# taz.de -- Linksparteitag in Halle: Neue Doppelspitze bemüht sich um „Hoffnung und Zuversicht“
       
       > Ines Schwerdtner und Jan van Aken sind zu neuen Vorsitzenden der
       > Linkspartei gewählt worden. Und Gregor Gysi macht eine besondere
       > Ankündigung.
       
 (IMG) Bild: Die Berlinerin Ines Schwerdtner und der Hamburger Jan van Aken wollen die Linkspartei in eine bessere Zukunft führen
       
       Halle (Saale) taz | Gregor Gysi hatte noch einmal seinen großen Auftritt.
       Erst kurz zuvor auf dem Parteitag der Linken im sachsen-anhaltinischen
       Halle eingetroffen, betrat der in die Jahre gekommene Politpopstar am
       Samstagnachmittag unter Beifall die Bühne. Und er hatte eine besondere
       Ankündigung mitgebracht.
       
       „Igendwann nach dem Parteitag“ würden sich „drei ältere Genossen“ treffen,
       teilte der 78-jährige Bundestagsabgeordnete den mehr als 500 Delegierten
       paternalistisch mit. Zusammen mit Ex-Bundestagsfraktionschef Dietmar
       Bartsch und Thüringens Nochministerpräsident Bodo Ramelow werde er dann bei
       einem Wein „darüber nachdenken, ob es den wirklich notwendigen Aufschwung
       in unserer Partei gibt“. Falls sie zu einem positiven Ergebnis kämen, dann
       würden die Drei die „Aktion Silberlocke“ starten.
       
       Das heiße, so gab Gysi bekannt, dass sie für diesen Fall „in vollem Umfang
       in den Wahlkampf eingreifen“ würden. Jeder von ihnen versuche dann sowohl
       ein Direktmandat zu erreichen, als auch dabei mitzuhelfen, die
       Fünfprozenthürde zu überspringen. „Über das Ergebnis unserer Beratungen
       werde ich euch informieren“, sagte Gysi. „Deutschland braucht eine starke
       demokratisch-sozialistische Partei“, schloss er seine zehnminütige Rede.
       
       Tja, da wird sich die Partei wohl kräftig Mühe geben müssen, um den
       Ansprüchen der drei Altvorderen zu genügen. Auf dem Parteitag übten sich
       Ines Schwerdtner und Jan van Aken, die die zerzauste Partei künftig führen
       werden, unverzagt bereits schwer im Mutmachen.
       
       ## Klare Mehrheiten für Schwerdtner und van Aken
       
       Sie habe in den letzten Wochen und Monaten „festgestellt, wie unglaublich
       lebendig diese Partei ist“, schwärmte Schwerdtner in ihrer Bewerbungsrede.
       „Egal, was alle anderen sagen, lasst euch nichts einreden.“ Für ihn seien
       „Hoffnung und Zuversicht“ ganz zentral, sagte van Aken. Die Basis der
       Linken sei „quicklebendig“, dort sei „so viel Energie“ und „so viel Feuer“,
       schmeichelte er. Die Delegierten hörten's gerne: Mit 79,6 Prozent wurde
       Schwerdnter und mit 88 Prozent van Aken am Samstagnachmittag zu den neuen
       Vorsitzenden der Linkspartei gewählt.
       
       Sie sind die Nachfolge für Janine Wissler und Martin Schirdewan, die auf
       [1][eine erneute Kandidatur verzichtet] hatten und mit großem Applaus am
       Vormittag verabschiedet wurden. Seinen Nachfolger:innen wünsche er
       „Kraft und Glück“, sagte Schirdewan in seiner Parteitagsrede. „Das heißt
       aber auch: Schluss mit der destruktiven Machtpolitik in unseren eigenen
       Reihen“, forderte Schirdewan. Und er warnte vor einer Beschwörung
       vermeintlich guter alter Zeiten. „Eine Flucht in die Orthodoxie oder als
       BSW light-Kopie wären das Ende“, sagte er.
       
       „Ich bin als Sozialistin in eine sozialistische Partei gekommen, um aus
       tiefer Überzeugung und mit dem Wissen, dass es sie braucht“, sagte
       Schwerdtner bei ihrer Vorstellung. „Wir verschwinden doch nicht, weil die
       Umstände schwieriger werden, wir richten uns auf.“ Sie habe mit vielen
       Menschen gesprochen, die eine „tiefe Sehnsucht nach einer solidarischen
       politischen Kraft in diesem Land“ hätten. Sie wünsche sich „eine Partei,
       die Hoffnung macht“.
       
       Schwerdtner wurde 1989 im sächsischen Werdau geboren und wuchs in Hamburg
       auf. In Berlin studierte sie Politikwissenschaften und Anglistik, in
       Frankfurt am Main Politische Theorie. Zeitweise für die marxistische
       Wissenschaftszeitschrift Das Argument tätig, war sie von 2020 bis 2023
       Chefredakteurin des von ihr mitgegründeten linken Politmagazins Jacobin.
       Bislang war die Redakteurin des Podcastes „Hyperpolitik“ bei der
       Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigt.
       
       In die Linkspartei trat die Mutter eines Sohnes [2][erst im August
       vergangenen Jahres] ein, drei Monate später wurde sie auf Platz 5 der
       Linkenliste für die Europawahl gewählt, der allerdings nicht zum Einzug ins
       Parlament reichte. Die kurze Parteimitgliedschaft sieht sie nicht als
       Manko. Denn sie sei bereits „als Journalistin in jedem Winkel, in jeder
       Strömung unterwegs“ gewesen, [3][sagte sie im taz-Gespräch vor dem
       Parteitag]. Insofern kenne sie die Partei „vielleicht besser als manch
       andere, die schon länger Mitglied sind, aber sie eben nicht so in ihrem
       tiefsten Innern beobachtet haben“.
       
       ## Für eine „klassenkämpferische Linke“
       
       Er bewerbe sich um den Vorsitz, „weil ich möchte, dass die Mehrheit in
       diesem Land wieder eine Stimme bekommt“, sagte van Aken in seiner
       Bewerbungsrede. Er wolle eine „klassenkämpferische Linke“, die unbequem
       ist, sich mit den „unanständig Reichen“ anlegt und „die Rechte der sozial
       Benachteiligten beinhart und stur verteidigt“. Zudem müsse die Linke eine
       Partei des Friedens, der Menschenrechte und der Demokratie sein. Dazu
       gehöre auch die entschlossene Verteidigung des Rechts auf Differenz: „Woher
       wir kommen, wen wir lieben, was wir essen, wie wir reden, ist völlig egal“,
       so van Aken.
       
       Geboren 1961 im schleswig-holsteinischen Reinbek, hat van Aken seine
       politischen Wurzeln in der westdeutschen Friedens- und Umweltbewegung. Nach
       Abitur, Zivildienst und Studium in Hamburg war er lange Jahre bei
       Greenpeace aktiv. Von 2004 bis 2006 arbeitete der promovierte Biologe von
       als Biowaffeninspektor für die Vereinten Nationen.
       
       Der Linkspartei gehört der Vater dreier Kinder seit 2007 an, 2009 zog er
       für sie in den Bundestag ein. Nach zwei Legislaturperioden [4][verzichtete
       er auf eine erneute Kandidatur]. Das Karl-Liebknecht-Haus, seinen künftigen
       Arbeitsplatz, kennt er gut: Von 2012 bis 2013 und dann wieder von 2016 bis
       2022 gehörte van Aken bereits dem Parteivorstand an. Auch er arbeitete
       zuletzt für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
       
       Zu den vier Stellvertreter:innen von Schwerdtner und van Aken wurden
       die Hamburger Landesvorsitzende Sabine Ritter, die sächsische
       Landtagsabgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg, der Bundestagsabgeordnete
       Ateș Gürpinar und der Berliner Landeschef Maximilian Schirmer. Neuer
       Schatzmeister wurde Sebastian Koch, neuer Bundesgeschäftsführer Janis
       Ehling. Beide kommen ebenfalls aus Berlin. Die Wahlen für den insgesamt
       26-köpfigen Parteivorstand dauerten bei Redaktionsschluss noch an.
       
       ## Keine Diskussion über Gründe der Linken-Krise
       
       Angesichts der tiefen Krise, in der sich die Partei befindet, herrscht ein
       erstaunliches Maß an Normalität auf dem Parteitag. Eigentlich ist es wie
       immer, nur dass sich seit dem Abgang des Wagenknecht-Lagers offensichtlich
       die Umgangsformen zivilisiert haben. Die Linke liebt ihre Rituale: erst
       eine lange „Generaldebatte“, in der über Gott und die Welt geredet wird,
       dann eine lange Diskussion über einen „Leitantrag“, der schließlich wie
       üblich mit übergroßer Mehrheit beschlossen wird und danach keinen mehr groß
       interessiert.
       
       Eine Diskussion über die Gründe für die schweren Niederlagen bei der
       EU-Wahl und den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg findet
       hingegen nicht statt, zumindest nicht im Plenum. „Wir sollten mit großer
       Nüchternheit und Demut analysieren, wie es zu diesen Ergebnissen gekommen
       ist“, sagte zwar Schwerdtner in ihrer Rede. Doch Analysen gab es höchstens
       in diversen Gesprächen auf den Fluren – und zwar sehr divergierende. Denn
       was die Ursachen des Niedergangs sind, darüber gibt es sehr konträre
       Erklärungsversuche.
       
       Was auch der Grund sein dürfte, warum diese Auseinandersetzung zum Zweck
       der Streitvermeidung nicht auf offener Bühne ausgetragen werden sollte. Die
       Forderung einzelner Delegierter nach einer Strategiedebatte wurde auf dem
       Parteitag mit einer deutlichen Mehrheit abgelehnt. Vorwärts immer,
       rückwärts nimmer? Am Sonntag wird der Parteitag fortgesetzt.
       
       19 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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