# taz.de -- Weidel zur AfD-Kanzlerkandidatin gewählt: Radikal und rassistisch
       
       > Dass die Jugendorganisation JA nun enger an die Partei gebunden werden
       > soll, empört Nachwuchs-Rechtsextreme. Der Begriff „Remigration“ ist
       > gesetzt.
       
 (IMG) Bild: „Dann heißt es eben Remigration“: Alice Weidel wird auf dem Parteitag in Riesa zur Kanzlerkandidatin gekürt
       
       Arena Riesa taz | „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben
       Remigration“, ruft Weidel und bekommt lauten Applaus. Der bisher innerhalb
       der AfD umstrittene Begriff „Remigration“, ein Euphemismus für völkische
       Vertreibungsfantasien, stand nicht im Programmentwurf für die
       Bundestagswahl – jetzt ruft die frisch gewählte Spitzenkandidatin für die
       Bundestagswahl ihn von der Bühne. Das hatten so offen sonst nur die
       radikalsten Politiker ihrer Partei getan – etwa der Landesvorsitzende von
       Thüringen Björn Höcke. Er hatte 2019 in seinem Buch ein „großangelegtes
       Remigrationsprojekt“ mit „wohltemperierter Grausamkeit“ gefordert, im
       Dezember 2023 befand Höcke, dass man in Deutschland gut mit 20 bis 30
       Prozent weniger Menschen leben könne – mit der Verfassung vereinbar sind
       solche Vertreibungsfantasien nicht.
       
       Als Weidel den Begriff benutzt, brandet Applaus auf. Die jubelnden
       AfD-Mitglieder antworten mehrfach auf ihre Rede mit den Sprechchören „Alice
       für Deutschland“, dem abgewandelten SA-Slogan „Alles für Deutschland“. Für
       dessen Verwendung verurteilte ein Gericht den Rechtsextremisten Höcke
       bisher zweimal. Beim Gerichtsprozess in Halle musste Höcke für den original
       SA-Spruch 16.900 Euro zahlen, hier in beim Bundesparteitag in Riesa hat der
       Bundesvorstand „Alice für Deutschland“ auf blaue Herzen drucken lassen, mit
       denen die Delegierten wedeln. Der Chef der AfD Sachsen, Jörg Urban, schloss
       seine Rede in seinem Grußwort ebenfalls mit dem Spruch. Dass Höcke einer
       der ersten Gratulanten Weidels ist, rundete das Bild ab. Ebenso, dass sich
       Weidels Sprecher und Redenschreiber, Daniel Tapp, über eine halbe Stunde
       lang direkt vor dem Pressebereich mit dem neurechten Chef-Ideologen Götz
       Kubitschek unterhielt.
       
       ## „Windmühlen der Schande!“
       
       Weidel wurde ohne Gegenstimmen zur Kanzlerkandidatin gewählt. Wohl auch,
       weil es keine digitale Abstimmung gab und niemand anonym abstimmen konnte.
       Stattdessen wurde gefragt: Wer gegen die Kandidatur sei, solle aufstehen,
       woraufhin sich natürlich niemand erhob. Im Anschluss die Frage: Wer für
       Weidel, soll aufstehen – die AfD-Delegierten erhoben sich und blieben laut
       jubelnd stehen, schwenkten Deutschlandfahnen und stimmten wieder „Alice für
       Deutschland“-Sprechchöre an. Standing Ovations gab es mehrfach für Weidel,
       am Ende ihrer Rede für mehrere Minuten.
       
       In ihrer Rede nannte Weidel Gegendemonstrant*innen, die ihre Anreise
       blockiert hätten, „rot-lackierte Nazis“. Sie sei von einem gewaltbereiten
       linken Mob bedroht worden, behauptete sie. Und sie bedankte sich abermals
       bei Tech-Milliardär Elon Musk. Nicht nur für das Gespräch zwei Tage zuvor,
       sondern auch dafür, dass dieser den Parteitag live über seinen Account auf
       seiner gekauften Plattform X streamte – der nächste disruptive Eingriff des
       Unternehmers in den deutschen Wahlkampf, um die autoritär-nationalradikale
       Partei zu stärken.
       
       In ihrer Rede griff Weidel vor allem die CDU an: Sie werde ihr Programm
       nicht mit den Grünen durchsetzen können. „Das ist Betrug am Wähler“,
       schimpfte sie – auch wenn die CDU-Wähler mit einer deutlichen Mehrheit eine
       Koalition mit der AfD ablehnen und die Union voraussichtlich auch mit der
       SPD regieren könnte. Unionschef Friedrich Merz hatte zuletzt am Morgen
       bekräftigt, niemals mit der AfD koalieren zu wollen. Unter seiner Führung
       werde es das nicht geben, sagte Merz – [1][sonst würde man „die Seele der
       CDU verkaufen“].
       
       Doch Fakten spielten in Weidels Rede keine Rolle: Sie behauptete, die CDU
       habe sich in Thüringen mit Kommunisten gemeingemacht, und verschickte die
       nächste Grußbotschaft an die Völkischen: „Der echte Wahlsieger ist Björn
       Höcke – da sitzt er!“
       
       Weidel sprach aggressiv und argumentierte rassistisch. Zwischenzeitlich
       bekam man den Eindruck, dass sie sogar erneuerbare Energie hasst, als sie
       mit wild gestikulierend regelrecht schrie: „Wenn wir am Ruder sind: Wir
       reißen alle Windkraftwerke nieder! Nieder mit diesen Windmühlen der
       Schande!“ Wissenschaftsfeindlichkeit gab es obendrauf auch: „Wir schließen
       alle Gender Studies und schmeißen die Professoren raus.“ Die Kinder müssten
       endlich „wieder was Vernünftiges“ lernen, forderte Weidel.
       
       ## Deutschland als „Sklave der USA“
       
       Der Geschichtsunterricht jedenfalls würde sich unter der AfD gewaltig
       ändern: [2][Revisionismus ist beim Parteitag von Riesa allgegenwärtig].
       Weidel hatte zwei Tage zuvor in ihrem eher unsouveränen und unterwürfigen
       Talk mit Elon Musk plötzlich angefangen, den Nationalsozialismus
       umzudeuten: „Hitler war Kommunist“, sagte sie kontrafaktisch und hatte
       dafür für viel Empörung und Kopfschütteln sogar in der eigenen Partei
       gesorgt. Ein paar Tage zuvor hatte sie in einem Interview mit einem
       amerikanischen Magazin im Stile einer Reichsbürgerin davon gesprochen, dass
       Deutschland ein besiegtes Land und ein „Sklave“ der USA sei.
       
       Offenbar nimmt Weidel sich in Sachen Radikalität auch am österreichischen
       FPÖ-Chef Herbert Kickl ein Beispiel, der ebenfalls in einem maximal
       radikalen Wahlkampf führte – und trotzdem in Österreich nun Kanzler werden
       soll. Von vielen Parteifreunden wurde sie beim Parteitag aber in Schutz
       genommen: Hitler sei zwar kein Kommunist, sagten gleich mehrere
       hochrangigen Funktionäre, aber ein Sozialist sei er halt schon, heißt es
       von vielen – was natürlich [3][genauso wenig stimmt].
       
       Die Stimmung erhöht auch die Chancen für einen geschichtsrevisionistischen
       Höcke-Antrag. Der würde gerne künftig straffrei [4][SA-Parolen rufen].
       Dafür hat Höcke sogar einen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt, der die
       Strafgesetzbuchparagrafen Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen
       verfassungswidriger und terroristischer Organisationen abschaffen oder
       verändern will. Die Position wurde allerdings später am Abend nicht mehr
       ins Programm aufgenommen – und wurde offenbar als Kompromiss in den
       Bundesfachausschuss überwiesen.
       
       Die Gemüter bewegte das Thema trotzdem: Ein hochrangiger Funktionär
       echauffierte sich im Beisein mehrerer Journalisten, darunter die taz,
       darüber, dass Volksverhetzung angeblich immer weiter ausgeweitet werde. Er
       sagte, er sei kein Holocaustleugner, aber Meinungen zu verbieten gehe
       nicht. Auf die Rückfrage, ob es aus seiner Sicht dann auch okay wäre, zu
       sagen, dass beim Holocaust nur drei Millionen Juden ermordet wurden, sagte
       er: „Ja, man muss darüber diskutieren dürfen. Ich weiß aus eigener
       Anschauung nicht genau, was passiert, sie wissen auch nicht genau, was
       passiert ist. Wenn ich es nicht genau weiß, warum soll ich dann nicht
       darüber diskutieren?“
       
       ## Holocaust interessiert einen Funktionär „einen Scheißdreck“
       
       Auf den Einwand hin, dass man natürlich wisse, wie viele Menschen im
       Holocaust ermordet wurden, insistierte der Funktionär, es aus persönlicher
       Anschauung nicht zu wissen, und steigerte sich in einen Wutausbruch hinein:
       „Das ist doch 80 Jahre her! Was interessiert uns das heute überhaupt noch?“
       Das interessiere nur Linke, die immer von „Schuld, Schuld, Schuld“ reden
       wollten, so der Funktionär: „Mich interessiert das heute einen
       Scheißdreck.“
       
       Das Wahlprogramm bleibt insgesamt weiter eines, das für Umverteilung von
       unten nach oben steht, das gesellschaftliche Probleme und Ungleichheiten
       vor allem rassistisch auf dem Rücken von Nichtdeutschen aushandeln will.
       Außerdem wurde in Riesa neben migrationspolitischen Verschärfungen auch
       ein queerfeindliches Bild von Familie deutlich: Die soll nur aus „Vater,
       Mutter, Kind“ bestehen dürfen. Eine Wehrpflicht steht gegen den
       ursprünglichen Willen Chrupallas nun doch im Programm. Die Forderung nach
       einem EU-Austritt, vor dem vor allem Ökonomen warnen, wurde wegen der
       schlechten Außenwirkung etwas abgeschwächt.
       
       Höcke musste aber am Sonntag zusammen mit Teilen der extrem rechten
       Parteijugend Junge Alternative (JA) auch eine Niederlage einstecken. Er
       hatte sich dafür ausgesprochen, die vom Vorstand geplante Abspaltung und
       [5][Neugründung der Parteijugend nach einem Juso-Modell] noch einmal zu
       verschieben und sich mit dem Thema nicht zu befassen. Bisher ist die JA als
       externer Verein organisiert, künftig soll sie Teil der Mutterpartei werden.
       Alle AfD-Mitglieder unter 36 Jahren wären dann automatisch JA-Mitglied. Das
       scheiterte krachend: Der Bundesvorstand setzte sich bei der
       Satzungsänderung mit einer Zweidrittelmehrheit durch, auch dank der
       Unterstützung ehemaliger JA-Vorsitzender, die sich auf der Bühne
       demonstrativ hinter den derzeitigen JA-Vorsitzenden Hannes Gnauck und
       dessen Reform stellten. Von der Reform verspricht sich der Bundesvorstand
       bessere Durchgriffs- und Kontrollmöglichkeiten der Jugendorganisation. Gut
       möglich, dass sich nun ein Teil der Parteijugend abspaltet.
       
       Die radikale JA-Vorsitzende aus Brandenburg Anna Leisten verließ nach der
       verlorenen Abstimmung enttäuscht den Saal. Die Debatte war abgewürgt
       worden, bevor sie überhaupt ans Saalmikro treten konnte. Ein Sieg ist das
       vor allem für die radikalen Netzwerker rund um den Strippenzieher Sebastian
       Münzenmaier, der auch die Kandidatur von Weidel unterstützte.
       
       Die radikalsten Teile der Jungen Alternative waren unterdessen wütend: Die
       Junge Alternative Schleswig-Holstein schrieb auf X: „Die Boomer haben der
       Jugend den Dolch in den Rücken gerammt.“ Den „rechts-woken Irrlichtern“ wie
       dem JA-Vorstand Dennis Hohloch empfehle man, „Schleswig-Holstein auch nach
       der Neugründung der JA besser zu meiden“.
       
       Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde bereits am Samstag
       veröffentlicht und am Sonntag um zusätzliche Informationen ergänzt.
       
       11 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /CDU-Vorstandsklausur-in-Hamburg/!6061578
 (DIR) [2] /AfD-und-Erinnerungskultur/!6058203
 (DIR) [3] https://www.geschichte-statt-mythen.de/klassische-mythen/linke-nationalsozialisten
 (DIR) [4] /Wegen-Ermittlungen-zu-SA-Parole/!5997069
 (DIR) [5] /Junge-Alternative/!6050039
       
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