# taz.de -- Die Wahrheit: Zurück zu Mutti!
       
       > Der Geheimplan zur Rettung der Bundesrepublik Deutschland in gefährdeten
       > Zeiten. Ein politischer Kommentar mit weiträumigem Durchblick.
       
 (IMG) Bild: Das weiße Kaninchen ist zur Rettung des Gemeinwesens bereit
       
       Die deutsche Demokratie ist gescheitert. Wiedergeborene Nazis und
       rotlackierte Putinisten haben sie im Schwitzkasten und zu Boden gerungen.
       Und die Demokratie wehrt sich nicht. Sie ist angezählt: drei, zwo, eins … –
       das Ende ist nahe.
       
       So oder so ähnlich lauten die Kommentare der Politbeobachter nach den
       fatalen Landtagswahlen in Dunkeldeutschland. Und doch erkennt niemand das
       Gute im Unglück. Denn ist Scheitern nicht etwas Wunderbares? Sind
       gescheiterte Helden nicht die einzig wahren Heroen? Und bietet sich ihnen
       nicht ein fantastischer Ausweg?
       
       Deutsche sind unentwegt unglücklich, weil sie sich aus der eisernen
       Umklammerung ihrer Begierde, glücklich sein zu müssen, nicht lösen können.
       Glück aber ließe sich auch auf anderen Wegen erreichen: auf dem Rücken der
       Pferde, im dauernden Konsum von Bier, Wein und Schnaps und anderer
       berauschender Drogen oder im Ablegen des Deutschseins.
       
       Doch ist das alles wenig praktikabel – nicht alle Deutschen können reiten
       oder trinken, kiffen oder nicht mehr sie selbst sein. Dabei gibt es eine
       ganz einfache Lösung, die, wie das weiße Kaninchen aus dem Hut zu zaubern,
       leicht ist: Zurück zu Mutti!
       
       ## Schweißgebadetes Erwachen
       
       Wer kennt es nicht: Schweißgebadet wacht man nachts auf und hat davon
       geträumt, zur Schule zurück, das Abitur noch einmal machen zu müssen. Ein
       klassischer Versagenstraum, in dem sich alle Ängste vor der Zukunft ballen.
       Das Perfide allerdings ist, dass mit den Jahren dieser wiederkehrende Traum
       nicht aufhört, sondern sich verlagert: Plötzlich träumt man davon, in die
       Vorschule zurück, die Erniedrigungen als I-Dötzchen noch einmal erleben zu
       müssen. Und am Ende steht die Mutter aller Albträume: die Geburt und der
       Kanal, durch den wir alle die Welt betraten. Es hört nie auf! Aber warum
       sollte es auch?!
       
       Wir müssen uns aus der eisernen Umklammerung des gefürchteten Albtraums
       befreien und die sagenhafte Lösung der Wirklichkeit annehmen – die Rückkehr
       ins Hotel Mama. Für die es genug historische Vorbilder gibt.
       
       ## Abgerockte Turnschuhe
       
       Boris Becker, der nach seinem längeren Aufenthalt in einem englischen
       Gefängnis nach Deutschland heimkehrte und, wie kolportiert wird, mittellos
       nach Leimen ins Haus seiner Mutter zog. Die polnischen Kaczyński-Zwillinge,
       immerhin Staatsmänner von Rang, die ihr Leben lang bei ihrer Mutter lebten
       und letztlich scheiterten, ohne sie je verlassen zu müssen. Oder der
       allseits geliebte Held der Fußballwelt, Reinhard „Stan“ Libuda, der verarmt
       und in seinen abgerockten Turnschuhen bei seinem alten Muttchen auf der
       Couch starb.
       
       Eine rührende und traurige Geschichte, die allerdings Ausnahme und kein
       Vorbild sein sollte. Hinfallen und aufstehen und zurückgehen! Das muss der
       Leitsatz für eine am Boden zerstörte Nation sein, die sich aufrichtet wie
       der deutscheste aller Deutschen, Boris Becker, im nostalgischen Rückblick
       auf die warme Küche der Erzeugerin. „Futtern wie bei Muttern“, lautet der
       mit letzter Kraft ausgestoßene Schlachtruf der Heimkehrer. Die Trauben des
       Muttertiers hängen eben nie zu hoch, sondern stets zum Stillen bereit vor
       den hungrigen Mäulern.
       
       Und das übertragen wir jetzt mal rein analytisch auf die deutsche
       Gesellschaft im Demokratieschock und stellen die simple Frage: Wann nimmt
       Angela Merkel uns endlich zurück und rettet die deutsche Demokratie?
       Insgeheim sehnen wir uns doch alle nach den Merkel’schen Jahren der
       Prosperität. Nach der Idylle der Krisen: die Finanz- oder Flüchtlings-, die
       Euro- oder Coronakrise, die alle einfach durch Nichtstun besiegt wurden.
       
       Nein, das ist kein Albtraum des Versagens, wie uns die Ewiggestrigen
       vormachen wollen, die Merkel hassen wie die Pest. Das ist gelebte und
       geliebte Demokratie, das Scheitern zuzugeben und zum Helden der eigenen
       Wehmut zu werden, indem wir dahin gehen, wo es wehtut. Mutti, wir kommen!
       
       6 Sep 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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