# taz.de -- Film „VerkehrsWendestadt Wolfsburg“: Ungeschönte Tristesse
       
       > Zwei Jahre haben sich Wolfsburger Verkehrswende-Aktivist*innen bei
       > Protestaktionen aufgenommen. Jetzt gehen sie mit dem Film auf Tour.
       
 (IMG) Bild: Straßenbahnen statt Autos: Aktivist*innen verkleiden einen Autozug über dem Mittellandkanal mit einem Straßenbahn-Transparent
       
       Zwei Aktivisten stehen auf einer Brücke, die über den Mittellandkanal zur
       Autostadt führt. Umringt von Polizist*innen, gefilmt durch die Lücke in
       einem Bauzaun erzählen sie, was es mit der Abseilaktion und dem eben
       entrollten Banner auf sich hat. Und sie erklären vor dem im Hintergrund
       erkennbaren VW-Mutterwerk, warum sich diese Fabrik aus ihrer Sicht prima
       eignen würde für die Produktion von Trams, Straßenbahnen.
       
       Die Wasserstraße ist zu sehen, die Silhouette der Stadt Wolfsburg auch,
       aber Zufallspublikum, Schaulustige, die fehlen. Und so hat es sich die
       vergangenen zwei Jahre oft zugetragen, wenn die Aktivist*innen aus dem
       [1][Projekthaus Amsel44] loszogen: die Kamera parat, tiptop
       Öffentlichkeitsarbeit, und vor Ort irgendwie tote Hose.
       
       Eine Handvoll Aktivist*innen war vor zwei Jahren nach Wolfsburg
       gekommen, in eine ihnen fremde Stadt, hatte ein Haus gekauft und ließ den
       Schlüssel fortan von außen stecken. Ihre Zeit ist nun vorbei. Zum Abschluss
       geht [2][die Gruppe] mit einem Film drei Monate lang auf Tour, der die zwei
       Jahre zusammenfasst: [3][„VerkehrsWendestadt Wolfsburg – Den automobilen
       Konsens aufbrechen“] heißt er. Er soll in 50 Städten in Deutschland und der
       Schweiz gezeigt werden.
       
       Die Optik ist ungeschönt: Er zeigt die unverputzte Wand im Projekthaus, die
       Tristesse der VW-Fabrikgebäude, die leeren Straßen. Und doch
       emotionalisiert er: An diesem besonderen Ort, in der [4][von den Nazis für
       ihre Industrie- und Autopolitik gegründeten Stadt], macht der Film den
       Antrieb der Aktivist*innen deutlich, sich für eine umfassende
       Verkehrswende einzusetzen.
       
       Gezeigt wird eine große Bandbreite an Aktionen: vom Abseilen bis zur
       Intervention bei der Aktionärsversammlung, vom Flyerverteilen bis zur
       Blockade eines Autozuges. Für jede*n was dabei, sagt Laura Riesenbeck,
       Gärtnerin aus der Gegend, die sich der Gruppe angeschlossen hat. Überhaupt
       sei endlich mal was los. „Ich erlebe Wolfsburg als unpolitisch“, sagt sie.
       Das Geld fließt, die Eigentümerfamilien scheinen zufrieden, die Leute in
       der Stadt auch: „Die Krisen der Welt sind hier noch nicht bis in den
       Vorgarten gerückt“, sagt Riesenbeck.
       
       Umso größer sei der Druck, findet Lars Hirsekorn, VW-Betriebsrat aus
       Braunschweig: „Wir müssen definitiv einfach handeln“ appelliert er. „Die
       Besitzer von Volkswagen, die Familien, werden das nicht tun. Sie werden nie
       versuchen, einen vernünftigen ökologischen Weg zu gehen.“
       
       Handeln – das heißt in den Augen der Protagonist*innen: eine echte
       [5][Verkehrswende] herbeiführen. E-Autos halten sie für Schnickschnack.
       Eine Antriebswende würde die umfassende Verkehrswende eher blockieren, weil
       sie Ressourcen wie Zeit und Geld verschwende. Sofern VW also von sich aus
       die Produktion nicht auf Straßenbahnen umstellt, müsse man das Werk
       vergesellschaften.
       
       Für ihr Ziel sind die Aktivist*innen auch den Eigentümern persönlich
       auf die Pelle gerückt. Der Film erinnert an den Tortenwurf Richtung
       Wolfgang Porsche [6][bei der VW-Hauptversammlung], der 2023 für
       internationale Presse sorgte. Nacktprotest und Farbbomben folgten, um „den
       Alltag der Zerstörung mal infrage zu stellen“, sagt Aktivist Tobi Rosswog.
       
       Aktivistin Lotte Herzberg intervenierte zudem bei der
       Online-Hauptversammlung von Porsche. Sie nutzte das Rederecht der
       kritischen Aktionäre, um „eine Frage an Ferdinand Junior Porsche“ zu
       stellen: „Möchten Sie sich nicht distanzieren von Ihrem Urgroßvater,
       [7][dem Kriegsverbrecher], dessen Namen Sie tragen?“ Hektik auf dem Podium:
       „Aus!“, rufen die Konzernlenker, schauen sich hilfesuchend um, motzen die
       Rednerin an, fordern Ruhe. Herzberg redet weiter, bis es der Technik wenig
       später gelingt, sie stumm zu schalten. Eine kuriose Szene.
       
       Einige VW-Arbeiter haben die Aktivist*innen erreicht. Toto Bleibaum saß
       im anfänglichen Protestcamp abends mit am Lagerfeuer. „Hinter den
       langhaarigen Bombenlegern verstecken sich auch ganz geile Typen, die
       richtig was draufhaben.“ Die Arbeiter erzählen im Film, dass sie darauf
       gewartet haben, dass sich endlich mal was tut. Und von der Angst, die in
       der Automobilindustrie herrscht. Auch von der Skepsis gegenüber dem E-Auto.
       
       Die fehlende Resonanz bei den Aktionen zeigt, wie besonders Wolfsburg ist,
       wie getaktet durch die Arbeitszeiten im Konzern. So sind, bei der
       alternativen Hauptversammlung, die im Mai dieses Jahres an einem Werkstor
       abgehalten wurde, einmal eben doch volle Fußwege zu sehen – weil
       Schichtwechsel ist. Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr um die Massen
       vor Ort, sondern um die Wirkung nach außen. Rosswog hofft, dass die
       Menschen sich erinnern, wenn der Moment gekommen ist, etwas zu verändern.
       Und das hängt nicht an Wolfsburg und noch nicht einmal an VW allein. Das
       hängt an uns allen.
       
       3 Sep 2024
       
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