# taz.de -- Bob-Dylan-Film „Like a Complete Unknown“: Der ewig Rätselhafte
       
       > Kein typisches Biopic: „Like a Complete Unknown“ mit Timothée Chalamet
       > erzählt an der Oberfläche, fängt aber die Faszination der Musik ein.
       
 (IMG) Bild: Bob Dylan (Timothée Chalamet) nimmt im Studio „Like a Rolling Stone“ auf
       
       Hollywood hat Hunger auf große Musiklegenden: Freddie Mercury, Elton John,
       Elvis Presley – über ihrer aller Leben wurden in den vergangenen Jahren
       hochbudgetierte Filmbiografien gedreht. Die Logik dahinter liegt auf der
       Hand: Überlebensgroße Weltstars, deren Alben sich Hunderte Millionen Mal
       verkauften, lassen sehr wahrscheinlich auch die Kinokassen klingeln.
       
       Große Filmkunst sind diese Werke in der Regel nicht, aber die Rechnung geht
       auf. Und so dehnt sich der Kreis der Künstler, die für ein solches
       Unterfangen infrage kommen, immer weiter aus: auf jüngere und noch lebende
       Sänger wie Robbie Williams („Better Man“) oder vor nicht allzu langer Zeit
       jung verstorbene Musikerinnen wie Amy Winehouse („Back to Black“).
       
       Umso erstaunlicher ist es, dass sich erst jetzt eine große Produktion dem
       legendären Bob Dylan widmet. Vielleicht, weil der letzte Film über ihn gar
       nicht so weit zurückliegt: [1][„I’m Not There“] musste zwar noch mit einem
       deutlich geringeren Budget auskommen als nun „Like a Complete Unknown“.
       Allerdings wurde Todd Haynes' im Jahr 2007 erschienenes Biopic von der
       Kritik hoch gelobt und ist durch seine ungewöhnliche Annäherung an den
       Künstler gut in Erinnerung geblieben.
       
       Gleich sechs Schauspielerinnen und Schauspieler verkörperten darin Bob
       Dylan, darunter Heath Ledger, Cate Blanchett und Richard Gere. Statt sich
       eines einfachen Spannungsbogens zu bedienen, ließ der Filmemacher die
       vielen verschiedenen Facetten des unangepassten Singer-Songwriters in einer
       fragmentarischen Collage aus surrealen Erzählsequenzen und den bekannten
       Stationen seines Lebens aufblitzen.
       
       Weshalb, das nahm Todd Haynes’ Film damals direkt im Auftakt vorweg: „Poet,
       Prophet, Outlaw, Fake – elektrisierender Star: Selbst der Geist ist mehr
       als ein Mensch“, hieß es da.
       
       Und womöglich ist das ein weiterer Grund dafür, dass bisher noch kein
       massentauglicher Blockbuster über den Meister der Metamorphose für das
       Mainstreamkino produziert wurde: Die Vita des Bob Dylan, der als bislang
       einziger Musiker den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist wie sein
       Schaffen zu vielseitig, um es in ein marktkonformes Biopic im Geiste von
       „Bohemian Rhapsody“, „Rocketman“ oder [2][„Elvis“] zu zwängen – Filme, die
       auf erstaunlich gleichförmige Weise von eigentlich gänzlich verschiedenen
       Persönlichkeiten erzählen und dabei (meist) ihren gesamten Lebensweg in
       eine immer ähnliche Geschichte pressen.
       
       Auf das anfängliche Außenseitertum folgt ein kometenhafter Aufstieg, dann
       die Krise am Höhepunkt der Karriere – meist in Form von Drogen-, Tabletten-
       und/oder Alkoholsucht. Und nach der augenöffnenden Läuterung kommt das
       große Comeback, das triumphale Finale oder zumindest die versöhnliche
       Schlussnote.
       
       ## Der Anfang seiner Karriere
       
       [3][Regisseur James Mangold („Indiana Jones und das Rad des Schicksals“)],
       der zusammen mit [4][Jay Cocks („Silence“)] auch das Drehbuch schrieb,
       versucht erfreulicherweise erst gar nicht, mit „Like a Complete Unknown“
       eine ganzheitliche Filmbiografie über Bob Dylan vorzulegen. Stattdessen
       konzentriert sich die Handlung auf einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt
       aus der langen Karriere des bis heute auftretenden 83-jährigen Musikers.
       
       In den frühen 1960er Jahren wird von seinen musikalischen Anfängen erzählt,
       den ersten Erfolgen in der Folkszene, seiner Entwicklung zur Stimme der
       Protestbewegung in den USA – bis hin zu seinem berühmt-berüchtigten
       Auftritt beim Newport Folk Festival 1965. Dort stand Bob Dylan erstmals
       mit einer Band, elektrische Musikinstrumente inklusive, auf der Bühne und
       wandte sich damit vom politischen Folk ab und dem Rock zu.
       
       Der Titel des Films, dem Song „Like a Rolling Stone“ entlehnt, spricht
       durchaus für sich: Durch seinen Erzählfokus macht „Like a Complete
       Unknown“ begreiflich, warum der Künstler bis heute als Wandler zwischen
       den Welten, als großer Einzelgänger gilt, der sich nie lange in einer Szene
       zu Hause fühlte oder sich einer dezidierten politischen Strömung zuordnen
       lassen will.
       
       ## Reputation des Mythischen
       
       James Mangold zeigt Bob Dylan als den ewig Rätselhaften, was ganz im
       Einklang mit seinem öffentlichen Ruf steht. Diese Reputation des Mythischen
       trägt maßgeblich zur anhaltenden Faszination für den Künstler bei – und
       auch der Film profitiert zweifellos davon. Bob Dylan auf diese Weise zu
       porträtieren, bedeutet jedoch gleichzeitig, ihm weder näherzukommen noch
       neue Perspektiven auf die bekannten Etappen seines Lebens zu eröffnen.
       
       Was den zu Beginn des Filmes erst 19-jährigen Bob Dylan (Timothée Chalamet)
       antreibt, wird somit auch in „Like a Complete Unknown“ nicht näher
       thematisiert oder interpretiert. Mit Schiebermütze, Gitarrenkoffer und
       Leinenrucksack kommt er in New York an, um sein großes Vorbild, den an der
       Huntington-Krankheit leidenden Musiker Woody Guthrie (Scoot McNairy) im
       Krankenhaus zu besuchen.
       
       Er spielt ihm und dem Künstlerkollegen Pete Seeger (Edward Norton) einen
       eigens geschriebenen Song vor. Die beiden Größen der Folkmusik sind
       umgehend begeistert und Bob Dylans großes Genie ist einfach da. Dank
       Seegers Unterstützung, der in der Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegung aktiv
       ist, ist der Weg zum ersten Auftritt und Plattenvertrag dann nicht mehr
       weit.
       
       Vom schlichten Coversänger steigt Dylan mit Songs wie „Blowin’ in the Wind“
       und „Masters of War“ im Handumdrehen zum Helden der sozialkritischen
       Folkszene auf. Was ihn an dieser Entwicklung wirklich reizt, wird im Film
       ebenfalls nur angedeutet: Immer wieder sind Fernsehbilder großer
       politischer Ereignisse zu sehen, der Vietnamkrieg flirrt bisweilen über die
       Mattscheibe, und seine Freundin Sylvie erinnert ihn daran, dass die ernste
       politische Lage dringend nach einer entschlosseneren Musik verlangt – statt
       der immer gleichen Gassenhauer.
       
       ## Ein Hauch von Eifersuchtsdrama
       
       Der Versuch, Bob Dylan in die gesellschaftspolitische Aufbruchstimmung der
       Zeit einzubetten, bleibt letztlich ebenso bruchstückhaft wie die Beziehung
       zu Suze Rotolo, die im Film Sylvie Russo (Elle Fanning) heißt. Das komplexe
       Verhältnis zu Joan Baez (Monica Barbaro), die bereits vor Bob Dylan in der
       Folkszene aktiv war, und – unfähig, eigene Songs zu schreiben – bald die
       seinen interpretiert, wird im Film wiederum vor allem als weiterer Beweis
       seines Genies angeführt.
       
       Ein Hauch von Eifersuchtsdrama schleicht sich ein, als Baez und Dylan
       schließlich gemeinsam auf der Bühne stehen und Partnerin Sylvie mit der
       elektrisierenden Bühnenpräsenz der beiden hadert. Doch auch dieser Konflikt
       wird nicht ausreichend vertieft, um eine echte emotionale Fallhöhe
       aufzubauen.
       
       Dass „Like a Complete Unknown“ als gediegener Unterhaltungsfilm dennoch
       fesselt, liegt weniger an der Handlung als an der Art, wie Bob Dylans Musik
       zum Leben erweckt wird. Regisseur James Mangold lässt deutlich mehr
       Originalsongs als viele andere Musikerbiografien mit einfließen und lässt
       Klassiker wie „Like a Rolling Stone“, „It Ain’t Me, Babe“ und „It’s All
       Over Now, Baby Blue“ nahezu in voller Länge erklingen.
       
       Timothée Chalamet sang während der Dreharbeiten 40 Songs selbst ein,
       spielte dazu Gitarre und Mundharmonika. Obwohl seine Züge doch deutlich
       weicher sind als die Bob Dylans, ist seine äußerliche Ähnlichkeit samt
       wilder Lockenfrisur im Film frappierend – und auch Chalamets androgynes
       Charisma, die leicht entrückte jugendliche Hybris, die fest zu seinem Image
       gehört, fügt sich nahtlos in die Figur ein. Seine Oscarnominierung ist
       ebenso verdient wie jene in den Nebendarstellerkategorien für Edward Norton
       und Monica Barbaro, die aus einer leidlich ausgearbeiteten Rolle noch das
       Maximum herausholt.
       
       Dass es letztlich stolze acht Oscarnominierungen geworden sind, ist ein
       wenig viel der Auszeichnungseuphorie, überrascht aber kaum: Nicht nur die
       Hollywoodstudios haben Hunger auf Filmbiografien, auch die Academy liebt
       sie. Und in diesem Fall trifft diese Anerkennung bei allen erzählerischen
       Schwächen auch nicht den gänzlich falschen Film. „Like a Complete Unknown“
       kann die Begeisterung für Bob Dylan (neu) entfachen – und das ist immerhin
       mehr, als dem Gros vergleichbarer Filmbiografien gelingt.
       
       25 Feb 2025
       
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