeinschaften sollen einen sicheren Raum für queere Personen bieten. Eine
       „Adoption“ in sogenannte Dragfamilien soll Unterstützung, Anleitung und
       Schutz bieten. Die Familien kümmern sich umeinander und bringen sich
       gegenseitig Dinge bei.
       
       Seit dem Stuttgarter Christopher Street Day (CSD) 2022 macht Ingo Haller
       regelmäßig Drag. Dort erlebte er auch das erste Mal andere Dragqueens. „Und
       ich war eine von ihnen – in einem selbstgenähten Outfit und mit
       Birkenstocks.“ Heute ist Haller fester Bestandteil der Stuttgarter
       Dragszene und tritt etwa ein- bis zweimal im Monat als Inge Ringle auf.
       
       Seine Ideen für die Kostüme beginnen meist durch einen Wortwitz. Dann
       entwickelt er in seinem Kopf eine konkretere Vorstellung des Outfits – ohne
       sie aufzuschreiben. „Wenn die Idee gut ist, kommt sie wieder.“ Setzt sich
       eine Idee fest, geht es für Haller an die Nähmaschine, ein Erbstück seines
       Vaters. Früher habe dieser mit der Maschine seine Drachen fürs Kitesurfen
       repariert und Haller dabei das Nähen beigebracht.
       
       ## Neue Perspektiven durch Drag
       
       Parallel zu seiner Drag-Entwicklung hat Haller den Weg in den
       Klimaaktivismus gefunden. Während seines Architekturstudiums habe er sich
       2018 in einem Seminar mit ressourcenschonendem und klimagerechtem Bauen
       auseinandergesetzt. Hier kam er zum ersten Mal so richtig mit dem Thema
       Klimawandel in Berührung – und lässt es seitdem nicht mehr los.
       
       2019 gründete Haller mit damaligen Kolleg:innen einen
       Nachhaltigkeitsstammtisch, ab 2022 engagierte er sich bei Architects 4
       Future Stuttgart.
       
       Durch sein Engagement lernte Haller viele Personen in der Klimabewegung
       kennen. Gemeinsam mit anderen klimapolitischen Aktivist:innen gründete
       er 2023 die Drags 4 Future, die sich auch Klimadivas nennen. Die Gruppe
       möchte frischen Wind in die Szene bringen. „In den letzten Jahren hat sich
       die Klimabewegung stark verändert“, so Haller.
       
       Er habe das Gefühl, [3][bei der Fridays-for-Future-Bewegung und der
       ehemaligen Letzten Generation sei die Luft raus.] Auch die Akzeptanz der
       Bevölkerung für störenden Klimaaktivismus sei immer geringer. „Dabei ist
       der nötige Wandel, um eine Klimakatastrophe zu verhindern, noch lange nicht
       erreicht.“ Durch Drag hofft er, neue Perspektiven zu eröffnen und Menschen
       für den Klimaschutz zu sensibilisieren.
       
       ## Kampf um Klimagerechtigkeit und Rechte für Queers
       
       Es habe Angst vor einem Sturm, der nicht aus Wind, sondern aus Ignoranz
       besteht, erzählt das glitzernde Windrad auf dem Stuttgarter Marktplatz.
       „Der Wind of Change weht zurzeit aus der falschen Richtung“, warnt Inge
       Ringle, sie spielt damit auf den Rechtsruck in Deutschland an. Die AfD
       wolle nicht nur Windräder abreißen, sie bedroht auch ganz konkret die
       Rechte und Lebensweisen queerer Personen.
       
       Die Klimakrise und der Kampf um queere Rechte haben die gleiche Grundlage,
       erklärt Ingo Haller: ein System, das marginalisierte Gruppen zurücklässt
       und besonders denjenigen Schutz bietet, die privilegiert sind. Queere
       Menschen haben durch Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung,
       Geschlechtsidentität oder ihrer Geschlechtsmerkmale weniger stabile
       Strukturen, auf die sie sich verlassen können.
       
       Auch in einem kapitalistischen System seien bei der Klimakrise starke
       Ungerechtigkeiten zu spüren. [4][Wer viel Geld hat, kann sich besser vor
       den Folgen der Klimakrise schützen.] Queere Personen leben
       überdurchschnittlich oft in Armut. „Klimaschutz ist Homo(sapiens)schutz“,
       betont Inge Ringle, denn die Schnittmenge zwischen Queerness und Klimakampf
       sei groß. Aber auch von der queeren Community werde das noch nicht
       ausreichend realisiert. Mit ihren Auftritten will sie eine klare Verbindung
       aufzeigen.
       
       Noch ist die Klimadrag-Szene klein. Haller möchte mit seinen Auftritten als
       Klimadiva Inge Ringle Personen dazu inspirieren, sich auf kreative Art für
       das Klima einzusetzen. „Protest kann witzig sein, Protest kann Kunst sein,
       Protest kann Wind machen – und genau das brauchen wir.“
       
       21 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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