# taz.de -- Hamburg benennt Straßen um: Erinnerung an die Opfer statt Ehrung der Täter
       
       > In Hamburg heißen zwei bislang nach einem Kolonialismus-Profiteur
       > benannte Straßen künftig nach einem Widerstandskämpfer und einem
       > Kolonialismusopfer.
       
 (IMG) Bild: Auf der „Alexandra Woermann“ nach „Deutsch-Südwest“: kaiserliche „Schutztruppe“ in Hamburg 1904
       
       Hamburg taz | Mord verjährt nie. Dieses zunächst auf den NS-Staat bezogene
       Gesetz wurde nach jahrzehntelangen politischen Debatten in der deutschen
       Nachkriegsgesellschaft mühsam [1][erfochten.] 1979 trat es in Kraft; die
       Prozesse gegen die letzten betagten (Mit-)TäterInnen laufen.
       
       Prozesse gegen TäterInnen des [2][Kolonialismus] dagegen gab es nie, und
       gegen Verstorbene kann man sie nicht mehr führen. Im Gegenteil: Man hält
       zum Beispiel Hamburger Kolonial-Profiteure durch Ehrenbürgerschaften,
       Denkmäler und Straßennamen auch im öffentlichen Raum im Gedächtnis.
       
       Von den Opfern kennt man oft nicht einmal die Namen, denn das System machte
       die [3][Versklavten] zu Nummern, die Unterdrücker zu Helden. Seit Jahren
       fordern deshalb Communitys, Postkolonial-AktistInnen und Nachfahren der
       Opfer des deutschen Völkermordes an den [4][Ovaherero und Nama] die
       Umbenennung von Straßen, die nach ProfiteurInnen des Kolonialismus benannt
       sind.
       
       Dieser Prozess ist zäh, aber langsam bewegt sich etwas: Berlin und
       Düsseldorf haben bereits Straßen umbenannt. Hamburg allerdings, dessen
       Kaufleute vehement die Annexion von Kolonien betrieben und finanziell
       extrem profitierten, ist spät dran. Das liegt auch daran, dass das
       maßgebliche Votum über Straßen-Umbenennungen letztlich nicht die
       Bezirksversammlung, sondern die Regionalausschüsse haben. Und die sind nah
       dran an Partikularinteressen und AnwohnerInnen-Protesten.
       
       ## Keine Ehrung mehr für Adolph Woermann
       
       Trotzdem hatte der Bezirk Hamburg Nord am 5. September 2024 beschlossen,
       drei kolonial belaste Straßennamen in Ohlsdorf zu ändern. Zwei von ihnen
       ehren den Kaufmann und Reeder Adolph Woermann, Mitbegründer der Kolonie
       Kamerun. Als 1904 der Aufstand der Ovaherero in der Kolonie
       Deutsch-Südwestafrika begann, transportierte die Woermann-Linie rund 14.000
       deutsche Soldaten samt Pferden und Kriegsgerät dorthin und verdiente gut
       daran. Zudem internierte er Hunderte Ovaherero und zwang sie zur Minen- und
       Hafenarbeit. Woermann galt schon damals als Kriegsgewinnler.
       
       In Hamburg-Ohlsdorf soll der Woermannsweg künftig Louisa-Kamana-Weg heißen.
       Kamana wurde 1903 samt ihrem Neugeborenen von einem deutschen Händler
       erschossen, als sie sich gegen seinen Vergewaltigungsversuch wehrte. Der
       Täter bekam drei Jahre Gefängnis, war aber nach elf Monaten wieder frei.
       Dass es überhaupt eine Gerichtsverhandlung gab lag daran, dass Louisa
       Kamana die Tochter eines einflussreichen Chiefs war.
       
       Unter den Ovaherero gelte dieser Mord und viele weitere Fälle
       sexualisierter Gewalt gegen Frauen „als zentrale Impulsgeber für den
       Aufstand der Ovaherero gegen die deutsche Kolonialherrschaft, der zum Krieg
       und schließlich zum Völkermord an den Ovaherero führte“, schreibt der
       Arbeitskreis Hamburg Postkolonial, der die neuen Straßennamen vorschlug.
       
       Die zweite betroffene Straße, der Woermannstieg, soll künftig
       Cornelius-Fredericks-Stieg heißen und an einen wichtigen Widerstandskämpfer
       gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia erinnern. Fredericks starb
       1907 in einem deutschen Konzentrationslager an der namibischen Küste. Er
       ist eins von ungefähr 75.000 Opfern des vom deutschen Kommandanten Lotha
       von Trotha befehligten Völkermords an den Ovaherero und Nama. Die
       zugehörigen Straßenschilder wurden laut Bezirksamt Ende November 2024
       bestellt und sollten nach sechs Wochen fertig sein. Die Aufstellung sei für
       die erst Jahreshälfte geplant, heißt es.
       
       Ins Stocken gerät derweil die dritte, eigentlich bereits beschlossene
       Umbenennung des Ohlsdorfer Justus-Strandes-Weges. Der Kaufmann Strandes
       hatte den für seine Brutalität berüchtigten Hamburger Kolonialisten Carl
       Peters bei der Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika unterstützt. Strandes
       half bei der Ausfertigung von Knebelverträgen mit den einheimischen Chiefs
       und lieferte Peters ab 1888 Waffen für die Niederschlagung des
       antikolonialen Aufstandes in Ostafrika.
       
       Sein Name sollte durch den einer Frau ersetzt werden, die von [5][Carl
       Peters] und weiteren deutschen Offizieren, wie viele versklavte
       Afrikanerinnen, systematisch vergewaltigt wurde. Nach ihrem zweiten
       Fluchtversuch wurde sie 1892 hingerichtet, keine 20 Jahre alt. Ihr Name ist
       Ndekocha. Da die deutschen Kolonialherrn ihn für unaussprechbar hielten,
       nannten und schrieben sie sie „Jagodja“.
       
       Diese koloniale Schreibweise hatte die Community zunächst irrtümlich für
       die Umbenennung des Justus-Strandes-Weges vorgeschlagen. Der Bezirk stimmte
       an besagtem 5. September 2024 zu. Als aber klar wurde, dass es Ndekocha
       heißen musste und die Linksfraktion den Antrag auf Änderung des
       Straßennamens stellte, stimmte der Regionalausschuss am 14. Oktober 2024
       dagegen – auch die um Dekolonisierung stets bemühte SPD, die „Jagodja“
       zuvor befürwortet hatte.
       
       ## Schreibweise ist wichtig
       
       Die Begründung klingt wie ein Déjà-vu: „Dieser Name mit dem Klicklaut am
       Anfang ist einfach zu schwer auszusprechen“, sagt Martina Schenkewitz,
       Sprecherin de SPD-Fraktion Hamburg Nord. Das sei den Anwohnern nicht
       zuzumuten, „und mir ist Bürgerbeteiligung wichtig. Der Straßenname soll ja
       auf allen Seiten Akzeptanz finden.“
       
       Millicent Adjej vom [6][Arbeitskreis Hamburg Postkolonial] sagt, solche
       Argumente schrieben koloniale rassistische Muster fort und müssten
       zurückgenommen werden. „Es bleibt dieselbe Person – unabhängig davon, wie
       man den Namen schreibt. Ndekocha repräsentiert eine große Opfergruppe.“
       
       Auch Kultursenator Carsten Brosda (SPD) lässt mitteilen, das zu seiner
       Behörde gehörende, für die Entscheidung maßgebliche Staatsarchiv halte den
       Vorschlag, den Justus-Strandes-Weg in Ndekocha-Weg umzubenennen, für
       unproblematisch. „Dem schließt sich der Kultursenator an, da es wichtig
       ist, die richtige Schreibweise zu nutzen, wenn wir an die Opfer des
       Kolonialismus erinnern“, schreibt die Pressestelle.
       
       ## Starkes Zeichen im öffentlichen Raum
       
       Das stünde auch unserer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft gut zu
       Gesicht, gibt es in Kitas und Schulen doch bereits viele „fremde“, für
       deutsche Muttersprachler teils schwer aussprechbare Namen. Da wäre ein
       Ndekocha-Weg ein glaubhaftes Zeichen von Akzeptanz und Integration.
       
       Im Übrigen ist dies kein Einzelfall: Auch ein Teil des Neuengammer Heerwegs
       wurde 1985 – ungeachtet des AnwohnerInnenwillens – in
       [7][Jean-Dolidier-Weg] umbenannt. Dolidier war ein französischer
       Widerstandskämpfer, der das KZ Neuengamme überlebte. Seinen Namen können
       viele bis heute nicht akzentfrei französisch aussprechen. Aber darauf kommt
       es auch nicht an. Der Name ist ein starkes Zeichen im öffentlichen Raum und
       steht für die Übernahme historischer Verantwortung. Bezüglich des
       Kolonialismus ist die seit Mai sogar im stadtweiten Erinnerungskonzept des
       Hamburger Senats zur Dekolonisierung festgeschrieben, das ausdrücklich die
       Beteiligung der Communitys fordert.
       
       Daran will auch SPD-Sprecherin Martina Schenkewitz nach eigenem Bekunden
       festhalten. Zwar sei der Name Ndekocha vom Tisch, sagt sie. „Aber wir
       werden 2025 einen neuen Antrag stellen und die Community um einen anderen
       Vorschlag bitten. Die Umbenennung auch des Justus-Strandes-Weges wird
       kommen. Das verspreche ich Ihnen.“
       
       9 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [6] http://www.hamburg-postkolonial.de/willkommen.html
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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