# taz.de -- Kinder- und Jugendbücher zum Verschenken: Im Labyrinth starker Gefühle
       
       > Neue Perspektiven in schwierigen Momenten. Sydney Smith, Christopher Paul
       > Curtis und Eva Rottmann erzählen von Abschied, Hass und dem ersten Mal.
       
 (IMG) Bild: „Erinnerst du dich?“ von Sydney Smith erzählt von einem Neuanfang, den ein Junge und seine Mutter erleben
       
       Die Illustrationen von Sydney Smith berühren. Sie entstehen mit dem Pinsel,
       arbeiten mit Unschärfen, skizzenhaften Andeutungen und durchlässigen
       Konturen. In „Erinnerst du dich?“ schafft der kanadische Autor eine
       visuelle Erzählung, die mit wenig Text eine komplexe Situationen einfühlsam
       Kindern zu beschreiben vermag.
       
       Das Bilderbuch handelt von Abschied und Neuanfang. Gemeinsam erleben ein
       Junge und seine Mutter diesen herausfordernden Moment in einer ihnen noch
       fremden städtischen Umgebung. Auf großzügig komponierten Doppelseiten
       begegnet man den Figuren aus nächster Nähe. Die Köpfe dicht beieinander auf
       den Kissen liegend, scheinen ihre großen Augen ferne Punkte in der
       Dämmerung zu fixieren.
       
       Dieser nachdenkliche kleine Junge hat große Ähnlichkeit mit dem stotternden
       Protagonisten in dem Bilderbuch „Ich bin wie der Fluß“, das Smith zuvor
       gemeinsam mit dem Dichter Jordan Scott veröffentlichte und das 2022 für den
       Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde.
       
       „Erinnerst du dich“ – mit dieser spielerischen Frage rufen Mutter und Sohn
       abwechselnd vertraute Bilder der Vergangenheit auf. Von einem sommerlichen
       Picknick mit dem Vater. Vom ersten Fahrrad, dem anschließenden Sturz und
       der weichen Landung im Heuhaufen. Von einem Unwetter mit Stromausfall bei
       ihnen zu Hause auf dem Land und den Geruch der Öllampe. Aber auch von ihrem
       Auszug und der chaotischen Reise. „Autos haben gehupt und sind an uns
       vorbei gerauscht. Wir waren so durcheinander.“
       
       Der Autor und Illustrator kombiniert diese heiteren und bedrückenden
       Erinnerungssplitter mit knappen, farblich abgesetzten Dialogen und
       kleineren Bildausschnitten, die wie Schnappschüsse aus einem Fotoalbum
       wirken. Daraus setzt sich ihre Geschichte in Rückblicken langsam zusammen
       ohne dabei auserzählt zu werden. Mit eindrucksvoll atmosphärischen Bildern
       lenkt Sydney Smith stattdessen die Aufmerksamkeit auf die Gefühle und
       Gedanken des Jungen, der sich mutig bereit macht für ein neues Kapitel in
       seinem Leben.
       
       ## Ein Bestseller aus der Bürgerrechtsbewegung
       
       Christopher Paul Curtis, 1951 in Flint, Michigan, geboren, arbeitete
       jahrelang am Fließband in der Automobilindustrie, bevor er 1995 sein
       literarisches Debüt „Die Watsons fahren nach Birmingham – 1963“
       veröffentlichte. Die Erzählung über eine afroamerikanische Familie aus
       Flint in Zeiten der Bürgerrechtsbewegung wurde in den USA zum Besteller.
       Nun liegt eine kommentierte deutsche Neuausgabe dieses bemerkenswerten
       Klassikers vor.
       
       Kenny, geht in die zweite Klasse der Clark Elementary School. Der
       Ich-Erzähler des Romans schielt und das Lernen fällt ihm leicht, weshalb er
       oft genug von seinen Mitschülern verspottet und drangsaliert wird. Ganz
       anders Byron, sein älterer Bruder. Der musste die fünfte Klasse bereits
       wiederholen, aber auf dem Schulhof genießt er uneingeschränkten Respekt.
       
       Zusammen mit der kleinen Schwester Joetta und den Eltern leben sie im
       „Kühlschrank“ der USA. Das behauptet zumindest ihre Mutter, die aus
       Birmingham, Alabama, stammt und sich an die eisigen Temperaturen Michigans
       kaum gewöhnen kann. Doch ist ein Leben in den Südstaaten für Vater Daniel
       Watson 1963 keine Option. Scherzhaft unterbricht er die
       Birmingham-Schwärmereien seiner Frau – „wo war doch noch gleich diese
       Toilette ‚Nur für Farbige‘ in der Stadt?“.
       
       Auch Kenneth ahnt, dass es nicht überall wie in Flint zu sein scheint, als
       Rufus aus Arkansas in löchrigen Klamotten und ohne Pausenbrot neu in seine
       Klasse kommt. Die beiden Außenseiter freunden sich an.
       
       ## Schulschwänzen und Humor
       
       Aus der Perspektive des Grundschülers und mit viel Humor erzählt der
       US-amerikanische Autor vom Alltag der aufgeweckten Familie und ihren
       Konflikten mit dem älteren Bruder. Denn nicht nur Kenny leidet unter Byrons
       Tyrannei, auch den Eltern bereiten die Abwege des Jungen und sein
       Schulschwänzen immer größere Sorgen.
       
       Deshalb beschließen die Watsons, den Dreizehnjährigen einige Zeit der
       Großmutter in Alabama zu übergeben. Allerdings muss so eine Reise Richtung
       Süden gut vorbereitet sein. Wo können sie unterwegs ohne Risiko tanken,
       rasten oder übernachten?
       
       Auch im Norden der USA erlebten schwarze Familien wie die Watsons in den
       1960er Jahren im Alltag Diskriminierung und Rassismus. Doch in den
       Bundesstaaten des Südens waren sie ihres Lebens nicht sicher, wurden von
       Gehsteigen verdrängt oder in Bussen in die letzte Reihe verbannt.
       Lynchmorde wurden begangen und sie wurden nicht geahndet.
       
       So treffen die Geschwister Kenny, Byron und Joetta im heißen Birmingham auf
       eine völlig andere Welt. Sie lernen endlich ihre etwas unheimliche Grandma
       kennen. Und sie lauschen fasziniert Mr. Roberts Geschichten von Waschbären
       und Wasserpudeln, bis eines Sonntags eine Bombe in der Kirche des Viertels
       explodiert.
       
       Christopher Paul Curtis widmete seinen Roman Addie, Denise, Carole und
       Cynthia, jenen vier Mädchen, die am 15. September 1963 bei einem
       rassistischen Anschlag auf eine Baptistenkirche in der Sixteenth Street von
       Birmingham ums Leben kamen. Doch gelingt es dem Autor der „Watsons“, der
       Angst und dem Schrecken etwas entgegenzusetzen, das Kate DiCamillo in ihrem
       Nachwort treffend beschreibt: „Auf leise, zurückhaltende Weise versichert
       uns das Buch, dass es auf der Welt mehr Liebe gibt als Hass, mehr Licht als
       Dunkelheit – dass es mehr Sterne gibt als leere Stelle.“
       
       ## Verliebtsein und erster Sex
       
       Eva Rottmann hat kein Aufklärungsbuch und auch keinen Ratgeber geschrieben.
       In zehn bewegenden Kurzgeschichten erzählt die Autorin in „Fucking, fucking
       schön“ von einer Gruppe von Jugendlichen und ihren ersten Erlebnissen mit
       Sex und Verliebtsein. Dabei treffen wir auf Alex, Teddy, Ari, Lou oder
       Yasin – Protagonist*Innen aus Rottmanns Skater-Roman „Kurz vor dem
       Rand“, für den sie 2024 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt.
       
       Die zahlreichen Episoden handeln von intensiven, manchmal ziemlich
       komplizierten Momenten. Von Erwartungen und Enttäuschungen, die mit
       Vorstellungen von Sex verbunden sind. „Aber wir müssen das einfach
       ausprobieren. Wir haben ja grad erst damit angefangen, ist doch klar, dass
       wir noch nicht wissen, wie es geht,“ beruhigt Mats ihren Freund Milad nach
       dem ersten Mal. In zugänglicher Sprache unaufdringlich erzählt, ermutigt
       „Fucking, fucking schön“ dazu, weniger daran zu denken, was erwartet wird
       oder wie man wirkt.
       
       Als Tini, die von den Freundinnen für ihre Unerfahrenheit belächelt wird,
       in einem Sexshop mit hochrotem Kopf einen Vibrator ersteht, rät ihr die
       Verkäuferin lebenserfahren: „Das Wichtigste bist du selbst, Mädchen.
       Versuch rauszufinden, was dir gefällt.“
       
       Für den Vorsatz des Romans hat Rottmanns Schwester Leo eine wild verzweigte
       Übersichtsmap gezeichnet. Alle Personen aus diesem Buch und ihre Beziehung
       zueinander sind darauf mit Pfeilen, Herzen und Kommentierungen zum
       Nachschlagen festgehalten. Denn im Verlauf der zehn kurzen Geschichten
       begegnen wir den einzelnen Figuren immer wieder und lernen sie aus
       vielfältigen Perspektiven kennen – so auch Fabian, der an der Schule den
       Ruf eines viel umschwärmten Players hat oder Melek, Mats selbstbewußte
       Punk-Freundin.
       
       Das ist ein wirkungsvoller Kunstgriff. Zeigt er doch auch, Sex ist nichts
       für Angeber.
       
       14 Dec 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva-Christina Meier
       
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