# taz.de -- Gewalt an Schulen: In der Eskalationsspirale
       
       > Aufgebrachte Eltern, eine entsetzte Lehrerin, ein Konflikt, der eskaliert
       > – das ist der Klassiker. Aber bei näherem Hinsehen ist manches anders.
       
 (IMG) Bild: Melden und dann reden, so läuft es idealer Weise im Unterricht. Davor und danach klappt es oft nicht so friedlich
       
       Seit ich hier über [1][diese Veranstaltungen zum Thema Gewalt gegen Lehrer]
       schrieb, spukt mir eine Geschichte im Hinterkopf herum, die mir ein
       Sozialarbeiter erzählt hat. Sie geht so: Ein 15-Jähriger hat Streit mit
       einem Klassenkameraden und tritt im Zuge dessen ein paar Mal so heftig
       gegen dessen Fahrrad, dass es beschädigt wird. Natürlich werden die beiden
       Streithähne getrennt und die Eltern alarmiert.
       
       Die Familie des 15-Jährigen erscheint mit gleich vier Personen: Mutter,
       Vater, zwei Brüder. Alle vier sind sehr aufgebracht, sehr laut und sprechen
       wenig Deutsch. Die zuständige Klassenlehrerin fühlt sich
       verständlicherweise bedroht und versteht nicht, warum die Eltern sich einer
       in ihren Augen vollkommen logischen und berechtigten pädagogischen Maßnahme
       verweigern.
       
       Der Sozialarbeiter, der eigentlich für ein Präventionsprojekt an der Schule
       war, versucht zu vermitteln, was aber anfangs nur schwer gelingt, weil alle
       so aufgebracht sind. Die Lehrerin spricht von einem „arabischen [2][Clan]“,
       der wohl seinen kleinen Prinzen schützen wolle, von mangelndem
       Unrechtsbewusstsein und Respektlosigkeit.
       
       Die Familie davon, dass ihr Sohn sowieso immer an allem Schuld sei und man
       doch erst einmal feststellen müsse, was dieses andere Kind eigentlich getan
       habe. Die beiden Jungen rücken nicht mit der Sprache heraus, worum es
       zwischen ihnen eigentlich ging, behaupten aber, sie hätten das jetzt
       geklärt.
       
       ## Hintergründe verstehen hilft manchmal schon
       
       Im Laufe mehrerer Einzelgespräche kristallisiert sich allerdings heraus,
       warum der Konflikt zwischen den Erwachsenen derart eskalierte. Als erstes
       klärte der Sozialarbeiter, der selbst eine entsprechende
       Migrationsgeschichte hat, die Lehrerin darüber auf, dass die Familie
       keineswegs arabisch sei, sondern kurdisch. Das war der Lehrerin nicht
       bewusst, obwohl sie das Kind schon einige Zeit unterrichtet.
       
       Diese Information wäre aber deshalb wertvoll gewesen, weil sie auf die
       Erfahrungen verweist, die diese Familie bisher mit Schule gemacht hat. In
       der türkischen Region, aus der sie stammen, ist das Schulwesen ein
       Instrument von vielen, das dazu dient die unerwünschte kulturelle
       Minderheit zu unterdrücken und zu schikanieren.
       
       Und erst vor zwei Monaten war der Junge nach Hause gekommen und hatte ihnen
       erzählt, dass ihm ein Lehrer auf dem Schulhof verboten hätte, kurdisch zu
       reden. Für die Familie reihte sich das ein in andere Enttäuschungen und
       schlechte Erfahrungen, die sie seit ihrer [3][Flucht] nach Deutschland
       gemacht hatte: Die Sprache lernen ist schwerer als gedacht, Arbeit finden
       auch, bei Ämtern und Behörden fühlten sie sich schlecht behandelt und nun
       auch noch das.
       
       Für sie war damit klar: Es geht alles von vorne los, wir dachten, hier wäre
       es besser, aber hier sind wir auch bloß unerwünscht, Bürger zweiter Klasse,
       immer die Blöden, immer die Bösen. Um das aufzulösen, hilft es natürlich
       wenig die große Disziplinarkeule zu schwingen.
       
       ## Elternarbeit nicht bloß als nervigen Störfaktor begreifen
       
       Man müsste viel früher eingreifen und manche Schulen tun das auch sehr
       erfolgreich. Sie setzen auf aufsuchende Elternarbeit, weil sie genau
       wissen, dass Elternabende allein nichts bringen, auf Sprach- und
       Kulturvermittler aus migrantischen Vereinen oder der eigenen
       Schulgemeinschaft, auf niedrigschwellige Kontaktangebote wie Elterncafés
       und Schulfeste.
       
       Sie haben erkannt, dass sie langfristig davon profitieren, wenn sie
       frühzeitig in vertrauensbildende Maßnahmen investieren und nicht erst dann
       mit den Eltern ins Gespräch kommen, wenn die Hütte schon brennt.
       
       Aber vorgesehen ist das alles im Stundenkontingent natürlich nicht,
       funktioniert immer nur durch das überdurchschnittliches Engagement
       einzelner Lehrkräfte, die zur Belohnung quasi dauernd [4][vom Burnout
       bedroht sind].
       
       Vielleicht müsste man noch einmal über professionelle pädagogische
       Standards in der Arbeit mit Schülern und ihren Eltern nachdenken. Aber dazu
       müsste man natürlich auch erst einmal anerkennen, dass das – auch jenseits
       der Grundschule – ein wesentlicher Teil des Jobs ist. Und nicht bloß ein
       nerviger Störfaktor.
       
       18 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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