# taz.de -- Ehrenbürgerwürde Neumünster: NS-Vergangenheit außer Acht gelassen
       
       > Auf Vorschlag der CDU hat Neumünster nach 58 Jahren einen neuen
       > Ehrenbürger ernannt: Herbert Möller. Teile seiner Biografie wurden dabei
       > ignoriert.
       
 (IMG) Bild: Der neue Ehrenbürger: der 102-jährige Herbert Möller in seinem Wohnzimmer
       
       Neumünster taz | Ein kurzes „Moin“, dann kommt Herbert Möller in sein
       Wohnzimmer. Gemächlich bewegt der 102-Jährige sich in Richtung des grünen
       Ledersofas am anderen Ende des Raums. Er ist ordentlich gekleidet, in
       grauer Anzughose und kariertem Hemd. Nachdem er sich auf sein Sofa gesetzt
       hat, legt er eine Fassung der „Kommunalverfassungsgesetze
       Schleswig-Holstein“ vor sich.
       
       Im Gespräch mit der taz liest er daraus Paragrafen vor, um zu
       verdeutlichen, dass alles mit rechten Dingen zuging. Er müsse sich für
       nichts erklären. Mit klarer Stimme, ein paar Überlegungspausen und weiten
       Ausschweifungen erzählt er von seinem Leben.
       
       Im Juli 2025 wurde Möller neuer Ehrenbürger von Neumünster. Zuletzt vergab
       die Stadt die Auszeichnung vor 58 Jahren. „Ich fühle mich geehrt“, sagt
       Möller. Auf die Kritik der Neumünsteraner Linkspartei, dass seine
       NS-Vergangenheit dabei nicht beachtet wurde, reagiert er unbetroffen: „Ist
       mir völlig wurscht.“ Man habe an dem entschieden, was er für Neumünster
       getan hatte und wie man ihn hier erlebte.
       
       Auch die CDU hält es für unwichtig, Möllers NS-Vergangenheit zu beleuchten.
       Seine Jugendzeit sei für sein Leben und sein Lebenswerk in Neumünster
       irrelevant. Sie spiele bei der Ehrung eine deutlich untergeordnete Rolle,
       sagt Arne Rüstemeier, Fraktionsvorsitzender der CDU Neumünster. „Es geht
       darum, was er nach dem Krieg für das demokratische Gemeinwesen geleistet
       hat.“
       
       ## Höchste Auszeichnung der Stadt
       
       Die Ehrenbürgerwürde ist die höchste Auszeichnung, die eine Stadt vergeben
       kann. Sie soll Personen für besondere Leistungen und Verdienste ehren. Die
       Idee für die Ehrenbürgerschaft hatte die CDU Neumünster. „Wir haben uns
       innerhalb der CDU-Fraktion Gedanken gemacht, wie wir Herbert Möller
       besonders herausstellen können“, sagt Rüstemeier. Das Ergebnis war die
       Ehrenbürgerwürde. Gemeinsam mit SPD und FDP stellte die Partei einen Antrag
       in der Ratsversammlung.
       
       Möller ist seit 1959 in der CDU aktiv. Von 1982 bis 1991 war er
       Vorsitzender des Kreisverbandes Neumünster. Zwei Jahre davon saß er auch im
       Schleswig-Holsteinischen Landtag. Heute ist er Ehrenvorsitzender der CDU
       Neumünster.
       
       Möller habe die Stadt wahnsinnig vorangebracht und sei sehr geschätzt, sagt
       Rüstemeiner. „Neumünster spürt noch immer positiv, wie Herbert Möller sich
       für die Eingemeindung von Umlandgemeinden eingesetzt hat.“ Auch über den
       politischen Raum hinaus sei er sehr aktiv gewesen. Beispielsweise an
       verantwortlicher Stelle beim Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes, der
       ein großer Sozialpartner der Stadt sei.
       
       ## Kritik an der Vergabe
       
       Die Entscheidung, Möller zu ehren, sieht die Linke als einzige Partei in
       der Stadt kritisch. „Möller wurde nicht ausreichend historisch betrachtet,
       es wurden wichtige Punkte aus seiner Biografie weggelassen“, sagt Mareike
       Tretow von der Linken Neumünster. Besonders Möllers [1][NS-Vergangenheit]
       dürfe nicht in Vergessenheit geraten.
       
       Sie hatte daher im Juli in der Ratsversammlung erfolglosbeantragt, die
       Entscheidung zu vertagen – und den gesamten Lebensweg Möllers zu
       untersuchen. Für die Vergabe der Ehrenbürgerwürde sei das wichtig.
       
       Herbert Möller wurde in Maffersdorf geboren, das bis 1945 zum Sudetenland
       gehörte. In seiner Entnazifizierungsakte, die im schleswig-holsteinischen
       Landesarchiv liegt, steht, dass er 1938 in die Hitlerjugend und 1940 in die
       NSDAP eintrat. Zudem übernahm er 1940 das Amt des Scharführers bei der
       [2][Hitlerjugend].
       
       Er selbst bestätigt das nur teilweise. „Ich bin in der Hitlerjugend
       gewesen, und zwar 1938“, erzählt Möller der taz. Damals, als das
       Sudetenland, in dem er lebte, „ins Deutsche Reich überführt“ wurde, sei er
       in einer Jugendgruppe gewesen. Da habe er geturnt, Leichtathletik gemacht
       und sei gewandert. „1938 wurde diese Jungturnerschaft automatisch
       übernommen, und wir wurden die Hitlerjugend“, sagt Möller.
       
       Dass in der Entnazifizierungsakte aus dem Landesarchiv steht, dass er 1940
       in die NSDAP eintrat, wundert ihn. „NSDAP? Da bin ich nicht eingetreten.
       Ich besaß auch nie ein Parteibuch“, sagt er und wirkt überrascht. Da hätte
       man mit 17 noch gar nicht eintreten können und er wäre ja schon in der
       Wehrmacht gewesen. Er behauptet, dass wer Wehrmachtmitglied war, kein
       Parteimitglied sein durfte. Das ist aber nachweislich falsch, sein
       Gedächtnis spielt ihm da wohl einen Streich.
       
       Historiker:innen haben schon oft herausgearbeitet, dass in
       Entnazifizierungsprozessen viel gelogen wurde. Eigentlich aber eher in der
       Hinsicht, dass Menschen Informationen in den Akten weggelassen haben. Auch
       die Aufnahmesperre für Minderjährige ist nicht eindeutig, zwar konnten
       grundsätzlich unter 18-Jährige keine regulären Mitglieder der NSDAP sein.
       Es gab aber Ausnahmen.
       
       ## Auch nach dem Krieg in rechten Bewegungen
       
       Nach dem Krieg ist Herbert Möller nach [3][Neumünster] gekommen. Dort trat
       er dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) bei. In der
       damaligen Sammelbewegung BHE befanden sich viele ehemalige
       NSDAP-Mitglieder, die sich unter anderem dafür einsetzten, die
       Entnazifizierung zu stoppen. Wie lange er dort Mitglied war, ist unklar.
       
       1955 trat er der [4][Sudetendeutschen] Landsmannschaft (SL) bei. Im Jahr
       2009 wurde er kommissarischer Obmann der SL Neumünster. Noch heute fühle
       sich Möller mit dem Sudetenland verbunden. Er ist noch immer Mitglied der
       Sudetendeutschen Landsmannschaft und besuche regelmäßig „seine Heimat“.
       
       Noch bis 2015 war in der Satzung der Sudetendeutschen Landmannschaften die
       Rede vom Ziel einer „Wiedergewinnung der Heimat“ und der Forderung einer
       „Restitution oder gleichwertigen Entschädigung“.
       
       Der BHE sei auf jeden Fall rechts einzuordnen, sagt Michael Wildt,
       Historiker mit Schwerpunkt Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität
       Berlin. „Und auch die nach wie vor existierende Sudetendeutsche
       Landsmannschaft, die sich heute um europäische Verständigung bemüht, hatte
       eine rechte und revanchistische Vergangenheit.“
       
       ## Neubewertung der Auszeichnung gefordert
       
       Wie die Linke Neumünster hält auch der örtliche Verein Toleranz &
       Zivilcourage (Tolzi) die bisherige Bewertung von Herbert Möller nicht für
       ausreichend. Es sei wichtig, Geschichte kritisch zu hinterfragen und
       transparent aufzuarbeiten. „Die Auseinandersetzung mit solchen Biografien
       ist schmerzhaft, aber notwendig“, so Jonny Griese, Pressesprecher von
       Tolzi. Nur so könne man Verantwortung übernehmen und aus der Geschichte
       lernen. Der Verein wünscht sich eine Neubewertung von Möllers Auszeichnung.
       
       Mareike Tretow von den Linken regt an, „einen geregelten Prozess für die
       Ehrenbürgerwürde“ zu verankern, der neutrale, fachkundige Stellen für eine
       objektive Einordnung hinzuzieht. So könne sichergestellt werden, dass die
       Entscheidung nicht ausschließlich politisch motiviert sei. Den Vorschlag
       hält auch Arne Rüstemeier von der CDU grundsätzlich für sinnvoll –
       allerdings nur für die Zukunft.
       
       12 Sep 2025
       
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