# taz.de -- Steffi Lemke über atomares Erbe: „Wir brauchen Sanktionen gegen russisches Uran“
       
       > Die Fabrik Lingen produziert weiterhin Brennstäbe – mit Uran aus
       > Russland. Umweltministerin Steffi Lemke sieht die Erweiterung des Werks
       > kritisch.
       
 (IMG) Bild: Nach Lingen wird weiterhin russisches Uran für die Produktion von Brennstäben geliefert. Aktivist*innen fordern Stilllegung
       
       taz: Der Atomausstieg ist geschafft, trotzdem wird uns die Atomkraft noch
       lange beschäftigen. Da ist beispielsweise [1][die Brennelemente-Fabrik in
       Lingen]. Wie kann es sein, dass Deutschland Brennstäbe für AKWs produziert,
       obwohl wir gar keine mehr brauchen? 
       
       Steffi Lemke: Diese Fabrik steht im Eigentum eines französischen
       Staatsunternehmens und ist also keine ausschließlich deutsche
       Angelegenheit. Sie wurde 2011 vom parteiübergreifenden Atomausstieg
       ausgenommen, und für ein Gesetz zur Stilllegung fand sich bislang keine
       Mehrheit im Bundestag. Jetzt soll die Anlage sogar erweitert werden, und
       ich verstehe alle, die den Eindruck haben, dass die Produktion von
       Brennelementen bei uns im Land den deutschen Atomausstieg konterkariert.
       Für die Genehmigung ist das niedersächsische Umweltministerium zuständig.
       Die Kollegen in Hannover und das Bundesumweltministerium als Bundesaufsicht
       sehen die beantragte Erweiterung kritisch. Wir sind uns einig, dass der
       Antrag mit größter Sorgfalt geprüft werden muss.
       
       taz: Die Menge an russischem Uran, die im vergangenen Jahr nach Lingen
       eingeführt wurde, ist um 66 Prozent gestiegen. Ihr Parteikollege, der
       niedersächsische Umweltminister Christian Meyer, sagt, angesichts der
       Sanktionen gegen Russland sei das ein Skandal. Brauchen wir nicht auch
       Sanktionen gegen russisches Uran? 
       
       Lemke: Das sehe ich genauso: Wir brauchen auch Sanktionen gegen russische
       Uranimporte. Deshalb haben wir uns auch auf europäischer Ebene dafür
       eingesetzt. Aber wir haben dafür keine europäische Mehrheit gefunden. Es
       ist doch absurd, dass Europa durch den Import von russischem Uran dazu
       beiträgt, Putins Angriffskrieg mitzufinanzieren. Das finde ich sehr
       problematisch. Im Übrigen [2][genauso wie die russische Schattenflotte].
       Auch das ist nicht akzeptabel, dass bestehende Sanktionen unterlaufen
       werden.
       
       taz: Die Friedens- und Umweltbewegung, aus der Sie ja selbst stammen, wirft
       Europa Zynismus und Doppelmoral vor: Warum gelingt beim Uran nicht, was bei
       russischem Erdgas gelang? 
       
       Lemke: Im Kreis der EU-Mitgliedstaaten war im Atombereich bisher keine
       Einigung auf Sanktionen möglich. Grund hierfür sind die sehr
       unterschiedlichen Positionen zur Atomenergie und damit zusammenhängend die
       energiewirtschaftlichen Interessen und Abhängigkeiten. Es zeigt, dass es
       auch bei der Atomkraft viel weitergehende Abhängigkeiten von Russland gibt,
       als man denkt. Ich würde mir hier analog zu fossilen Energieträgern eine
       konsequentere Haltung der EU wünschen.
       
       taz: Betreiber der Fabrik ist eine Tochter des französischen Atomkonzerns
       Framatome, der eine Zusammenarbeit mit dem russischen Konzern Rosatom
       vereinbart hat. Rosatom will jetzt in Lingen einsteigen. Haben Sie keine
       Handhabe, dagegen vorzugehen? 
       
       Lemke: Das Bundesumweltministerium hat diese Frage vor allem aus
       Sicherheitsaspekten zu beurteilen. Wir hatten dazu ein Rechtsgutachten
       beauftragt, ob über technische Sicherheitsaspekte auch grundsätzliche
       Fragen zur Sicherheit genehmigungsrechtlich zu berücksichtigen sind, und
       das hat ergeben, dass ein Einstieg von Rosatom für die Sicherheit
       Deutschlands tatsächlich Fragen aufwirft, die nun im Genehmigungsverfahren
       behandelt werden müssen. Das Genehmigungsverfahren für dieses Vorhaben
       obliegt dem Land Niedersachsen und ist noch nicht abgeschlossen.
       
       taz: Ein anderes Gutachten kam zu dem Schluss, dass ein Endlager für den
       deutschen Atommüll frühestens 2074 gefunden werden wird. Was wird aus den
       16 Zwischenlager-Standorten bis dahin? 
       
       Lemke: Dieses Gutachten berücksichtigte nicht bereits zwischenzeitlich
       erfolgte Fortschritte des Endlagersuchverfahrens– weitere
       Verbesserungsmaßnahmen müssen und werden folgen. Dann wird und muss es
       gelingen, bis Mitte des Jahrhunderts den bestmöglichen Standort für ein
       Endlager auszuwählen. Das sind wir nicht zuletzt [3][den Menschen schuldig,
       die in der Nähe der Zwischenlager leben]. Bis dahin müssen die
       Zwischenlager selbstverständlich die jeweils aktuellen
       Sicherheitsanforderungen erfüllen. Aber dies alles zeigt, wie problematisch
       die Hinterlassenschaften der Atomenergie sind: Wir haben mit ihr für wenige
       Jahrzehnte Energie produziert, aber sie wird uns Hunderttausende Jahre
       belasten.
       
       taz: Die Atomkonzerne haben 24 Milliarden in den Fonds eingezahlt, um diese
       Ewigkeitskosten abzudecken. Wir sehen heute etwa beim Bau eines Endlagers
       für schwach radioaktiven Müll – dem Schacht Konrad –, dass die Kosten als
       zu gering eingeschätzt wurden. Werden die 24 Milliarden ausreichen oder
       muss der Steuerzahler doch wieder einspringen? 
       
       Lemke: Dass die Mittel in dem Fonds ausreichen, steht derzeit trotz der mit
       Kostenprognosen verbundenen Unsicherheiten nicht infrage. Die Finanzmittel
       des Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung liegen
       gegenwärtig deutlich über dem Einzahlungsbetrag. Trotzdem bleibt natürlich
       das Gebot der Stunde, mit der Endlagersuche schneller voranzukommen und
       diese atomare und strahlende Last endlich sicher einzuschließen.
       
       11 Feb 2025
       
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