# taz.de -- Asylpläne von SPD und Union: „Rassismus ist ein Standortnachteil“
       
       > Union und SPD wollen Geflüchtete künftig zurückweisen. Das dürfte an den
       > europäischen Partnern scheitern, sagt Pro-Asyl-Experte Karl Kopp.
       
 (IMG) Bild: Künftig auch ohne Rechtsbeistand: Sammelabschiebung nach Pakistan
       
       taz: Herr Kopp, in Ihrem Sondierungspapier haben Union und SPD die
       Zurückweisung von Asylsuchenden festgeschrieben. Stehen wir vor dem Ende
       jeder Flüchtlingsaufnahme in Deutschland? 
       
       Karl Kopp: Was die künftige Bundesregierung plant, ist inhuman und schäbig.
       Aber ich glaube nicht, dass Deutschland wirklich im Alleingang Asylsuchende
       zurückweisen wird. Union und SPD streiten ja gerade noch darüber, was es
       genau bedeutet, wenn Zurückweisungen „in Absprache“ mit den Nachbarländern
       geschehen sollen. Dabei ist klar: Schutzsuchende an den Binnengrenzen
       zurückzustoßen, ist eindeutig europarechtswidrig.
       
       taz: Aber der Union ist das offenkundig egal. 
       
       Kopp: Es gibt ein geregeltes Verfahren im Rahmen der
       Asylzuständigkeitsverordnung. Friedrich Merz will in der Sicherheitspolitik
       eine europäische Koalition der Willigen schaffen. Da kann er nicht parallel
       einen nationalen Alleingang in der Flüchtlingspolitik machen, die
       Verbündeten vor den Kopf stoßen und die Reste des europäischen
       Schutzsystems zerlegen.
       
       taz: Das bedeutet, die von der Union groß angekündigte Asylwende fällt aus? 
       
       Kopp: Die sogenannte Asylwende ist de facto eine weitere Demontage des
       Asylrechts. Das Sondierungspapier macht klar: Flüchtlinge sollen draußen
       bleiben. Und bereits diese Botschaft könnte eine Kaskade der Abschottung in
       anderen EU-Staaten auslösen. Deutschland wird Teil der Koalition der
       Unwilligen bei der Flüchtlingsaufnahme: Zerstritten bei der Aufnahme, sorgt
       man gemeinsam dafür, dass Flüchtlingen der Zugang zu Schutz in Europa
       verwehrt wird.
       
       taz: Wie soll das funktionieren? 
       
       Kopp: Deutschland ist das mächtigste Land der EU. Und Union und SPD
       verfolgen mit ihrem Sondierungspapier natürlich auch eine
       Kommunikationsstrategie. Darin heißt es zum Beispiel, „sekundäre Migration“
       müsse „in den Blick“ genommen werden.
       
       taz: Gemeint sind etwa Flüchtlinge, die weiterziehen, nachdem sie in einem
       EU-Staat bereits Schutz erhalten haben. 
       
       Kopp: Deutschland hat bisher Zehntausende Asylsuchende und anerkannte
       Flüchtlinge aufgenommen, die den menschenunwürdigen Bedingungen in
       Griechenland entfliehen. Union und SPD signalisieren nun, dass damit
       Schluss sein soll. Griechenland will die Flüchtlinge aber auch nicht haben
       und wird deshalb harte und menschenrechtswidrige Wege finden, sie ganz
       fernzuhalten. Die brutale Praxis der griechischen Grenzschützer ist
       umfangreich dokumentiert.
       
       Welche Rolle spielt der jüngste Vorschlag der EU-Kommission, die
       Rückführungsrichtlinie zu verschärfen? 
       
       Der Vorschlag der EU-Kommission soll die europäische
       Abschottungsgemeinschaft vollenden. Auch Brüssel will mehr Haft,
       Einschränkungen sozialer Leistungen und neue Deals mit Drittstaaten.
       Abgelehnte Asylsuchende sollen gegen ihren Willen in ihnen komplett fremde
       Länder geschickt werden – ein weiterer Tiefpunkt der EU-Asyl- und
       Migrationspolitik.
       
       taz: Warum macht die SPD bei der Zerstörung des Flüchtlingsschutzes mit? 
       
       Kopp: Union und SPD hatten sich auf die Reform der Schuldenbremse und auf
       ein neues Sondervermögen geeinigt, bevor über Migration gesprochen wurde.
       Das war ein Erfolg für die SPD. Die Union hat im Gegenzug gewichtige Teile
       ihrer asylfeindlichen Agenda bekommen.
       
       taz: Deutschland wurde schon mehrmals von einer großen Koalition regiert.
       Noch vor zehn Jahren – im Sommer 2015 – verfolgten Union und SPD eine
       Flüchtlingspolitik, die sogar Linke lobten. 
       
       Kopp: Die Entscheidung im September 2015 war historisch richtig. Davon ist
       nichts übrig geblieben. Am Samstag kam das größte Massaker in Syrien seit
       Jahren ans Licht. Am selben Tag stellten Union und SPD ihr
       Sondierungspapier vor, in dem sie ankündigen, nach Syrien abzuschieben –
       „beginnend mit Straftätern und Gefährdern“. Es wird bald also auch um
       Menschen ohne Vorstrafen gehen. Das versetzt die große syrische Community
       in Deutschland in Angst und Schrecken.
       
       taz: Andere drastische Pläne verbergen sich im Sondierungspapier hinter
       unauffälligen Formulierungen. Da ist etwa dieser Satz, wonach in
       Asylverfahren aus dem „Amtsermittlungsgrundsatz“ künftig der
       „Beibringungsgrundsatz“ werden soll. Was hat es damit auf sich? 
       
       Kopp: Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet Asylbehörden, alle
       relevanten Tatsachen selbst zu ermitteln, um faire Entscheidungen zu
       gewährleisten. Der Beibringungsgrundsatz hingegen würde die Beweislast
       vollständig auf die Schutzsuchenden verlagern – eine gravierende und
       potenziell europarechtswidrige Verschärfung.
       
       taz: Union und SPD wollen auch den Rechtsbeistand für Menschen streichen,
       die in Abschiebehaft genommen werden sollen. 
       
       Kopp: Dass dieser Rechtsbeistand eingeführt wurde, war einer der wenigen
       positiven Aspekte unter den Verschärfungen der Ampelregierung.
       Untersuchungen zeigen, dass Abschiebehaft in fast 50 Prozent der Fälle
       rechtswidrig verhängt wird. Da ist es geboten, dass man Betroffenen, die
       ihrer Freiheit beraubt werden, Anwält*innen zur Seite stellt.
       
       taz: Außerdem sollen weitere Staaten zu „sicheren“ Herkunftsländern erklärt
       werden. Wer von dort kommt, hat praktisch keine Chance, einen Schutzstatus
       zu bekommen. Um welche Länder wird es gehen? 
       
       Kopp: Wahrscheinlich wird die Union es zunächst wieder mit den
       Maghreb-Staaten versuchen. Wir haben gesehen, dass selbst die Grünen bereit
       waren, Länder als sicher zu erklären, die alles andere als sicher sind. In
       Georgien, das 2023 zum sicheren Herkunftsstaat deklariert wurde, wird jetzt
       die Opposition von einer putinfreundlichen Regierung niedergeknüppelt.
       
       taz: Das alles klingt ziemlich düster. Wie wird Pro Asyl dagegen ankämpfen? 
       
       Kopp: Es gilt jetzt, weitere Restriktionen zu verhindern und rechtswidrige
       Praktiken vor die Gerichte zu bringen. Dafür hat Pro Asyl einen
       Rechtshilfefonds. Wir unterstützen Klagen der Schutzsuchenden bis zu den
       höchsten europäischen Gerichten.
       
       taz: Letztes Jahr erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster überraschend,
       Syrien sei sicher. Das wurde weithin als Zeichen dafür interpretiert, dass
       der flüchtlingsfeindliche Zeitgeist auch vor den Gerichten nicht haltmacht.
       Wollen Sie sich wirklich auf die Richter*innen verlassen? 
       
       Kopp: Wenn das gesellschaftliche Klima hartherzig wird, dann droht sich das
       auch in der Rechtsprechung niederzuschlagen. Das OVG-Urteil war übrigens
       absolut faktenarm bezogen auf die Situation in Syrien unter der Herrschaft
       von Assad. Wir brauchen beides: eine gute Prozessstrategie, aber auch
       gesellschaftspolitische Interventionen.
       
       Was bedeutet das konkret? 
       
       Kopp: Wir verteidigen die offene Flucht- und Migrationsgesellschaft. Wir
       müssen auch dorthin gehen, wo es wehtut – an Orte, wo die Akzeptanz für
       Geflüchtete schwindet oder offen feindselig ist. In dieser aufgeputschten
       Debatte gilt es, über die Erfolgsgeschichten zu sprechen – über Menschen,
       die hierher flüchten und es trotz aller Hürden schaffen, sich ein neues
       Leben aufzubauen und Teil der Gesellschaft zu werden. Dazu kommt: Es wird
       nicht funktionieren, Fachkräfte anzuwerben, wenn Deutschland in der
       Flüchtlingspolitik seine hässliche Seite zeigt. Rassismus ist ein
       Standortnachteil.
       
       taz: Nicht nur Deutschland oder andere europäische Länder, auch die USA
       schotten sich immer mehr ab. Stehen Sie nicht auf verlorenem Posten? 
       
       Kopp: Klar, wir haben zuletzt Boden verloren. Die Orbanisierung schreitet
       auch in Deutschland voran, wie die [1][Angriffe der Union auf
       Organisationen zeigen]. Aber wir haben immer noch eine sehr starke
       Zivilgesellschaft, wie übrigens auch andere europäische Länder. Das hat man
       auch im Wahlkampf gesehen, als plötzlich Hunderttausende dagegen
       demonstrierten, dass die Union mit den Rechtsextremen paktierte.
       
       taz: Denken Sie, dass Deutschland wirklich noch einmal zu einer humaneren
       Flüchtlingspolitik zurückfindet? 
       
       Kopp: Ich arbeite seit über 30 Jahren im Asylbereich. In dieser Zeit gab es
       massive Niederlagen, etwa den sogenannten Asylkompromiss von 1993, als das
       Asylrecht entkernt wurde. Wir haben in zivilgesellschaftlichen Bündnissen
       an der Seite der Asylsuchenden Rechte zurückerkämpft – das ist meist ein
       langer, kräftezehrender und leidvoller Weg für die betroffenen
       Geflüchteten. Als Pro Asyl 2007 im Rahmen der Kampagne „Stoppt das Sterben
       im Mittelmeer“ eine europäische Seenotrettungsmission gefordert hat, war
       die Reaktion im Europaparlament eher ungläubiges Staunen. Als am 3. Oktober
       2013 Hunderte Bootsflüchtlinge vor Lampedusa starben, wurde die
       Rettungsoperation Mare Nostrum installiert.
       
       taz: Ein Jahr später wurde sie aber schon wieder beendet 
       
       Kopp: Schlimmer noch: Es gibt immer noch keine europäische Seenotrettung,
       die Politik des Sterbenlassens geht weiter. Aber es gibt eine starke
       Allianz zivilgesellschaftlicher Seenotrettung, die tausendfach Leben
       rettet.
       
       13 Mar 2025
       
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