# taz.de -- App-Erfinderin über Gewalt gegen Frauen: „Gewalt fängt bei Kommentaren oder sexistischen Witzen an“
       
       > Gewalt gegen Frauen nimmt zu. App-Erfinderin Stefanie Knaab über ihre
       > eigenen Erfahrungen und über ihre Selbsthilfe-App für Betroffene.
       
 (IMG) Bild: Hat viele Erscheinungsformen: häusliche Gewalt
       
       taz: Frau Knaab, wo fängt Gewalt in der Beziehung an? 
       
       Stefanie Knaab: Mit Kontrolle. Physische Gewalt ist nur die Spitze des
       Eisbergs. Es gibt auch psychische, soziale oder wirtschaftliche Gewalt,
       wenn mein Partner zum Beispiel mein Geld kontrolliert. Und sexuelle und
       digitale Gewalt. Gewalt fängt immer da an, wo das Bauchgefühl komisch wird,
       und Dinge passieren, die ich nicht will.
       
       taz: Was sagen Sie Personen, die meinen, die Frau könne doch ihren Partner
       verlassen? 
       
       Knaab: Ich stelle die Rückfrage: Wissen Sie wie viele Frauen getötet
       werden, wenn sie sich trennen? Die meisten [1][Femizide] passieren nach
       Trennungen. Warum muss die Betroffene etwas tun und nicht die Person, die
       die Gewalt ausübt? Es muss eher gefragt werden, warum wir in einer
       Gesellschaft leben, in der Männer schlagen.
       
       taz: Häusliche Gewalt gegen Frauen nimmt zu. Warum? 
       
       Knaab: Wir haben ein Bild in unserer Gesellschaft, das nicht sehr
       frauenfreundlich ist. Gewalttätiges Verhalten wird auch medial verharmlost.
       Im Film „[2][Fifty shades of grey]“ zum Beispiel wird Kontrolle
       romantisiert. Wir leben in Verhältnissen, die nicht gleichberechtigt sind.
       Zum Beispiel sind mehr Frauen von Altersarmut betroffen als Männer. Das ist
       ein strukturelles Problem.
       
       taz: Sie haben eine App entwickelt, die gewaltbetroffene Frauen unterstützt
       – woher kam die Idee? 
       
       Knaab: Ich war vier Jahre in einer gewalttätigen Beziehung. Meine
       Therapeutin hat mir damals empfohlen, dass ich mir Briefe schreibe, in
       denen ich die Gewalt beschreibe. Ich konnte sie in guten Situationen lesen
       und die Gewaltspirale dahinter erkennen – mein Ex-Partner hat immer
       gesagt: „So war das gar nicht.“ Durch diese Briefe habe ich mich getrennt.
       Danach habe ich mich mit [3][häuslicher Gewalt] beschäftigt und gesehen,
       wie schwer es ist, den rechtlichen Weg zu gehen – was die Beweisbarkeit
       betrifft und die Schwierigkeit, an Informationen zu kommen.
       
       taz: Da setzt die App an? 
       
       Knaab: Sie informiert, der Schwerpunkt ist aber das Gewalttagebuch, in dem
       die Betroffene die Gewalt dokumentieren kann. Vor Gericht sind die Fotos
       und Einträge verwertbar. Es ist aber keine App zur Strafverfolgung, sondern
       zur Selbstreflektion. Die Betroffene kann irgendwann realisieren: Das ist
       der zehnte Eintrag.
       
       taz: Frauen können sich Hilfe durch die App holen – aber letztlich war und
       bleibt der Mann vermutlich gewalttätig. Wie kann sich das ändern? 
       
       Knaab: Weil gewaltausübende Personen keine Einsicht haben, brauchen wir
       einen [4][Staat, der Frauen unterstützt] und schützt. Zuerst müssen wir
       langfristig in die Prävention investieren und Kindern und Jugendlichen
       durch geschlechtersensible Bildungsprogramme den gesunden Umgang mit
       Gefühlen beibringen. Oft sind gewaltausübende Männer solche, die keine
       Kontrolle über oder Zugang zu ihren Emotionen haben. Dieses Verhalten wird
       durch eine Gesellschaft, die Gewalt akzeptiert, verstärkt. Wir brauchen
       auch mehr Männer, die anderen verhaltensauffälligen Männern sagen: „Tickst
       du eigentlich ganz sauber?“ Gewalt fängt bei Kommentaren oder sexistischen
       Witzen an. Wir brauchen dringend einen Staat, der das Thema priorisiert,
       indem er die [5][Istanbul-Konvention] umsetzt, bezahlbaren Wohnraum schafft
       und die strukturelle Ungleichheit nachhaltig bekämpft.
       
       taz: Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft? 
       
       Knaab: Jede vierte Frau ist von Partnerschaftsgewalt betroffen – und das
       ist nur körperliche Gewalt. Wir alle haben eine Mutter oder Freundin – und
       wenn man sich das mal vorstellt: Das sind Dimensionen, da bin ich
       sprachlos. Mein Appell an die Gesellschaft: Hört hin, geht auf die Straße,
       streitet darüber. [6][Frauenrechte] sind Menschenrechte, die müssen wir uns
       erkämpfen – das können wir nicht allein.
       
       22 Jan 2025
       
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