# taz.de -- Stiftung Oper in Berlin: Die Traumfabrik der Bühnen
       
       > Beim Bühnenservice Berlin fertigen Handwerker:innen mehrerer Berliner
       > Opernhäuser gemeinsam Kostüme und Kulissen. Auch hier drohen Kürzungen.
       
 (IMG) Bild: Die Schuhmacherwerkstatt stellt alle schon vorhandenen und noch zu erfindenden Fußbekleidungen her
       
       Berlin taz | Zehn verschiedene Werkstätten auf 20.000 Quadratmetern – die
       braucht es, um all das zu fertigen, was in den drei Berliner Opernhäusern,
       dem Deutschen Theater und dem Theater an der Parkaue an Szene und Kostüm
       auf die Bühne kommt. Ein derart kompaktes Format eines
       Theaterdienstleisters, finanziert mit öffentlichen Mitteln, gibt es nur
       einmal in Deutschland: in Berlin.
       
       Und das ist kein Zufall. Nach der Wende durfte die wiedervereinte Stadt
       drei Opernhäuser zu ihrem Kulturschatz zählen – der Streit über deren
       Unterhalt dauerte über ein Jahrzehnt und endete in einem Kompromiss. Statt
       eines der Häuser zu schließen, [1][sollte hinter den Kulissen gespart
       werden]. „Durch die Zusammenlegung der Werkstätten wollte man
       Synergieeffekte schaffen“, erklärt der Geschäftsführer des Bühnenservice,
       Rolf D. Suhl, auf einer Führung durch die Produktionsstätten in
       Friedrichshain. Auf den langen Fluren hört man es sägen, hämmern oder
       tackern, es riecht nach Klebstoff und Farbe.
       
       Zu den 60 Neuproduktionen im Jahr kommen Dutzende Wiederaufnahmen, für die
       Anpassungen und Aufarbeitungen nötig sind, weil etwa Tutus in Form
       gebracht, Ballettschuhe repariert oder Kulissen vergrößert werden müssen.
       Wenn es die Kapazitäten erlauben, wird auch für externe Auftraggeber
       produziert, etwa für andere Theater, Messebetriebe oder Künstlerateliers.
       
       „Wir sind praktisch ganzjährig zu 100 Prozent ausgelastet“, sagt Suhl.
       „Vieles läuft parallel, und es ist ein großer logistischer Aufwand, die
       Abläufe abzustimmen. Aber es klappt: Diese Woche haben wir gleich zwei
       Premieren abgeschlossen.“
       
       So effizient das ist: Für die Handwerker:innen ist die Arbeit
       intensiver und auch anstrengender geworden, berichtet die Leiterin der
       Kostümwerkstätten, Petra Hoffmann: „Früher haben wir, wie an Theatern
       üblich, immer auf eine oder zwei Premieren hingearbeitet. Dann hat man
       diesen Peak und macht viele Überstunden. Danach ist Pause, man kann
       aufräumen, zusammen einen Kaffee trinken und resümieren, was gut und
       schlecht war. Das ist heute leider nicht mehr möglich.“
       
       ## Arbeiten wie am Fließband
       
       Wie am Fließband arbeiten sie hier mit dem Ziel, das Maximalpensum zu
       erreichen. Auch die Räumlichkeiten erinnern an eine Fabrik, so schwebt über
       der Endfertigungshalle die Etage der Produktionsleiter:innen. Der Leiter
       der Dekorationswerkstätten, Peter Kohlsmann, prüft von hier oben etwa, ob
       die Bühnenelemente rechtzeitig abgeholt wurden und Platz für die nächsten
       Szenen ist. Deren Einzelteile warten in Schlosserei, Tischlerei und Malerei
       bereits darauf, montiert zu werden.
       
       In der 1.400 Quadratmeter großen Halle ist auch die Plastikabteilung
       zugange, wenn ein Objekt nicht in ihre Räume passt, so wie die voluminösen
       Felsenplastiken für die Produktion „Ein Sommernachtstraum“ des
       Staatsballetts. Ein ambitioniertes Projekt – zum ersten Mal kommen nur
       nachhaltige Materialien zum Einsatz. „Normalerweise wird im Kulissenbau
       sehr viel Styropor verarbeitet“, erklärt Rolf D. Suhl. „Jetzt versuchen
       wir, stattdessen mit Holz und Pappe zu arbeiten. Statt der üblichen
       Polyurethan-Beschichtung nehmen wir Naturlatex.“
       
       Bei einem der Felsen ist ein Bühnenplastiker schon dabei, die Farbe
       aufzutragen. Am Modell wurde zuvor ausprobiert, welchen Farbmix es braucht,
       um die Plastiken echt aussehen zu lassen. Wie aber sieht es mit der Statik
       aus? Ob der Felsen die Tänzer:innen am Ende auch trägt? „Das können wir
       alles vorher ausrechnen“, sagt Peter Kohlsmann. „Das muss ja nicht nur
       tragfähig, sondern auch stabil sein. Später hängt das in 30 Metern Höhe
       über den Tänzern.“
       
       Sich auf neue Experimente einzulassen, gehört für Kohlsmann und sein Team
       zum Alltag. Eine Wand mit leuchtenden Augen, Laternenmäste, die plötzlich
       einknicken – für die Dekorationsabteilung ist das kein Hexenwerk. „Geht
       nicht, gibt's bei uns nicht“, sagt Kohlsmann.
       
       ## „Ist das dem Haus zu teuer, wird reduziert“
       
       Dass nicht jede Bühnenbildidee am Ende umgesetzt wird, liege an den Kosten,
       so der Werkstättenchef. „Auf Basis der Modelle der Bühnenbildner machen wir
       eine genaue Kalkulation. Ist das dem Haus zu teuer, wird reduziert.“ Aber
       wie schätzt man ein, wie viel Arbeitsstunden es für eine nie da gewesene
       Fantasiemaschine braucht? „Mit der Zeit weiß man das“, sagt Kohlsmann.
       
       Erfahrung, die hat Peter Kohlsmann. Rund 36 Jahre arbeitet er bereits im
       Opernbetrieb, seinen Abschluss machte er 1988 an der Ostberliner
       Staatsoper. Mit der Wende kam die Unsicherheit, wie ein Damoklesschwert
       schwebte die Schließung eines der drei Opernhäuser über den
       Mitarbeiter:innen. „Das einzige Haus mit Minusbedarf war damals die
       Deutsche Oper“, erinnert sich Kohlsmann. „Aber die Politik konnte ja nicht
       das einzige Westhaus schließen.“
       
       2004 [2][wurde die Stiftung Oper in Berlin gegründet], mit der die drei
       Opernhäuser ein juristisches Dach bekamen, aus den drei Ballettcompagnien
       der Häuser wurde ein Staatsballett. Sechs Jahre pendelte Kohlsmann, damals
       Leiter der Schlosserei, zwischen den Werkstätten hin und her, bis 2010
       schließlich ein gemeinsamer Standort bezogen werden konnte. Die ehemaligen
       Druckhallen des Neuen Deutschland nahe dem Ostbahnhof wurden eigens für den
       Bühnenservice umgebaut. „Ich habe den Platz jeder einzelnen Maschine
       mitentschieden“, berichtet Kohlsmann.
       
       Wie der Dauer- und Parallelbetrieb der fusionierten Werkstätten praktisch
       aussehen sollte, mussten sich die Mitarbeiter:innen auch selbst
       ausdenken. „Das hat Jahre gedauert, bis wir uns fertig organisiert hatten“,
       erzählt Kostümchefin Petra Hoffmann. Schon im Stofflager lässt sich
       erahnen, was es bedeutet, für mehrere Häuser gleichermaßen zuständig zu
       sein. Für jedes Haus wird separat eingekauft, mit den fertigen Kostümen
       muss auch der kleinste Stoffrest zurück an den Auftraggeber. „Jeder Stoff
       hat einen andersfarbigen und genau beschrifteten Laufzettel“, erklärt
       Hoffmann. „Durcheinander kommen darf da nichts.“
       
       ## Kostümbildner:innen als Therapeut:innen
       
       In den sechs Kostümwerkstätten fertigen 16 Gewandmeister:innen Kostüme
       vom Schnittmuster bis zum Paillettenbesatz, auch Flügel, etwa einer
       Libelle, werden hier mit Stoff bespannt. Es gibt eine Farbküche, in der
       Stoffe gefärbt werden, nebenan werden Kostüme mit Flecken oder Patina
       versehen, um sie gebraucht oder alt aussehen zu lassen.
       
       Zuständig ist die Abteilung für Kostümmalerei und Kostümplastik, die
       Kostüme auch vergoldet oder anderweitig veredelt. Braucht eine Figur einen
       dicken Bauch, wird dieser hier ebenfalls hergestellt. Alle schon
       vorhandenen und noch zu erfindenden Fußbekleidungen stellt hingegen die
       Schuhmacherwerkstatt her, die Abteilung „Hut und Putz“ kümmert sich um
       Hüte, Masken und Ziergut wie Fächer, Schmuck und Schirme.
       
       Es gilt: Alles, was sich die Kostümbildner:innen erträumen und die
       Häuser bezahlen wollen, wird gemacht. Auch auf Wünsche der
       Darsteller:innen wird eingegangen. „Wir sind ein bisschen wie
       Therapeuten“, sagt Petra Hoffmann. „Wenn zum Beispiel der Chor
       Plastikkleider bekommt, so wie vor vielen Jahren an der Staatsoper, dann
       sind da über 80 Leute, die schimpfen: Da schwitze ich doch drin! Dann muss
       man beruhigen: Das wird noch, wir machen Löcher rein, dann geht das schon.“
       
       Fühlt sich jemand mit seinem Kostüm partout nicht wohl, wird auch schon mal
       was anderes gezaubert. Petra Hoffmann sagt: „Wir heißen ja Bühnenservice.
       Diesen Namen tragen wir mit Stolz.“
       
       ## Fusion ohne Change-Management
       
       Gut 200 Mitarbeiter:innen beschäftigen die Werkstätten und die
       Verwaltung, dazu kommen 28 Auszubildende. Im Zuge der Fusion sind 80
       Arbeitsplätze eingespart worden – ohne Kündigung, die Betroffenen wurden
       versetzt oder pensioniert. „An den menschlichen Aspekt wurde gar nicht
       gedacht“, berichtet Peter Kohlsmann.
       
       Ein Change-Management, wie heute üblich, hat es nicht gegeben, Differenzen
       musste man unter sich ausmachen. Wobei der Ost-West-Unterschied weniger
       herausfordernd gewesen sei als die unterschiedlichen Arbeitsweisen, sagt
       Petra Hoffmann. So musste man sich etwa auf eine einheitliche Weise
       einigen, Maß zu nehmen. „Das war ein langer Weg, bis wir da zueinander
       gekommen sind“, sagt sie. „Aber es ist uns geglückt.“
       
       Glück sieht man in so gut wie allen Gesichtern des Bühnenservice. Auch der
       Geschäftsführer zeigt sich zufrieden – die Zahlen und Ergebnisse stimmen.
       Rolf D. Suhl sagt: „Wir arbeiten extrem wirtschaftlich.“ Eine
       Erfolgsgeschichte also, [3][die durch die aktuellen Entwicklungen jedoch
       bedroht ist].
       
       Sollten Senat und Abgeordnetenhaus die angedrohten Einsparungen
       beschließen, so hieße das zehn Prozent weniger für die Kultur, mindestens –
       [4][nach aktuellem Stand sind es sogar mehr]. „Ich bin zwölf Jahre an
       diesem Haus, aber eine solche Planungsunsicherheit habe ich noch nicht
       erlebt“, sagt Suhl. „Zumal uns dies ja schon im nächsten Jahr treffen
       soll.“
       
       18 Nov 2024
       
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