# taz.de -- Frauen an der Macht: Verletzlichkeit als Kernkompetenz
       
       > Im Museum für Gegenwartskunst in Athen stellt die Kuratorin Katerina
       > Gregos in einer Ausstellung die plakative Frage „What if Women Ruled the
       > World?“.
       
 (IMG) Bild: Metapher für Gregos’ Politik der Sichtbarmachung und Repräsentationsgerechtigkeit (hier: Ausschnitt)
       
       300 Tote, Plünderungen, ausgebrannte Museen. Als Sheikh Hasina 1996 zum
       ersten Mal Premierministerin Bangladeschs wurde, zog die aus dem Exil
       heimgekehrte Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman große Hoffnungen auf
       sich. Doch als [1][sie vor einigen Wochen nach einem Aufstand] per
       Helikopter aus ihrer Heimat flüchtete, hinterließ sie nur Chaos, 2.000
       politische Gefangene inklusive. Die hatte die von einer Progressiven zur
       Autokratin mutierte Politikerin einsperren lassen.
       
       „What if Women Ruled the World?“ – mit Blick auf das blutige Drama in dem
       südasiatischen Land ist die hypothetische Frage, die das Athener Museum für
       Gegenwartskunst (EMST) in seiner jüngsten Großausstellung stellt, im Grunde
       beantwortet: Vermutlich wäre es dann nicht viel besser.
       
       Die Ausstellung mit dem plakativen Motto verrät die Handschrift ihrer
       Kuratorin. Themenausstellungen, die in das Herz der zeitgenössischen
       Konflikte zielen, ebneten der 1967 in Athen geborenen Katerina Gregos den
       Weg an die Spitze des von einer Brauerei zum Museum umgebauten Hauses. 2017
       geriet es als [2][Zweitstandort von Adam Szymczyks documenta 14] in den
       Fokus der Welt(kunst)öffentlichkeit.
       
       ## Neue Museumsdirektorin
       
       Unter dem Titel „Newtopia. The State of Human Rights“ erklärte Gregos die
       Menschenrechte 2012 im belgischen Mechelen zur letzten globalen Utopie.
       Zwei Jahre später prangerte sie im Brüsseler Bozar mit „No Country for
       Young Men“ die Folgen der griechischen Finanzkrise an. 2021 ernannte
       ausgerechnet die konservative griechische Kulturministerin Lina Mendoni die
       progressive Kunsthistorikerin zur neuen Direktorin des EMST, das unter
       seiner ersten Chefin Anna Kafetsi nur als nomadisches Museum existierte.
       
       Gregos’ Weg nach Athen ist das spannende Beispiel einer kuratorisch
       hochklassigen, politisch furchtlosen Intellektuellen in einer öffentlichen
       Institution. „What if Women Ruled the World?“ ist eine weitere der
       Ausstellungen, mit der sie unterstreicht, dass sie ihren erklärten Vorsatz,
       auch im Staatsdienst „thought provoking exhibitions“ zu machen, nicht
       aufgeben will. Für die Schau räumte Gregos eine komplette Etage des Hauses
       frei für 46 Künstler:innen aller Nationalitäten und Altersstufen.
       
       Christina Dimitriadis’ Foto einer in verlängerter Belichtungszeit
       aufgenommenen jungen Frau auf einem Sofa lässt sich als Metapher für
       Gregos’ Politik der Sichtbarmachung und Repräsentationsgerechtigkeit
       interpretieren. „Ich wollte die Vorstellung provozieren, wie ein Museum
       aussehen würde, in dem nicht nur ein paar symbolische Werke, sondern die
       Mehrheit von Künstlerinnen wären“, erklärt Gregos ihre Idee.
       
       Rund 40 Jahre nach der aggressiven Frage der [3][New Yorker „Guerrilla
       Girls“], ob Frauen nackt sein müssen, um ins Museum zu kommen, ist Gregos’
       Versuch, Simone de Beauvoirs „anderem Geschlecht“ den gebührenden Platz im
       Museum einzuräumen, nicht mehr so neu. In ihrer tief patriarchalen Heimat
       ist es jedoch weiterhin eine Provokation. Selbst wenn mit der Juristin
       Katerina Sakellaropoulou erstmals eine Frau an der Staatsspitze steht,
       allerdings vom konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis
       handverlesen.
       
       ## Femizide und Kunst
       
       Jeden Tag werden in Griechenland im Durchschnitt 50 Männer wegen Gewalt
       gegen Frauen oder Kinder in der Familie festgenommen. Seit 2020 verübten
       Männer knapp 100 Femizide. In den Zyklen „Archives of Abuse“ und „A Room of
       their Own“ hat nun die amerikanische Magnum-Fotografin Susan Meiselas ihre
       Recherche zur häuslichen Gewalt in San Francisco 1991/92 und zwanzig Jahre
       später den britischen West Midlands dokumentiert: Bilder von den Wunden der
       Frauen und den leeren Tatorten.
       
       Gregos verzichtet zum Glück darauf, den hyperdiversen Kosmos dieser Schau
       in einer politischen Aussage wie der Verheißung eines feministischen Utopia
       zusammenzuziehen. Schließlich steht ein Fragezeichen hinter dem
       Ausstellungstitel. Erfunden hat ihn die [4][israelische
       Multimediakünstlerin Yael Bartana].
       
       Weit leuchtend strahlt der Slogan als Neoninstallation von zwei Frontseiten
       des EMST in die attische Hauptstadt. Und ob Bartanas Antikriegsfanal „Two
       minutes to Midnight“ von 2020, einem der Highlights der Ausstellung, zu
       Zeiten des Ukrainekriegs politisch zündet, ist ungewiss. In dem
       thrillerartigen 47-Minuten-Video entscheidet sich die rein weibliche
       Regierung eines fiktiven Landes, die sich unversehens der Ankündigung eines
       Nuklearschlags durch einen Autokraten gegenübersieht, die Waffen
       schließlich in ein Grab zu werfen.
       
       ## Feministische Ästethik
       
       Wenn die Schau eine Art Kernkompetenz femininer Ästhetik zutage fördert,
       dann einen Sinn für das Verletzliche. Besonders beeindruckend zeigt das die
       Künstlerin Penny Siopis, eine der faszinierenden Wiederentdeckungen von
       Gregos. So sehr sich die 1963 als Tochter griechischer Eltern in Südafrika
       geborene Siopis einen Namen als Kämpferin gegen Rassismus und Kolonialismus
       machte, so filigran kommt ihr Werk daher.
       
       In ihrer Arbeit „For Dear Life“ von 2020 lässt sie in einer auf dem Boden
       platzierten Leinwand Leim, Tinte und Ölfarbe ineinanderfließen. „Meine
       Rolle“, erklärte die Künstlerin einmal die Bedeutung der energiegeladenen
       Komposition in Rot, „ist es, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich
       etwas ereignet.“ Solch eine Philosophie ließe sich als Maxime jeglicher
       Herrschaft interpretieren, egal, ob sie von einem Mann oder einer Frau
       ausgeübt wird: „to shift human dominance“.
       
       28 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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