# taz.de -- Deutsch-polnische Beziehungen: „Man erwartet von einer deutschen Regierung doch mehr“
       
       > Es fehle das Verständnis füreinander, sagt Krzysztof Ruchniewicz, Polens
       > Beauftragter für die deutsch-polnischen Beziehungen. Dabei stünden die
       > beiden Länder vor großen Herausforderungen.
       
 (IMG) Bild: Strammstehen in Krakau: Polnischer Soldat beim Gedenken zum 85. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs am 01.09.2024
       
       taz: Herr Ruchniewicz, Sie sind seit Juni in Polen für die
       deutsch-polnische Beziehungen zuständig. Löschen Sie da überall Feuer? Ruft
       Premier Donald Tusk Sie an und bittet darum, dass Sie den Streit mit
       Kanzler Olaf Scholz schlichten? 
       
       Krzysztof Ruchniewicz: Nein, ich bin zwar sehr nah am politischen
       Geschehen, aber was Kanzler Scholz und Premier Tusk am Telefon besprechen,
       etwa nach dem Anruf von Scholz beim russischen Diktator Wladimir Putin,
       weiß ich natürlich auch nicht. Für uns ist es unverständlich, dass Scholz
       sich vor seinem Gespräch über den russischen Vernichtungskrieg in der
       Ukraine mit Verbündeten im Westen berät, Tusk aber erst im Nachhinein
       informiert. Wir sind Nachbarn der Ukraine. Hier sind schon mehrere
       fehlgeleitete Raketen reingeflogen. Wir sind Frontstaat.
       
       taz: Dafür giftete Tusk nach der verheerenden Attacke auf ukrainische
       Strom- und Heizkraftwerke nur einen Tag nach dem
       [1][Scholz-Putin-Gespräch], dass Telefondiplomatie Putin nicht stoppen
       werde. 
       
       Ruchnieiwicz: Ja, und dass Telefondiplomatie die tatsächliche Unterstützung
       der Ukraine durch den ganzen Westen nicht ersetzen könne. Aber da hat er
       doch recht, oder?
       
       taz: Ja, natürlich. Aber der Ton macht den Unterschied. Tusk hat ja schon
       mehrere solcher Tweets auf der Plattform „X“ gepostet. Besser werden die
       deutsch-polnischen Beziehungen dadurch nicht. 
       
       Ruchniewicz: Das Problem liegt tiefer. Wir haben in den letzten acht
       Jahren, als die Nationalpopulisten in Polen regierten, unsere gemeinsame
       Sprache verloren. Wir reden aneinander vorbei und verstehen uns nicht mehr.
       
       taz: Als Ende letzten Jahres die liberal-konservative Tusk-Koalition an die
       Macht kam, hofften viele auf einen Neustart in den Beziehungen der beiden
       Nachbarländer. Warum hat das nicht geklappt? 
       
       Ruchniewicz: Acht Jahre [2][antideutsche Hetze] in Polen hinterlassen ihre
       Spuren. Zumal auch Tusk immer wieder als angeblicher Verräter oder Nazi
       diffamiert wurde. Erst vor Kurzem hat PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński
       Premier Tusk wieder als „deutschen Agenten“ verleumdet. Zudem haben wir
       eine völlig neue Weltlage. Russland hat die Ukraine überfallen. Die sehr
       lange polnische Ostgrenze ist zugleich die Außengrenze von EU und Nato im
       Osten. Wir Polen müssen diese Grenze verteidigen. Das ist unsere
       Verantwortung als Nato-Staat. Denn es geht nicht mehr nur um unsere
       Sicherheit, sondern auch um die unserer Verbündeten im Westen. Eine
       Rückkehr zur deutsch-polnischen Diplomatie der Jahre 2007 bis 2015, als
       Tusk schon einmal Premier Polens war, ist unmöglich. Diese Zeit ist
       endgültig vorbei.
       
       taz: Aber beide Seiten wollen doch den Neuanfang. Schon im Juli wurden die
       deutsch-polnischen Regierungskonsultationen mit fast allen deutschen und
       polnischen Ministern in Warschau abgehalten. Und dann? 
       
       Ruchniewicz: Zunächst sah alles gut aus. Der deutsch-polnische
       Aktionsplan, der da verabschiedet wurde, ist eine Art „To-do-Liste“ für
       die nächsten Jahre. Wir wollen vor allem in den Bereichen Sicherheit und
       Verteidigung enger zusammenarbeiten, aber auch in der Wirtschaft, der
       Klimapolitik und im grenzüberschreitenden Verkehr. Außerdem sollen die
       letzten noch lebenden Opfer des NS-Terrors eine symbolische Entschädigung
       erhalten. Da waren sich alle einig. Aber dann scheiterte das Ganze am Geld.
       
       taz: Den angeblich 200 Millionen Euro für die polnischen Opfer? 
       
       Ruchniewicz: Genau. Einen Tag vor dem Besuch der deutschen Regierung in
       Warschau publizierte eine deutsche Tageszeitung den Betrag. In Polen war
       man wie vor den Kopf gestoßen. Das war nicht miteinander abgesprochen. Die
       Summe war wohl von den Deutschen in den Vorgesprächen mal genannt worden,
       aber wir hatten sie nicht bestätigt.
       
       taz: Weil sie zu klein ist? 
       
       Ruchniewicz: Es leben noch rund 60.000 polnische NS-Verfolgte. Das sind
       alles hochbetagte Menschen um die 90 Jahre. Diesen Menschen ist nicht zu
       vermitteln, wieso sie eine sehr viel niedrigere humanitäre Hilfe oder Rente
       bekommen sollen als die deutschen NS-Verfolgten. Polen sind keine Opfer
       zweiter Klasse.
       
       taz: Was wäre denn aus polnischer Sicht eine akzeptable Summe? 
       
       Ruchniewicz: Ich bin kein Verhandlungsführer. Ich werde keine Zahlen
       nennen. Aber es wäre viel geholfen, wenn die Deutschen in größeren
       Zusammenhängen und möglichst konkreter denken würden.
       
       taz: Können Sie ein Beispiel nennen? 
       
       Ruchniewicz: Ja: Wie viel wollen die Deutschen in welchem Zeitraum in die
       deutsch-polnische Sicherheit investieren? Wie viel Geld ist den Deutschen
       der Schutz der polnischen und damit der EU- und Nato-Ostgrenze wert?
       Welcher Betrag kann im Bundeshaushalt für die deutsch-polnische Energie-
       und Klimapolitik reserviert werden? Und sollte es nicht so sein, dass alle
       NS-Opfer – egal ob deutsche oder polnische – eine gleich hohe Opferrente
       erhalten?
       
       taz: Da kommt ein sehr hoher Betrag zusammen. Ist das realistisch? 
       
       Ruchniewicz: Ja, aber wenn das auf EU-Ebene geht, dann erst recht
       bilateral. Nur müssten die Deutschen ein bisschen Tempo machen. Immerhin
       würde mit diesem großen Finanzpaket auch das leidige Reparations- und
       Entschädigungsthema abgeschlossen. Durch die langfristig angelegten
       Investitionen in die Sicherheit Polens und Deutschlands – ich meine jetzt
       Energie und Militär – kommt eine hohe Summe zusammen, die wir psychologisch
       brauchen. Nur eine hohe Summe ist in der Lage, die Bevölkerung auf beiden
       Seiten davon zu überzeugen, dass das Thema Reparationen und Entschädigungen
       über 80 Jahre nach Kriegsende endlich abgeschlossen ist.
       
       taz: Aber ob das in Deutschland zu vermitteln ist? Was hat Energie- und
       Sicherheitspolitik mit Renten für NS-Opfer zu tun? 
       
       Ruchniewicz: Das große Finanzpaket würde Vergangenheit und Zukunft der
       deutsch-polnischen Beziehungen miteinander verschnüren. Man darf nicht
       vergessen, dass in Polen die von der PiS geforderte Reparationssumme in
       Höhe von 1,3 Billionen Euro sehr präsent ist. Auch die Mär von den Schecks
       in Höhe von jeweils 43.000 Euro, die der Bundeskanzler an jeden Polen und
       jede Polin verschicken würde (verbreitet in sozialen Medien in Polen; Anm.
       d.Red.), kursiert noch immer in der Gesellschaft. Was wir brauchen, ist
       nicht nur die Lösung dieses alten Konflikts, sondern auch ein neues
       Narrativ.
       
       taz: Wie würde denn ein Narrativ für die Zukunft lauten? 
       
       Ruchniewicz: Wenn sich die Überzeugung durchsetzen würde, dass die
       Deutschen zwar nicht die von der PiS geforderten 1,3 Billionen Euro an
       Reparationen gezahlt haben, aber doch den noch lebenden NS-Opfern in Polen
       einen guten Lebensabend sichern und sehr viel in unsere gemeinsame
       Sicherheit investieren, hätten wir den Durchbruch geschafft. Dann könnten
       die Polen erneut Vertrauen zu den Deutschen fassen. Die hohe Summe würde
       zeigen, dass es den Deutschen wirklich ernst ist.
       
       taz: Das klingt einleuchtend, aber genau dieser Neuanfang ist ja im Juli
       gescheitert. Und im Februar stehen in Deutschland Neuwahlen an. Macht es
       überhaupt Sinn, die Gespräche jetzt fortzusetzen? 
       
       Ruchniewicz: Ja, denn die Aufgaben, denen die Politiker sich stellen
       müssen, bleiben ja die gleichen. In den Ministerien befassen sich Beamte
       mit dem deutsch-polnischen Aktionsplan. Die können auch in der Zeit des
       Wahlkampfes konkrete Maßnahmen vorbereiten, die dann die neuen Minister
       umsetzen können. Der Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen muss
       kommen, egal ob das eine SPD- oder CDU-geführte Regierung sein wird. Die
       polnischen NS-Opfer sind hochbetagt. Sie können nicht länger warten.
       
       taz: Was belastet die deutsch-polnischen Beziehungen derzeit am meisten? 
       
       Ruchniewicz: Die Sicherheit, auch gerade im Zusammenhang mit dem russischen
       Krieg in der Ukraine. Da hat Deutschland durch seine zögerliche Haltung
       seit 2022 sehr viel Vertrauen verspielt. Auch wenn Kanzler Scholz immer
       wieder behauptet, dass Deutschland nach den USA an zweiter Stelle unter den
       Ukraine-Unterstützern steht, erwartet man von einer deutschen Regierung
       doch mehr. Da bricht mitten in Europa ein Krieg aus, und Berlin will 3.000
       Helme schicken. Gut, da sind wir inzwischen weiter. Aber nur eine deutsche
       Brigade in Litauen aufzubauen ist für unsere Region zu wenig.
       
       taz: Was ist mit der Asyl- und Migrationspolitik? Dass [3][Tusk den
       EU-Migrationspakt] unterlaufen will, hat in Berlin für ziemliche Aufregung
       gesorgt. 
       
       Ruchniewicz: Das stimmt. Das ist ein weiteres schwieriges Thema zwischen
       unseren Ländern. Allerdings war es Deutschland, das als Erstes Kontrollen
       an den EU-Binnengrenzen eingeführt und damit einseitig das EU-Grundrecht
       auf Freizügigkeit für polnische Bürger eingeschränkt hat. Das dauert nun
       schon über ein Jahr.
       
       taz: Was hat in dieser verfahrenen Situation Priorität für die
       deutsch-polnischen Beziehungen? 
       
       Ruchniewicz: Es wird an allen Themen gleichzeitig gearbeitet – zumindest
       unterhalb der Ministerebene. Aber für mich persönlich hat die humanitäre
       Hilfe für die letzten noch lebenden NS-Opfer Priorität. Die könnte auch
       eine deutsche Minderheitsregierung mit den Stimmen der CDU/CSU durch den
       Bundestag bringen. Außerdem sollte das „Polen-Denkmal“ im Zentrum von
       Berlin, also das Denkmal für die im Zweiten Weltkriegs von NS-Deutschland
       ermordeten polnischen Staatsbürger, so schnell wie möglich fertig werden.
       Dann könnten dort noch einige polnische Zeitzeugen einen Kranz für ihre
       Angehörigen niederlegen, bevor die nächste Generation das Gedenken
       übernimmt.
       
       11 Jan 2025
       
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