# taz.de -- Geschlechtsstereotype im Kaufhaus: Der Graben durch die Babyabteilung
       
       > Mädchen lieben Rosa, Jungs tragen Blau. Die „Pink Globalization“ der
       > Konsumindustrie ist auch im Jahr 2025 noch ungebrochen.
       
 (IMG) Bild: Pinkfarbener Messestand von Mattel auf der Spielwarenmesse in Nürnberg, Februar 2017
       
       Montagnachmittag in der Kinderabteilung von H&M: Eine Mutter sucht eine
       Sporthose für ihr Kind. Die [1][Verkäuferin] führt die beiden in die
       Mädchenabteilung. „Hier haben wir die Leggins; wenn es eher etwas weiter
       sein soll, gibt es diese pinke Jogginghose.“ Die etwa 10-Jährige presst die
       Lippen zusammen. „Du wolltest lieber eine andere Farbe, oder?“, fragt die
       Mutter vorsichtig.
       
       Draußen vor der Tür ist Berlin, wo kaum jemand mit der Wimper zuckt, wenn
       Menschen ihre Identität abseits von binären Geschlechtervorstellungen frei
       ausdrücken. Aber hier drinnen müssen Kund*innen sich entscheiden: „IST ES
       EIN JUNGE ODER EIN MÄDCHEN?“, schreit es einen an, sobald man die
       Kinderabteilung betritt. Mitten durch die Etage verläuft ein Graben, auf
       der einen Seite die Rosatöne, Blümchen, Herzchen und Rüschen. Auf der
       anderen ist es blau und grau, Trecker, Dinos und Raketen zieren die
       Pullover. Zwischentöne gibt es kaum.
       
       ## Die „rosa Welle“ ist ungebrochen
       
       Während immer mehr Eltern sich darüber Gedanken machen, wie sie ihren
       Kindern ein Aufwachsen frei von Geschlechterstereotypen ermöglichen können,
       [2][rollt die „rosa Welle“] weiter ungebrochen durch die Kaufhäuser. Auf
       ihrem Weg erfasst sie alles, was der Markt für Kinder so zu bieten hat. Die
       Produktwelten von Barbie oder Lilifee breiten sich ungehindert aus und
       durchdringen bei Mädchen fast alle Lebensbereiche, von der Zahnbürste zur
       Bettwäsche, von der Kleidung bis zu Kinderbüchern, Filmen oder
       Gesellschaftsspielen.
       
       [3][„Pink Globalization“] nennt die Anthropologin Christine Reiko Yano das
       Phänomen, das uns seit den 90ern begleitet. Sie meint, dass diese Form der
       Globalisierung, statt abzuflauen, immer weiter Fahrt aufnimmt.
       
       Bei den Kleidungsstücken, die in den Kinderabteilungen über den
       Verkaufstresen gehen, unterscheiden sich nicht nur die Farben und Muster,
       sondern auch die Schnitte. Für die Jungen gibt es Latzhosen, Jacken aus
       festem Stoff, für die Mädchen niedliche feine Kleidchen aus Tüll,
       Miniröcke und Skinny Jeans. Wenn es nach H&M geht, wollen Mädchen der Welt
       schon ihre Beine präsentieren, wenn sie noch gar nicht richtig laufen
       können.
       
       Sind Kinder im Minirock eigentlich in der Lage, zu rutschen, rennen oder
       klettern? Passt er über den Windelpopo? Hat er Taschen, in denen
       Zweijährige eine Kastanie, einen besonderen Stein oder ein Bonbon
       aufbewahren können? Designer*innen von Miniröcken für Kleinkinder
       orientieren sich an Frauenkleidung, die oft körperbetonter ist, tailliert
       und knapp, also sexualisiert. Ein [4][Krabbelkind im Minirock] lernt so,
       dass auch sein Körper zum Anschauen da ist.
       
       ## Jungen zum Krieg erziehen
       
       Die Kritik daran ist alles andere als neu. Es gibt sogar einen
       Negativpreis, den Goldenen Zaunpfahl, der besonders schlimme Beispiele
       des Gender-Marketings auszeichnet. Unzählige [5][wissenschaftliche]
       Studien, Meinungsartikel, Instagram-Posts und Blogbeiträge haben schon
       lange festgestellt, dass geschlechtsspezifische Klamotten und Spielzeuge
       Kinder in plumpe Rollenbilder pressen. Dass diese Kategorisierung immer
       wieder die Annahme reproduziert und zementiert, dass es nur zwei
       Geschlechter gibt, männlich und weiblich. Dass nicht nur die Farben,
       sondern auch Formen, Sprüche, Tiere und Symbole Jungen auf Abenteuer,
       Risiko – und Krieg – vorbereiten und Mädchen aufs Häusliche, aufopfernd
       Kümmernde.
       
       Konsumartikel, die extra für Jungen oder Mädchen sind, haben eine lange
       Tradition: Schon die Griechen setzten in der Antike Spielzeug ein, um
       Jungen zum Krieg zu erziehen, sagt Spielzeugforscher [6][Volker Mehringer].
       Mit dem Aufkommen des Bürgertums kam die farbliche Geschlechtertrennung
       dazu. [7][Männer trugen Anzüge in gedeckten Farben, Frauen und Kinder als
       Wohlstandnachweis prächtige bunte Kleidung].
       
       In den 1930er Jahren entdeckte die US-Bekleidungsindustrie Kinder als
       Konsument*innen, sagt der Soziologe und Kindheitsforscher [8][Daniel
       Thomas Cook]. In Kaufhäusern entstanden Kinderabteilungen, in denen
       Konsumgüter für Jungen und Mädchen erstmals räumlich getrennt wurden. In
       der Wirtschaftskrise nutzte die Kinderbekleidungsindustrie die
       Differenzierung dann als Marketingstrategie: immer neue Must-haves für
       jedes Alter, neue Kindergrößen, die sich heute noch in den
       Kinderabteilungen finden. So wie bei H&M.
       
       ## Zur Orientierung der 4-Jährigen
       
       Der schwedische Modekonzern selbst erklärt, die getrennten Abteilungen für
       Mädchen und Jungen diene in erster Linie zur Orientierung der Kund*innen.
       Diese würden es bevorzugen, so einzukaufen. Die Nachfrage bestimmt das
       Angebot, erklären auch andere Marken. Die Multi-Milliarden-Konzerne zeigen
       also auf 4-Jährige und ihre Eltern und sagen: Die da wollen das so!
       
       Tatsächlich wünschen sich Kinder oft ihren Geschlechtern zugeordnete
       Kleidung und Spielzeug. Zwischen 3 und 7 interessierten sie sich meist für
       die Kategorie Geschlecht, seien auf der Suche nach „Schlüsseln für die
       Unterschiede“, sagt Entwicklungsforscher Tim Rohrmann. Orientieren würden
       sie sich an dem, was tatsächlich da ist. Wenn sie also auf eine Konsumwelt
       treffen, die durch Werbung, Medien und Produkte in zwei Kategorien geteilt
       ist, ordnen sie sich zu.
       
       Sind Kund*innen ohne rosa-blaue Signale im Kleidungsgeschäft also
       orientierungslos? Wohl kaum. Viel wahrscheinlicher ist, dass Unternehmen
       ein finanzielles Interesse daran haben, dass Geschwister Kleidung und
       Spielzeug nicht teilen können. So steigt der Umsatz auf dem deutschen
       Kinderkleidungsmarkt konstant um etwa 1,2 Prozent pro Jahr. Etwa 8,24
       Milliarden Euro werden dort 2025 umgesetzt, schätzt Statista.
       
       „Fast Fashion“, also Mode zum Wegwerfen, ist auch hier angekommen. Ungefähr
       16 Teile Kinderkleidung kaufen die Deutschen jährlich pro Kopf, für jedes
       in Deutschland lebende Kind müssten das beinahe 100 Bekleidungsstücke sein.
       
       ## Bei den Erwachsenen geht's weiter
       
       Nach dem H&M-Besuch begleiten viele Kinder ihre Eltern noch durch die
       Konsumwelt der Erwachsenen. In Drogerien und Supermärkten setzt sich das
       gegenderte Marketing nahtlos fort. Es gibt rosa Rasierer, Shampoo für
       Frauenhaare und Männerkopfhaut, Hautcreme für echte Kerle, Schokolade aus
       Blechdosen, die an Werkzeugkästen erinnern.
       
       Sogar in der Apotheke liegen krampflösende Tabletten, die gegen
       Menstruationsschmerzen noch mal in einer pinken Verpackung angeboten
       werden – mit dem gleichen Wirkstoff, der auch gegen männliche Magenkrämpfe
       hilft. Studien zeigen, dass Produkte, die für Frauen vermarktet werden,
       [9][oft teurer verkauft werden].
       
       Doch nicht nur Mädchen verlieren durch die Trennung – vor allem für Jungen
       ist der Konformitätsdruck stark. Mädchen dürfen auch Blau tragen, können
       mit Werkzeug spielen und bekommen Lob, wenn sie beide Rollen erfüllen, also
       im Prinzessinnenkleid auf den Baum klettern. Jungen, die Röcke tragen,
       Nagellack mögen oder mit Puppen spielen wollen, begegnet dagegen oft Spott
       und Ausgrenzung, von Erwachsenen und von anderen Kindern, die sich in die
       Rollenbilder eingefunden haben.
       
       7 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Petition-gegen-Bekleidungskonzern/!5747723
 (DIR) [2] /Ausstellung-zu-Fast-Fashion/!5630667
 (DIR) [3] https://www.dukeupress.edu/pink-globalization
 (DIR) [4] /Gender-Erwartungen-an-Kinder/!5890388
 (DIR) [5] https://www.jstor.org/stable/jj.20626775.17?seq=3
 (DIR) [6] https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-32251-9_8
 (DIR) [7] https://www.sciencehistory.org/stories/distillations-pod/pink-an-interview-with-dominique-grisard/
 (DIR) [8] https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=D7tmkXKcSBoC&oi=fnd&pg=PP8&dq=children%27s+clothing+gendered+marketing&ots=ymg1BuZzt8&sig=6qwhvUhef8Jw2VqXBdu8yd0t2aQ&redir_esc=y#v=onepage&q=children's%20clothing%20gendered%20marketing&f=false
 (DIR) [9] /Verbraucherzentrale-zum-Gender-Pricing/!5577373
       
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