# taz.de -- Kritische Musterkennung: Ich will mit den Dingen sein
       
       > Unser Autor ist umstellt von Dingen, die ihn machen. Er sieht Muster,
       > über die er urteilt. Doch was, wenn er stattdessen mit den Dingen
       > verschmilzt?
       
 (IMG) Bild: Die Fliege als kleines Puzzleteil unserer Wirklichkeit
       
       Dinge schleichen sich in mein Leben, meistens unbemerkt. Wandeln als
       Eindrücke von gestern durch meinen Körper wie Geister. Die benutzte Spritze
       in der Ecke des Hausflurs. Die Ampel ist rot. Autos dröhnen. Das Abendessen
       einer Freundin bekommt 14 Likes nach 49 Minuten. In den Büros atmen
       Menschen in vollen Zügen. Der plötzliche [1][Vibe-Shift] im ICE, als es
       heißt, Taschendiebe seien im Zug.
       
       Strange Fragmente einer wahnsinnigen Realität. Sie performen die nervöse
       Choreografie eines Skripts. Weißt du, was ich meine? Dann landet eine
       Fliege auf meiner Schulter. Kaffee spritzt auf mein T-Shirt. Ha, das Tier
       hatte bis gerade nichts mit mir zu tun und jetzt drängt es sich in meine
       Welt. Als würde es mir was sagen wollen.
       
       Da war ich doch so schön dabei, mir die Eindrücke zu einem Krimi
       zurechtzuspinnen. Das innere [2][Doom-Scrolling] knüpft einen Zusammenhang
       zwischen beschissen und banal. Nimmt mich jemand in den Arm?
       
       Ich frage mich, woher das kommt. Das Ich, das sich als Mittelpunkt der Welt
       verortet und immer von sich auf andere Dinge schließt. Aus der Aufklärung,
       die sich bekanntlich einbildet, mit Vernunft [3][über die Welt triumphiert]
       zu haben? Bevor dieser Triumph zu einer Angst geführt hat, die ein
       Bedürfnis nach Verwurzelung hervorrief?
       
       ## Gestresst von der Wirklichkeit
       
       Keine Ahnung. Mein Nervensystem streamt die Wirklichkeit ohne
       Werbeunterbrechung. Die Narrative haben 24/7 Zugang zu mir, mein Körper ist
       ein Kanal, durch den sie kursieren, sie wollen, dass ich gestresst bin –
       und blind dafür, dass auch alles anders sein könnte. Das macht mir Angst.
       Nichts kommt aus einem Vakuum. Ich kam aus dem Bauch meiner Mutter in eine
       Welt, die mir lange vorausging und mich dennoch bereits gemacht hat.
       
       Vielleicht liegt es an meinem Soziologiestudium. Der totale Brainfuck. Seit
       ihr Programm installiert ist, traue ich meinem subjektiven Blick nicht mehr
       über den Weg. Da ist dieser Splitscreen. Hier das unschuldige kleine Ich,
       da die böse große Gesellschaft.
       
       Auch Medien konstruieren Ereignisse oft als kausal aufeinanderfolgende
       Reihe. Einzelnes, Individuelles wird zur allgemeinen Form, die auf ein
       Problem verweisen.
       
       Die Dinge sind umstellt von unbarmherzigen Vergleichen. Klar sehnen die
       sich dann nach festen Bedeutungen und einer Wirklichkeit, die einem
       Ikea-Schrank ähnelt – ein Kompromiss aus schlechter Qualität und okayem
       Design.
       
       ## Den distanzierten Blick hinter sich lassen
       
       Ich will mir diesen Blick abtrainieren. Diesen distanzierten, arroganten,
       patriarchalen Blick, der die Zusammenhänge schon zu kennen glaubt, bevor er
       sie sieht; der immer nur über die Dinge spricht. Ich will mit den Dingen
       sein. Das ist superschwer.
       
       Wirklichkeit ist dann vielleicht nicht mehr wie der Ikea-Schrank. Sie ist
       die Einzelteile des Schranks – und die Schraube, Nieten, die Verbindungen
       dazwischen.
       
       Ist diese Metapher scheiße? Sollte die Wirklichkeit nicht viel größer und
       komplexer sein, als es ein Vergleich fassen kann? Manchmal, wenn ich
       spazieren gehe in Berlin oder sonst wo, glaube ich, Zusammenhänge als
       vorläufige Skizzen der Wirklichkeit zu erkennen – und ihr Potenzial, neue
       zu zeichnen.
       
       Dabei Musik hören, das ist der Shit. Verschmelzen mit Schönheit, während
       die Dinge um mich herum irgendwas Alltägliches machen. Ich danke der Fliege
       von ganzem Herzen.
       
       14 Oct 2024
       
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