# taz.de -- Antisemitismus-Resolution: Gefährdete Diskursräume
       
       > Die Antisemitismus-Resolution ist gut gemeint, aber nicht in jedem Fall
       > gut gemacht. Sie schränkt die Debatten- und Wissenschaftsfreiheit ein.
       
 (IMG) Bild: Antisemitismus-Resolution gegen Wissenschaftsfreiheit? Demo vor der Humboldt-Universität in Berlin im Oktober 2024
       
       Der Bundestag hat am Mittwoch einen Antrag von Union, SPD und Grüne und FDP
       debattiert, dessen Titel unstrittig klingt: [1][„Antisemitismus und
       Israelfeindschaft an Schulen und Hochschulen entschieden entgegentreten
       sowie den freien Diskursraum sichern“.] Wer möchte bestreiten, dass
       Antisemitismus an deutschen Schulen und Universitäten mit Entschiedenheit
       entgegengetreten werden sollte? Doch wer den Antrag genau liest, wird
       feststellen, dass er freie Diskursräume nicht schützt, sondern [2][die
       Wissenschaftsfreiheit beschränkt].
       
       Das liegt in erster Linie an der Verwendung der Arbeitsdefinition der
       International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die die
       Bundestagsentschließung, wie schon bei der BDS-Resolution 2019 und bei
       vielen anderen Gelegenheiten, als alleinverbindlich erklärt, ob
       Antisemitismus vorliegt oder nicht. Die IHRA definiert Antisemitismus
       zunächst vage als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden“. Laut der
       Definition richtet sich Antisemitismus gegen jüdische oder nichtjüdische
       Menschen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Einrichtungen oder
       Institutionen der jüdischen Gemeinschaft.
       
       Mit Rückgriff auf die IHRA können sich also auch nichtjüdische Menschen als
       Opfer von Antisemitismus darstellen. Sich als Opfer einer spezifischen Form
       von Diskriminierung zu inszenieren, ohne selbst zu der betroffenen Gruppe
       zu gehören, ist ein Ausdruck weißen Privilegs. Es werden „neue“
       Antisemitismusopfer konstruiert, die dem Kampf gegen Antisemitismus
       wertvolle Ressourcen entziehen. Die vagen und mehrdeutigen Formulierungen
       der IHRA-Definition öffnen der Willkür Tür und Tor, Kritik an der
       israelischen Politik als Kritik an Institutionen der jüdischen Gemeinschaft
       zu interpretieren und damit als antisemitisch zu diskreditieren.
       
       Der Antrag arbeitet weiterhin mit dem Begriff der „Israelfeindschaft“, der
       „entschlossen entgegengetreten“ werden soll. Aber auch dieser Begriff ist
       unbestimmt. Wie soll das an Hochschulen umgesetzt werden? Wird es als
       antisemitisch oder als israelfeindlich oder als nichts von beidem gewertet
       werden, wenn eine Professorin den jüngsten Bericht von Amnesty
       International zitiert, der nach aufwendigen Recherchen zu dem Ergebnis
       kommt, dass Israel im Gazastreifen Völkermord begeht? Der [3][Antrag
       schafft eine Grauzone für Willkürakte,] weil nicht klar ist, was erlaubt
       und was verboten ist.
       
       ## Wissenschaftler*innen werden diffamiert
       
       Aus Sorge davor, als Antisemiten diffamiert zu werden, vermeiden
       Wissenschaftler*innen in ihrer Lehre, im kollegialen Gespräch und auch
       in der Forschung Reizthemen wie Völkermord, Apartheid und alles, was den
       Nahostkonflikt berührt. Diskussionen werden aus dem öffentlichen Raum in
       das Private verlagert. Das passiert ausgerechnet zu einer Zeit, in der wir
       in Deutschland mehr, nicht weniger Wissen über diese Themen benötigen. Die
       Bundestagsentschließung wird sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf die
       Vergabe von Fördermitteln für die Forschung haben.
       
       Zwar betont der Antrag zunächst, dass die Fördermittel des Bundes
       ausschließlich nach Kriterien wissenschaftlicher Exzellenz vergeben werden
       sollen, doch dieser Grundsatz wird im weiteren Verlauf aufgeweicht. Es wird
       auf einen Konsens unter Entscheidungsträger*innen in Wissenschaft und
       Forschung verwiesen, „dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus
       einander ausschließen“. Das stimmt zwar, doch die Verwendung der
       IHRA-Definition als alleiniges Kriterium für Antisemitismus lässt
       befürchten, dass entweder die Haltung der Forscher*innen zur
       israelischen Politik oder der Untersuchungsgegenstand selbst Einfluss auf
       die Vergabe der Fördergelder haben werden.
       
       Misstrauisch macht außerdem, dass der Antrag „den Einsatz“ von
       Ex-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger lobt. Geleakte E-Mails aus
       ihrem Haus zeigen, dass geprüft werden sollte, ob Wissenschaftlerinnen, die
       das Recht der Studierenden der Freien Universität Berlin auf friedlichen
       Protest verteidigt hatten, Fördermittel entzogen werden können. Nun
       unterstützt der Antrag nachträglich dieses Vorgehen und provoziert damit
       Fragen zum Umgang mit und Respekt vor der Wissenschaftsfreiheit.
       
       ## Wissenschaft soll objektiv und neutral sein
       
       Wie soll der Wissenschaftsstandort Deutschland in Zukunft entwickelt
       werden? Soll für nicht-deutsche Kollaborationspartner die IHRA-Definition
       ebenfalls maßgeblich werden, falls das Forschungsprojekt mit öffentlichen
       Geldern finanziert wird? Der Antrag sagt, dass Unterstützer der
       BDS-Bewegung „keinen Platz“ an deutschen Wissenschaftseinrichtungen haben
       sollten. Aber viele Wissenschaftler*innen in arabischen Ländern
       unterstützen die BDS-Bewegung wenigstens teilweise, weil sie sie als das
       letzte gewaltfreie Mittel sehen, sich für Menschenrechte von
       Palästinenser*innen und ein Ende der israelischen Besatzung
       einzusetzen. Das sehen auch viele jüdische und auch israelische
       Wissenschaftler*innen so.
       
       In Deutschland besteht eine große Skepsis gegenüber dem öffentlichen
       Intellektuellen. Wissenschaft soll objektiv und neutral sein und sich nicht
       in die Politik einmischen. Aber können sich Wissenschaftler*innen
       wirklich hinter Fußnoten verstecken? Es sollte nicht reichen, in zehn
       Jahren bei einer Konferenz Häppchen essend über die Durchführung und
       Konsequenzen eines dann womöglich durch den IGH bestätigten Völkermords an
       den Palästinensern zu debattieren. Forschung, die sich von der
       Lebensrealität abkoppelt, verliert ihre Relevanz.
       
       Es darf auch nicht sein, dass sich Wissenschaftler*innen der
       Selbstzensur hingeben, sondern vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch
       machen. Ein Recht, das nicht eingefordert wird, ist ein Recht ohne
       Bedeutung. In der aktuellen Lage benötigen Wissenschaftler*innen den
       Mut, kontroverse Diskussionen zuzulassen. Die Hochschulen und
       Forschungseinrichtungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Sie
       sollten Orte sein, an denen auch schwierige Themen offen, respektvoll und
       fundiert verhandelt werden. Die Flucht ins Private ist eine Sackgasse.
       
       30 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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