# taz.de -- „Atlas“ am Hamburger Schauspielhaus: Gruselig gut vernetzt
       
       > Calle Fuhr beleuchtet am Schauspielhaus Lobby-Organisationen wie „Atlas
       > Network“. Sein „Bühnenessay“ ignoriert leider die Möglichkeiten des
       > Theaters.
       
 (IMG) Bild: Der Klima-Zündler aus dem Bundestag: Samuel Weiss als FDP-Abgeordneter Frank Scheffler
       
       Atlas, das ist in der griechischen Mythologie der Titan, der das Universum
       auf seinen Schultern trägt. Atlas, das ist auch ein 1981 gegründetes
       Netzwerk voller „libertärer“ Akteur*innen: [1][ein gruselig gut vernetzter
       Thinktank, auf dessen Agenda unter anderem die Verbreitung
       „klimaskeptischer“ Positionen steht]. Diesem Atlas widmet [2][Calle Fuhr]
       einen Theaterabend, entstanden in Kooperation mit den Rechercheur*innen
       von Correctiv.
       
       Es ist nicht ihre erste Zusammenarbeit: Im November 2023 entwickelte Fuhr
       mit dem investigativjournalistischen [3][Correctiv-Netzwerk] „Das Kraftwerk
       – ein Recherchestück über Kohle, Wasser und die Ewigkeit“ [4][für das
       Staatstheater Cottbus]. Der Abend gab Einblicke in die Folgen des
       Kohleausstiegs für die Wasserversorgung und -qualität in der Lausitz und
       wurde im vergangenen Jahr zum Festival „radikal jung“ eingeladen.
       
       Fuhr ist überzeugter Macher von Dokumentartheater. In „Atlas“ widmet er
       sich nun also der Klimakrise – beziehungsweise deren Verschwinden aus der
       Medienöffentlichkeit. Waren vor wenigen Jahren die Feeds und Zeitungen noch
       voll von Klima-Schlagzeilen, spielte das Thema etwa bei den Europawahlen
       2024 kaum eine Rolle mehr, und noch weniger bei den jüngsten
       Bundestageswahlen. Trotz etlicher Jahrhunderthochwasser und
       rekordverdächtiger Zigtausender Hitzetote scheint Klimaschutz politisch
       quasi egal geworden zu sein. Ist das Zufall oder Absicht? Ein Effekt der
       krisenreichen Weltlage – oder durch gezielten Lobbyismus bewirkt?
       
       ## Medien, Macht und Manipulation
       
       Bei ihren Recherchen zu diesen Fragen stieß die Klima-Redaktion von
       Correctiv auf jenes „Atlas Network“, ein ziemlich intransparentes Netzwerk.
       Es unterstützt und koordiniert weltweit Organisationen, beauftragt
       tendenziöse Studien, nimmt Einfluss auf Medien und Berichterstattung. Wie,
       wann und warum es mit wem verstrickt ist, welche Macht und Manipulationen
       es auf den öffentlichen Diskurs zu leisten vermag, das will Fuhr in seinem
       Theaterabend erklären: ein ambitioniertes, ein schwieriges Unterfangen.
       
       Dafür versuchen Samuel Weiss, Josefine Israel, Sasha Rau und Maximilian
       Scheidt das Recherchematerial zu schauspielerischem Leben zu erwecken. Sie
       schlüpfen mal kurz in die Rolle – und damit auch in das very british
       angehauchte, von Jana Sophia Schweers entworfene Kostüm – des Unternehmers
       und Atlas-Gründers Antony Fisher. Oder spielen ein Podcast-Gespräch
       zwischen Justus Haucap, einem offenbar ziemlich käuflichen
       Gutachtenschreiber, und Lars Feld, ehemals Chefberater von Christian
       Lindner, demnächst ehemaliger FDP-Chef.
       
       Neben dem gemeinsamen Podcast „Das Ökonomie-Briefing“ eint die
       Ökonomie-Professoren, eben, ihre Nähe zu Atlas, ferner die Vorliebe für
       schlagende Verbindungen. Zum Schaudern saturiert erzählen also Sasha Rau
       und Josefine Israel als Professoren-Duo von ihren Karriere-Highlights,
       ihren verbindlichen Verbindungen zu Politik und Wirtschaft – und sagen
       Sachen wie: „Über Gutachten kann man wahnsinnig gut Einfluss ausüben.“
       
       ## Guter Vortrag, schwache Bilder
       
       In einer anderen Szene spöttelt Samuel Weiss in herrlich arrogantem Ton als
       Frank Schäffler, Bundestagsabgeordneter der FDP, über die Klimakrise, Die
       Letzte Generation sowie Kartoffelpüree. Und er freut sich über seine
       wirksame Nähe zum Axel-Springer-Verlag. Zwischendurch schleppen die
       Darsteller*innen umzugskistenweise Material herbei, stapeln ordnerweise
       Recherchen, und rappen den Versuch, Übersicht zu bringen in die
       unübersichtlichen Zusammenhänge; großartig changierend zwischen Verwirrung
       und Faszination: Maximilian Scheidt.
       
       Unermüdlich versuchen die vier Schauspieler*innen jeden spielbaren
       Freiraum zu finden und zu füllen. Allein: Allzu viel davon gibt es nicht,
       und das liegt in der Natur der Sache. Aufklärerisches Dokumentartheater und
       fiktionale Fantasien passen nicht gut zusammen. Fakten wollen und sollen
       Fakten bleiben, abweichend Spielfreudiges bleibt entsprechend auf der
       Strecke.
       
       So funktioniert dieser extrem gut recherchierte, wichtige Abend in weiten
       Teilen nach dem Prinzip „interaktiver Vortrag“: Ein*e Darsteller*in
       erklärt die Sachlage und trägt monologisierend recherchierte Ergebnisse und
       erschreckende Erkenntnisse vor; ein*e weiter*e Schauspieler*in
       unterbricht und rekapituliert mit Nach- und Zwischenfragen – zarte
       Interaktion inklusive.
       
       Nach wenigen Szenen, die Überschriften wie „Atlas am rechten Rand“ oder
       „How to hijack den öffentlichen Diskurs“ tragen, hat Fuhrs „Atlas“ die
       möglichen Weiten des Theaterraums verlassen und gerät zum trockenen,
       maximal informativen, höchstens noch ganz fein parodistischen Frontalkurs
       über ekelhafte Strippenzieher, skrupellose Korruption und selbstsüchtige
       Machenschaften. Angekündigt ist das als „Bühnenessay“. Lässt man sich
       darauf ein, fühlt man sich danach mindestens so gut informiert wie nach
       einem Arte-Themenabend. Allein die Bilder sind nicht ganz so stark.
       
       9 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Lindner-und-die-Schuldenbremse/!6065628
 (DIR) [2] /!6009921/
 (DIR) [3] /Kritik-nach-CDU-Anfrage-an-NGOs/!6070477
 (DIR) [4] https://www.staatstheater-cottbus.de/de/programm/repertoire/artikel-das-kraftwerk-ein-theaterabend-ueber-kohle-wasser-und-ewigkeit.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Ullmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Theater
 (DIR) Lobbyismus
 (DIR) Essay
 (DIR) Deutsches Schauspielhaus
 (DIR) Schwerpunkt Demos gegen rechts
 (DIR) Theater
 (DIR) Elon Musk
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kritik nach CDU-Anfrage an NGOs: Science for Zivilgesellschaft
       
       Die Kritik am Angriff der Union auf NGOs reißt nicht ab. Eine Erhebung des
       Dezim-Instituts zeigt: Vor allem Ehrenamtliche ziehen sich bereits zurück.
       
 (DIR) Dokumentartheater über Signa: Die Blase musste platzen
       
       Der „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ füllt das Wiener Volkstheater
       bis auf den letzten Platz. Der Abend wird zum Scherbengericht.
       
 (DIR) Der Rechtslibertarismus des Elon Musk: Internetkrieger in erster Reihe
       
       Auch wenn Medien es gern übersehen: Der US-Unternehmner Elon Musk ist
       rechtslibertär. Seine Einstellung wird immer extremer. Eine Beweisführung.