# taz.de -- Die Wahrheit: Schrullig wie ein Papagei mit Butler
       
       > Der Portweinpapst empfiehlt: Beim Weihnachtsfestmahl braucht es zum
       > Dessert unbedingt einen Old Tawny 20 Years.
       
 (IMG) Bild: Viermal Port, viermal ikonische Werbung
       
       Meine erste Flasche Port kaufte ich, als Lady Di starb. Ein Sandeman Quinta
       do Vau 1988 Vintage. Nicht weil die Neurose of England in Paris
       verunglückte, sondern weil ich im August 1997 das erste Mal in Portugal war
       und ein Präsent aus einer der schönsten Städte der Welt mitbringen wollte:
       Porto. Für das schlechte Reiseschriftsteller die Worte „malerisch“ und
       „pittoresk“ erfunden hatten.
       
       Bis dahin war mir Portwein nur literarisch begegnet, wenn Butler Jeeves bei
       P. G. Wodehouse eine Reinigungskraft anfaucht, weil sie die Port-Flaschen
       im Keller abstaubt. Ein echtes Verbrechen! Port muss unter einer dicken
       Staubschicht ruhen! Und einen ähnlich angestaubten Charakter hat
       traditionell Port.
       
       Ist es doch das Getränk der britischen Upper class, als Dessertwein nach
       einem mehrgängigen Menü, am besten zum Käse, vorwiegend Blue Stilton, den
       unbedingt ein Butler reicht, jedenfalls bei Wodehouse: „Blizzard war aus
       der feinen alten Schule der Butler. Sein Auftreten wirkte, als ob er seit
       fünfzehn Jahren keinen Tag hatte vergehen lassen ohne ein Glas Port. Er
       strahlte Port aus und eine glubschäugige Würde.“
       
       ## Portos dunkles Herz liegt am anderen Ufer
       
       Porto ist die Kulisse einer perfekten Idylle – die labyrinthartigen Gassen
       der Altstadt; die am Kai verzurrten „barcos rabelos“ mit ihren Holzfässern
       an Bord, in denen früher der Wein aus dem Douro-Tal hergeschippert wurde;
       und die den Fluss überragende Stahlbrücke Ponte Dom Luís I aus dem 19.
       Jahrhundert, die wie kein anderes Symbol der Stadt ihren Widerspruch
       versinnbildlicht: Du musst Porto verlassen, um sein dunkles Herz zu finden,
       in dem rubinrotes Blut fließt. Es schlägt nämlich außerhalb, am anderen
       Ufer des Douro in der Schwesterstadt Vila Nova de Gaia, wo die Bodegas der
       großen Portweinhäuser liegen.
       
       Eine der größten Kellereien gehört Sandeman. Wen es bei der Hitze des
       Südens nach einer kühlen Gänsehaut verlangt, die sonst nur ein 200 Jahre
       alter Schauerroman hervorruft, sollte an einer Führung teilnehmen durch die
       nur schwach ausgeleuchteten, mit riesigen Fässern ausgestatteten
       Kellergänge, an deren Ende der „1790 Room“ liegt. Das Jahr der Gründung.
       Der Raum mit dem Geheimnis von Sandeman. Das der Führer durch die Unterwelt
       nicht preisgeben möchte, obwohl es doch offensichtlich ist. Es ist: Zeit.
       
       Verstärkt wird der angenehme Grusel dadurch, dass der Guide als „Don“
       verkleidet ist, jene berühmte Werbefigur, die in den Zwanzigerjahren der
       schottische Grafiker George Massiot Brown entwarf: eine Zorro ähnliche
       Gestalt mit Hut und langem Mantel, wobei der Caballero-Hut für die
       spanischen, der schwarze Studentenumhang für die portugiesischen Teile des
       Unternehmens steht.
       
       Zumindest erklärt der „Don“ die vier Grundsorten des Port: der junge,
       frische und preiswerte „Ruby“; der aus hellen Trauben gekelterte „White“;
       der nach dem Solera-Prinzip durch das Mischen des Kellermeisters immer auf
       den gleichen Geschmack gebrachte „Tawny“; und die teuren „Vintage“-Weine
       aus einem einzigen Jahrgang, der so gut war, dass keine Auffrischung aus
       anderen Fässern notwendig ist.
       
       Früher war das nur alle paar Jahre der Fall, aus kommerziellen Gründen gibt
       es heutzutage mehr und mehr Vintages. Meinen allerersten erwarb ich für
       sagenhaft kostspielige 30 D-Mark, was der australische Jachtbesitzer hinter
       mir an der Kasse nur müde belächelte, als er die Kreditkarte bei 3.000
       Dollar klingeln ließ. Für sechs Flaschen.
       
       ## Empörte Jünger der reinen Traubenlehre
       
       Allein die begüterte und betagte Klientel zu bedienen, reicht heute nicht
       mehr aus. Also versucht man, sich anderen Marktsegmenten zu öffnen. Auch
       Sandeman hat jetzt Neues kreiert: „Sandeman Beat“. Einen White und Rosé für
       Cocktails. Und „Portonic“. Port mit Tonic! In Dosen! Fertig gemixt! Frevel!
       Sakrileg! Empören sich die treuen Jünger der reinen Traubenlehre.
       
       Bereits der Name „Beat“ ist süß. Wenn schon Modernisierung, dann am besten
       eine 70 Jahre alte Jugendbewegung, dachte man sich offenbar bei den
       Marketendern in Porto. Denn anschließen soll „Beat“ im geblümten Gefäß an
       die Zeit der Beatniks aus den Fünfzigerjahren. Der Traum ist wohl, mit
       einem smarten „Kultgetränk“ auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen, wie
       es der deutschen Firma Jägermeister mit ihrem klebrigen Billiglikör
       überraschend gelang.
       
       Dafür allerdings müsste „Portonic“ zum Beispiel im heute noch existierenden
       Stammlokal des Beat-Dichters Jack Kerouac, im wundervollen Café Vesuvio in
       San Francisco zum beliebten Aperitif am Nachmittag werden. Was eher
       unwahrscheinlich ist. Da hülfe nicht einmal ein cooler Werbe-Slogan, den
       ich hier zur Verfügung stelle: „More than iconic – Sandeman Portonic“.
       
       Und damit platzt auch schon die Seifenblase vom amerikanischen Traum. Denn
       Port ist kein Aperitif und nichts für die Generation Sprizz, die immerzu
       Picknicks am Strand veranstaltet, wie die Werbung verspricht, und an die
       man sich mit dem neuen Produkt „Beat“ ranwanzen möchte. Oder wie Evelyn
       Waugh es präzise ausdrückte: „Port ist nichts für die sehr Jungen, Eitlen
       und Aktiven, er dient der Behaglichkeit des Alters und ist der Begleiter
       der Gelehrten und Philosophen.“
       
       Dabei haben alle großen Häuser wie Taylor, Kopke oder Niepoort nicht nur
       für gereifte Kenner, sondern auch für Nachwuchs-Connaisseure genug im
       Portfolio. Für das weihnachtliche Festmahl eignen sich zum Beispiel die
       „Old Tawnys“, die in vier Reifestufen von 10, 20, 30 und 40 Jahren
       angeboten werden.
       
       ## Bitte nicht zu freigiebig mit dem Portwein
       
       Wobei sich der beste Genuss fürs Fest mit dem „Old Tawny 20 Years“ ergibt,
       der wie eine rundum selbstbewusste Lady mit weichem Charme durch den
       harmonisch gestalteten Geschmackssalon von Gaumen und Zunge tanzt. Nach dem
       ersten Schluck kommt einem sofort Simon Ravens Diktum gegen gierige Gäste
       in den Sinn: „Der Portwein ist bitte nicht zu freigiebig herumzureichen.“
       
       Wert und Qualität stimmen überein. Für einen „20 Years“ 60 bis 70 Euro
       auszugeben, lohnt sich wirklich. Wobei immer zwei Flaschen gekauft werden
       sollten. Eine fürs Menü, eine für den Keller. Noch einmal darf sich der
       Greenhorn-Fehler mit dem allerersten Vintage von 1997 nicht wiederholen.
       Vermutlich werde ich nie erfahren, wie er schmeckt. Eine Flasche
       nachzukaufen, wäre nicht das selbe, auch wenn sie mittlerweile 75 Euro
       kostet und nach fast 30 Jahren ihren Wert um das Fünffache gesteigert hat.
       
       Aber darum geht es gar nicht. Port heißt Sammeln, und Sammeln bedeutet, die
       Welt zu ordnen – zumindest einen Teil der Geschichte, die in einen
       rubinroten Tropfen geronnen ist. Das Wichtigste dabei ist, dass man nicht
       so schrullig wird wie eine Wodehouse-Figur und „seinen Papagei mit
       portweingetränkten Körnerkeksen füttert“. Cheerio! Und ein schönes Fest!
       
       23 Dec 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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