# taz.de -- Die Linke vor ihrem Bundesparteitag: „Wir haben den Schuss gehört“
       
       > Ines Schwerdtner und Jan van Aken wollen nächstes Wochenende neue
       > Vorsitzende der Linkspartei werden. Ein Gespräch über neue Pläne und alte
       > Konflikte.
       
 (IMG) Bild: Die letzte Hoffnung? Der 63-jährige Jan van Aken und die 35-jährige Ines Schwerdtner wollen die Linkspartei aus ihrer Krise führen
       
       taz: Frau Schwerdtner, stimmt es, dass Ihr Geschichtslehrer über Sie in der
       Abiturzeitung geschrieben hat: „Die wird mal Vorsitzende der neuen SED“? 
       
       Ines Schwerdtner (lacht): Woher wissen Sie das denn? Aber ja, das stimmt.
       
       taz: Sehr vorausschauend, oder? 
       
       Schwerdtner: Wie man es nimmt. Er hat ebenso gesagt, er könne sich auch
       vorstellen, dass ich die Nachfolge von Anne Will antrete. Da hat er nicht
       so ganz richtig gelegen.
       
       taz: Sie sind erst vor etwa einem Jahr in die Partei eingetreten, an deren
       Spitze Sie jetzt streben. Eine ganz schön schnelle Karriere, oder? 
       
       Schwerdtner: Einerseits ja, aber andererseits kenne ich die Partei, seit
       ich 17 bin und war ja selber als Journalistin in jedem Winkel, in jeder
       Strömung unterwegs. Insofern kenne ich sie vielleicht besser als manch
       andere, die schon länger Mitglied sind, aber sie eben nicht so in ihrem
       tiefsten Innern beobachtet haben.
       
       taz: Was hat Sie denn davon abgehalten, früher einzutreten? 
       
       Schwerdtner: Auf der einen Seite mein Job als Journalistin, weil ich da die
       Distanz halten wollte. Auf der anderen Seite habe ich immer gesagt, wenn
       ich da reingehe, dann voll und ganz. Einfach ein inaktives Mitglied zu
       sein, kam für mich nicht in Frage.
       
       taz: Also entweder Vorsitzende oder gar nichts? 
       
       Schwerdtner: Nein, aber für mich stand immer fest, dass wenn ich in die
       Linke eintrete, dann muss ich mich schon wirklich engagieren. Und das
       kollidierte vorher mit meinem Engagement in der Gewerkschaft oder meiner
       Arbeit als [1][Chefredakteurin des Jacobin-Magazins]. Jetzt passt es.
       
       taz: Herr van Aken, Sie hingegen sind Mitglied seit 2007 und Sie waren auch
       schon einmal stellvertretender Parteivorsitzender. 2021 haben Sie sich aus
       dem Bundesvorstand zurückgezogen. Warum wollen Sie jetzt wieder
       zurückkehren? 
       
       Jan van Aken: [2][Ich habe mich 2021 zurückgezogen], weil es diese
       absoluten Gegensätze zwischen Fraktion und Partei gab. Wir haben ja damals
       nicht nur nach außen das Bild abgegeben, dass wir zerstritten sind. Das war
       auch so. Damals habe ich keine Chance mehr für eine konstruktive
       Zusammenarbeit gesehen. Jetzt hat sich das BSW abgesplittert und ich
       glaube, es gibt wieder eine Möglichkeit, dass wir als als Team, als
       Kollektiv auftreten. Wir haben unsere Talsohle erreicht, aber wir können
       nun wieder aus ihr herauskommen.
       
       taz: Neun Jahre gehörten Sie dem Bundesvorstand an. Tragen Sie da keine
       Mitverantwortung für den Niedergang der Linkspartei oder begann der aus
       Ihrer Sicht erst nach Ihrem Abgang? 
       
       van Aken: Da trage ich auf jeden Fall eine Mitverantwortung, das ist völlig
       klar. Ich habe schon vor Jahren gesagt, dass wir uns von dem Kreis um
       Wagenknecht trennen müssen, weil es inhaltlich nicht mehr zusammenpasst.
       Damit habe ich mich nicht durchgesetzt. Mein Fehler war, dass ich nicht
       noch stärker gedrängt habe, einen Schnitt zu machen.
       
       taz: Frau Schwerdtner, teilen Sie die Einschätzung, dass es schon viel
       früher zum Bruch mit Wagenknecht & Co. hätte kommen sollen? 
       
       Schwerdtner: Ich glaube, dass der [3][Erfurter Parteitag 2022] noch ein
       Moment gewesen wäre, Teile des Flügels um Wagenknecht einzubinden. Das ist
       leider [4][nicht gelungen]. Bei ihr selbst war wahrscheinlich die Messe
       bereits vorher gelesen.
       
       taz: Was haben die amtierenden Parteivorsitzenden [5][Janine Wissler und
       Martin Schirdewan] falsch gemacht, was Sie nun besser machen wollen? 
       
       van Aken: Wenn Sie so fragen: nichts. Klar machen wir alle Fehler. Aber ich
       bin den beiden dankbar, dass sie die Linke durch die schlimmsten
       dreieinhalb Jahre seit ihrer Gründung gesteuert haben. Letztlich hatten sie
       keine Chance gegen die inneren Destruktionskräfte. Wenn die bekannteste
       Frau der Partei ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl [6][ein Buch
       veröffentlicht], wo sie schreibt, die Linke ist scheiße, was willst du da
       als Parteivorsitzende machen? Der Bruch mit Wagenknecht hätte schon vor
       ihrem Amtsantritt erfolgen müssen. Deswegen werden Sie von mir nichts
       Schlechtes über die beiden hören. Jetzt ist es gut, dass es einen Neuanfang
       gibt.
       
       Schwerdtner: Wir haben eine andere Startposition. In der ganzen Breite der
       Partei scheinen inzwischen alle den Schuss gehört zu haben und bereit zur
       Zusammenarbeit zu sein. Das war in den vergangenen Jahren noch nicht so. Es
       gibt jetzt die Chance, dass wir innerhalb der Partei wieder miteinander so
       umgehen, wie wir es uns auch für die Gesellschaft wünschen. Ich würde das
       als revolutionäre Freundlichkeit bezeichnen. Mein Credo lautet: Hart zum
       politischen Gegner und gegenüber dem System, aber freundlich zu den
       Menschen.
       
       taz: Glauben Sie wirklich, mit dem Austritt von Wagenknecht und der
       Gründung des BSW ist die Zeit des großen Streits vorbei? 
       
       van Aken: Ja, das glaube ich tatsächlich. Wenn ich mir die diversen
       Vorbereitungstreffen zu unserem Parteitag anschaue, dann herrschte da eine
       völlig andere Stimmung, als ich sie je in der Partei erlebt habe.
       
       taz: Aber es gibt doch weiterhin große inhaltliche Konfliktpunkte, zum
       Beispiel in der Friedenspolitik. 
       
       van Aken: Also ich bin ja nun seit langem die Friedenstaube der Partei.
       Meine Position ist: Wir stehen eng an der Seite der Menschen in der
       Ukraine, gleichzeitig suchen wir nach nichtmilitärischen Lösungen und
       fordern sie ein. Das ist meines Erachtens innerhalb der Partei extrem
       mehrheitsfähig.
       
       taz: In der stark aufgeheizten Frage, ob der Ukraine auch militärisch
       geholfen werden sollte, um der russischen Aggression standhalten zu können,
       besteht jedoch weiterhin keine Einigkeit. 
       
       van Aken: Ich bin gegen Waffenlieferungen, wie wohl auch eine große
       Mehrheit in der Partei. Dass es bei uns auch Leute gibt, die für
       Waffenlieferungen sind, damit kann ich leben. Nicht jeder, der dafür ist,
       ist gleich ein Kriegstreiber, wie auch nicht jede, die dagegen ist, gleich
       Putin-Freundin ist. Wenn wir uns eingestehen, dass es eine wirklich
       komplizierte Sachlage ist, dann wird es möglich, Argumente austauschen,
       ohne sich anzubrüllen. Die zentrale Frage ist doch gar nicht
       „Waffenlieferungen ja oder nein?“ Sondern: „Wie kommst du zu
       Friedensverhandlungen?“ Darum geht es und hinter dieser Frage lässt sich
       die Partei vereinen.
       
       taz: Bis auf Thüringen und die Stadtstaaten kommt die Linke in keinem
       Bundesland mehr auch nur in die Nähe der 5-Prozent-Hürde. Ist es der Mut
       der Verzweiflung, der Sie hoffen lässt, dass Ihre Partei noch zu retten
       ist? 
       
       Schwerdtner: Nein, wir sind nicht naiv, sondern haben eine begründete
       Hoffnung. Es gibt eine paradoxe Situation: Wenn wir zu unseren
       Kreisverbänden fahren, dann erleben wir dort eine sehr engagierte
       Mitgliedschaft, die total aktiv ist. Und die wächst sogar und wird jünger.
       Aber das übersetzt sich derzeit nicht in Wahlergebnisse. Das heißt, wir
       haben einerseits viele Leute überzeugt, dass es die Linke braucht. Deswegen
       gewinnt die Linke Mitglieder hinzu, inzwischen sind wir wieder mehr als
       52.000. Gleichzeitig haben wir aber Millionen Menschen verloren, die uns
       nicht mehr wählen, weil sie nicht mehr daran glauben, dass wir für sie in
       ihrem Leben etwas erreichen können. Diesen Glauben müssen wir ihnen
       zurückgeben. Alles, was wir zur Erneuerung unserer Partei brauchen, steckt
       schon in ihr drin. Nämlich in unseren vielen Mitgliedern, denen wir aber
       wieder eine politische Vision liefern müssen.
       
       taz: Was meinen Sie denn, was Ihre Partei für die Menschen erreichen kann? 
       
       Schwerdtner: Egal, ob wir im Parlament sitzen oder nicht, können wir für
       die Menschen etwas erreichen. Davon bin ich überzeugt. Die Linke wird
       gebraucht als Partei, die sich vor Ort ganz konkret um die Alltagssorgen
       der Menschen kümmert und ihnen unbürokratisch hilft. Das geschieht ja auch
       bereits an etlichen Orten, wo wir eine Anlaufstelle für Menschen sind, die
       Unterstützung brauchen, und wo wir zum Beispiel Sozialsprechstunden oder
       Rechtshilfeberatung anbieten.
       
       taz: Wollen Sie der Arbeiterwohlfahrt oder der Volkssolidarität Konkurrenz
       machen? 
       
       Schwerdtner: Wir sind eine sozialistische Partei, die auch den Anspruch
       hat, ganz nützlich zu sein im täglichen Leben. Das verstehe ich als
       politische Aufgabe. Ein konkretes Beispiel: Wenn, wie in München geschehen,
       mehrere 100 Leute mit Heizkostenabrechnungen zu uns kommen, die nicht
       stimmen, dann bringen wir das ins Parlament und sagen: Hier gibt es ein
       grundsätzliches Problem mit Vonovia. Das macht ja die Volkssolidarität
       nicht. Wir wollen den Menschen helfen, aber auch mit ihnen gemeinsam für
       Verbesserungen kämpfen.
       
       taz: Bei den Wahlen [7][in Sachsen] und [8][Brandenburg] hat Ihre Partei
       Gregor Gysi großflächig mit dem Spruch plakatiert: „Mal unter uns, wir
       würden Ihnen doch sicher fehlen.“ Die Antworten waren 4,5 und 3 Prozent.
       Warum würde inzwischen so wenigen Menschen im Osten die Linke fehlen? 
       
       Schwerdtner: Offensichtlich gab es da einen Glaubwürdigkeitsverlust. Aber
       ich bin fest davon überzeugt, dass man die Menschen auch wieder von uns
       überzeugen kann. Viele werden erkennen, was es bedeutet, wenn eine soziale
       Opposition im Landtag fehlt.
       
       taz: Bei den Landtagswahlen im Osten sind einst treue PDS- und dann
       Linke-Wähler in Scharen zum BSW übergelaufen. Was macht die
       Wagenknecht-Partei besser? 
       
       van Aken: Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas besser macht. Es gibt zwei
       große Problempunkte. Der erste ist hausgemacht: Seit Jahren wurden wir in
       der Öffentlichkeit nur noch über unsere Streitereien wahrgenommen. Wer
       wählt schon eine dauerstreitende Partei, von der man nicht mehr weiß, wofür
       sie eigentlich steht? Davon profitieren jetzt ausgerechnet die, die uns in
       diese Situation befördert haben. Der zweite Punkt ist ein
       gesellschaftlicher. Wir erleben gerade einen ganz schlimmen
       Ablenkungsdiskurs: Für alle Missstände und sozialen Verheerungen werden
       Migranten und Geflüchtete verantwortlich gemacht. Genau dieses Ressentiment
       bedient das BSW mit seinem sehr klar rassistischen Narrativ. Da wird nach
       unten getreten, statt nach oben. Als Linke müssen wir dagegenhalten. Wenn
       wir es schaffen, soziale Gerechtigkeit wieder zur zentralen Frage zu
       machen, dann wird sich da ganz viel verschieben.
       
       taz: Hat Sie eigentlich der Erfolg des BSW überrascht? 
       
       van Aken: Nein, aber ich bin ganz gespannt, wie sich das BSW entwickelt.
       Wir hatten ja schon mal so eine Hypepartei. Aber wer erinnert sich heute
       noch an die Piraten?
       
       taz: Wenn der Hype irgendwann vorbei ist, kann es für die Links allerdings
       schon zu spät sein. 
       
       van Aken: Das glaube ich nicht. Es gibt da draußen ein riesiges Bedürfnis
       nach einer klaren linken Position. Die Ampel legt uns jeden Tag einen
       Elfmeter auf dem Punkt. Wir müssen den nur noch reinmachen. Das ist mein
       Ausgangspunkt. Der erste Test ist Hamburg im März nächsten Jahres. Dann
       werden wir ja sehen, wie stark die Linke ist.
       
       taz: In Ihrer Partei ist gerade viel von Neuanfang die Rede, manche
       sprechen gar von einer „Neugründung“. Aber was ist das wirklich Neue, außer
       Ihre Hoffnung, sich weniger zu streiten? 
       
       van Aken: Wieder mit einer Stimme zu sprechen, ist die halbe Miete. Zentral
       wird sein, dass wir uns in nächster Zeit auf ein oder zwei Forderungen
       fokussieren, für die wir auf allen Ebenen streiten. So haben wir bei
       Greenpeace, wo ich ja herkomme, immer gearbeitet – und das ziemlich
       erfolgreich. Da habe ich Kampagne gelernt. Einst hat die Linke gemeinsam
       mit Bündnispartnern den Mindestlohn mehrheitsfähig gemacht und
       durchgesetzt. Nun muss sie das beispielsweise für einen Mietendeckel
       machen.
       
       taz: Und was wäre die zweite Forderung? 
       
       van Aken: Bevor wir uns festlegen, wollen wir ab November an
       hunderttausende Haustüren gehen, um die Menschen zu befragen, was für sie
       am meisten drängt. Wir wollen herausfinden, was ist eigentlich das, wo die
       Menschen sofort sagen: Ja, das das würde mein Leben sofort verbessern und
       ist machbar. Dann werden wir uns entscheiden. Das ist ein neuer Ansatz.
       
       Schwerdtner: Das Problem bisher war, dass wir zunehmend Politik für die
       eigenen Freunde gemacht haben und weniger für die Menschen, mit denen man
       normalerweise nichts zu tun hat. Das war nicht unbedingt eine bewusste
       Entscheidung, sondern erfolgte vielfach unbewusst. Wie wir erfolgreich sein
       können, hat zum Beispiel die [9][Landtagswahlkampagne von Nam Duy Nguyen]
       in Leipzig gezeigt: gnadenlos mit Tausenden zu sprechen und überall
       hinzugehen, wo potenzielle Wähler, vor allem auch Nichtwähler, sind.
       
       taz: Neu ist auch, dass Sie [10][für eine Mandatszeitbegrenzung] für
       Abgeordnete auf drei Wahlperioden plädieren. Heißt das, dass Gregor Gysi
       bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten soll? 
       
       van Aken: Nein, das soll für die Listenplätze gelten, die sind das
       Entscheidende. Da sollten wir als gutes Beispiel vorangehen. Denn ich
       denke, dass das insgesamt ein Modell für den Bundestag und die
       Länderparlamente sein sollte, damit das Parlamentarierdasein kein
       Karriereziel mehr ist. Wenn man all diese verkrusteten und negativen
       Strukturen im Parlament aufheben will, muss das eigentlich für alle
       Parteien gelten. Aber wenn Leute vor Ort so verankert sind, dass sie ein
       Direktmandat holen, dann finde ich es völlig in Ordnung, wenn die das zwei,
       drei, vier- oder fünf Mal machen.
       
       13 Oct 2024
       
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