# taz.de -- Gründe für das Aus der SPD-Kanzler: Warum Scholz scheiterte
       
       > Olaf Scholz stellt am Montag die Vertrauensfrage. Keiner der vier
       > SPD-Kanzler hat bis zum Ende regiert. Das ist kein Zufall, sondern ein
       > SPD-Dilemma.
       
 (IMG) Bild: Olaf Scholz wird wohl ein Übergangskanzler zwischen Merkel und Merz werden
       
       Olaf Scholz ist der vierte sozialdemokratische Kanzler. Und wie bei Willy
       Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder endet seine Kanzlerschaft
       vorzeitig. Brandt trat 1974 ausgelaugt zurück. Schmidt wurde 1982 von der
       FDP gestürzt. Schröder wurde mit der vorgezogenen Neuwahl 2005 Opfer der
       eigenen Spielernatur.
       
       Ist dieses Scheitern Zufall? Gibt es darin ein Muster? Fremdeln
       Sozialdemokraten mit der Macht? Die Union, geübt im Machterhalt, bringt
       ihre Kanzlerschaften jedenfalls eher zu Ende.
       
       Als Auslöser für den [1][Rücktritt von Willy Brandt 1974] gilt landläufig
       der DDR-Spion [2][Günter Guillaume]. Aber im Hintergrund von Brandts Aus
       ist etwas zu erkennen, das auch beim Ende der anderen SPD-geführten
       Regierungen eine Rolle spielte: ein Riss zwischen Anspruch und Realität.
       
       Die Brandt-SPD wollte eine gelenkte Marktwirtschaft. Der Staat sollte für
       Wachstum sorgen und zentral planen. Das Versprechen eines weitgehend
       krisenfesten Wohlstandskapitalismus scheiterte 1973 mit der Ölkrise, die
       die Wachstumsphase des Westens beendete.
       
       ## Der Sturz von Schmidt erinnert an das Scheitern der Ampel
       
       Mit dem goldenen Zeitalter des Nachkriegskapitalismus endete auch die kurze
       Phase sozialdemokratischer Planungseuphorie. Brandts Rücktritt war logisch:
       Der einzige deutsche Kanzler mit Charisma war als Manager des
       Krisenkapitalismus die falsche Besetzung.
       
       Der Sturz von [3][Helmut Schmidt] 1982 erinnert stark an 2024. Nicht
       zufällig zitierte [4][Lindners Wirtschaftspapier] das
       [5][Lambsdorff]-Papier von 1982. Beides waren neoliberale Torpedos, die den
       SPD-Kanzler versenken sollten. Was 2024 die [6][D-Day-Papiere] sind, war
       1982 der kalt geplante Wechsel zu Kohl. Die FDP spielte auch damals die
       Schurkenrolle.
       
       Hinter der Ereignisgeschichte bildete 1982 ein fundamentaler Umbruch des
       westlichen Kapitalismus die Folie für das Ende der sozialliberalen
       Koalition. Die war das Bündnis von aufgeklärtem Bürgertum und organisierter
       Arbeitnehmerschaft: eine klassenübergreifende Kooperation im Modell
       Deutschland.
       
       ## Der entfesselte Kapitalismus
       
       Diese Koalition war Anfang der 80er Jahre aus Sicht der FDP aus der Zeit
       gefallen. Der Keynesianismus, der im Westen nach 1945 prägend war, ging
       unter. Thatcher 1979 und Reagan 1981 entfesselten den bis dahin gezähmten
       Kapitalismus. Die FDP setzte im Sog dieser neoliberalen Revolution auf
       Markt statt Staat. Das ging auch Helmut Schmidt zu weit, der nur im
       Nebenberuf wirklich Sozialdemokrat war.
       
       Schmidts Ende 1982 war zudem der Effekt eines bundesdeutschen
       Kulturkampfes. Schmidt, der autoritäre Realpolitiker, hatte die USA zur
       Nato-Nachrüstung gedrängt. Das mobilisierte Ökopaxe, die SPD-Basis und die
       Kirchen. Das Ringen um die Nachrüstung war in der SPD ein Kampf zwischen
       der auf Staatsraison fixierten alten Sozialdemokratie und den 68er und
       Postmaterialisten.
       
       Schmidts Sturz zeigte, dass Kanzler nur begrenzt gegen die Partei agieren
       können. Beim Kölner SPD-Parteitag 1983 votierten nur 14 von mehr als 400
       Delegierten für den Doppelbeschluss.
       
       Schmidts Sturz hatte somit zwei Gründe: Er lag mit der SPD über Kreuz. Und
       sein Ende war via FDP verbunden mit dem Aufstieg des Neoliberalismus und
       dem antistaatlichen Rechtsruck in den USA und Großbritannien.
       
       ## Entfremdung durch die Agenda 2010
       
       Gerhard Schröders politisches Ende 2005 sieht auf den ersten Blick anders
       aus: Es gab keine wechselsüchtige FDP, keinen sinistren DDR-Spion. Schröder
       versenkte Rot-Grün mit hektisch anberaumten Neuwahlen. Aber im Hintergrund
       leuchten ähnliche Motive wie 1974 und 1982: globale, ökonomische Umbrüche
       und Zoff mit der Partei. Schröder hatte mit der [7][Agenda 2010 die SPD
       gegen sich aufgebracht, und das Narrativ „Kleine-Leute-Partei“
       zerschlagen], ohne etwas Neues zu etablieren.
       
       Rot-Grün war als Modernisierungskoalition in Sachen Einwanderung und
       Energiepolitik erfolgreich. Doch gegen die neoliberale Meinungsführerschaft
       Anfang der Nullerjahre fand es kein Mittel. „If you can’t beat them, join
       them“ war das Falsche. Die Schröder-SPD scheiterte (wie Blair und Clinton)
       an der Illusion, den Tiger, den Casinokapitalismus, reiten zu können.
       
       Und heute? [8][Scholz ist wie Schmidt an den Liberalen zerschellt.] Die
       Ampel sollte eine Neuauflage der sozialliberalen Ära sein, eine
       Fortschrittsregierung der ökologischen Modernisierung unter SPD-Führung.
       Die Ampel hat liberale Reformen wie die halbe Cannabislegalisierung und das
       Selbstbestimmungsgesetz mit Mindestlohn und erneuerbaren Energien
       verbunden. Das war unfertig und zu wenig.
       
       Aber: Es war zu viel für eine veränderungsmüde Gesellschaft, die nach
       Corona, Reallohnverlusten und Inflation Fortschritts- und Reformideen
       misstraut. Die Ampel ist an der irrlichternden FDP gescheitert, die immer
       weniger wusste, ob sie Regierung oder rechtspopulistische Opposition sein
       will. Im Kern aber ist sie kollabiert, weil sie für eine vorsichtig
       linksliberale Politik in einer nach rechts gekippten Stimmung stand. Der
       globale Rechtsruck von Trump bis Meloni ist auch in der Bundesrepublik
       angekommen.
       
       ## Scholz ist kein weitsichtiger Stratege
       
       Scholz hielt die Ampel für ein historisches Bündnis, wie 1969. Das war eine
       Illusion. Er scheint ein Übergangskanzler zwischen Merkel und Merz zu
       werden – und nicht der weitsichtige Stratege, der die sozialökologische
       Transformation umsetzt. Aber auch Scholz gehört in die Reihe der
       SPD-Kanzler, die an Fortschritt glauben – und daran zerschellen. Die
       Fallhöhe zwischen Idee und Praxis ist bei Sozialdemokraten höher als bei
       Christdemokraten. Kein Wunder, dass die sich besser auf puren Machterhalt
       verstehen.
       
       Offen ist, ob Scholz in zehn, zwanzig Jahren als einer gelten wird, der wie
       seine SPD-Vorgänger an veränderten politischen Großwetterlagen scheiterte.
       Oder als erste Figur einer neuen Ära. Als erster Kanzler einer Zeit, in der
       die Volksparteien ihre Prägekraft verlieren. Und in der Regierungen, die
       zerfallen, von der Ausnahme zum Normalfall werden.
       
       16 Dec 2024
       
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