# taz.de -- Wiederentdeckte Künstlerin Katalin Ladik: Wo das O um die Ecke biegt
       
       > Das Ludwig Forum Aachen stellt die Künstlerin Katalin Ladik aus Novi Sad
       > vor. Mit ihrer Selbstbestimmtheit eckte sie an im ehemaligen Jugoslawien.
       
 (IMG) Bild: Katalin Ladik, Blick in die Ausstellung im Ludwigsforum Aachen
       
       Die Erscheinung der 1942 geborenen Katalin Ladik lässt sich durchaus als
       ambivalent bezeichnen: Da ist einerseits die fast schon schüchterne, ältere
       Dame, die mehr schaut als spricht. Und dann ist da die präsente, wache,
       stolze und resolute Performerin, die trotz ihrer 81 Lenze weder sich noch
       ihre Stimmbänder schont. Das wurde allzu deutlich, als sie am Eröffnungstag
       ihrer [1][Solo-Schau im Aachener Ludwig Forum] gleich mehrmals ihre
       Kurz-Klangperformance „Ooooooooo-pus“ intonierte.
       
       Die Os, die in der großen Halle der alten Schirmfabrik mit dem
       charakteristischen Glas-Sheddach auf die Wand gebracht ihren Anfang nehmen
       und sich dann links um die Ecke in den Ausstellungsbereich schleichen, sind
       mal größer, mal kleiner, sie alternieren in ihrer Höhe. Katalin Ladik liest
       die Buchstaben wie eine Partitur und ordnet jedem O Werte wie Länge,
       Tonhöhe, Intonation und Klangfarbe, bisweilen sogar Temperament zu – und
       singt: Ooooooo-oh-ooooh-o-o-o-ooooooo-Ooooh usw. usf.
       
       Für Außenstehende erschließt sich der Code nicht unbedingt, so bleibt nur
       staunen. Das Staunen ist eine angemessene Reaktion in dieser retrospektiven
       Ausstellung über eine Künstlerin mit wechselhafter Vita: Ladik wurde 1942
       in Novi Sad geboren, der Hauptstadt der multiethnischen Region
       Vojvodina, die damals zu Jugoslawien gehörte.
       
       Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt von Ungarn besetzt – heute gehört sie
       zu Serbien. Ladik wuchs als Kind der sogenannten Vielvölkerstaaten auf, die
       auf dem Gebiet der ehemaligen Doppel-Monarchie Österreich-Ungarn entstanden
       sind; in ihrem Fall prägte dieses bilinguale Aufwachsen ihr Verhältnis zur
       Sprache.
       
       ## Die Facetten der Sprache erobern
       
       Sprache, so wird Ladik immer wieder zeigen, hat verschiedene Facetten, die
       es zu untersuchen, zu erobern gilt. Bedeutungen, die sich wandeln; Worte
       als Ausdruck einer ganzen Kultur; Sprachmelodie und Klänge. Ihre ersten
       Schritte, so führt die Ausstellung in Aachen gleich am Anfang vor Augen,
       machte sie in der Lyrik, in der Zeitschrift Új Symposion, einem
       literarischen Avantgarde-Magazin der ungarischen Minderheit in Jugoslawien,
       zum Beispiel.
       
       Parallel dazu arbeitete Ladik (zwischen 1963 und 1977) beim Radio.
       Zeitgleich bastelte und [2][collagierte sie konkrete Poesie aus
       Zeitschriften]; und allerlei nichtsprachlichen Materialien, wie zum
       Beispiel Schnittmuster, die sie primär deutschen (ja, Deutsch spricht sie
       auch) Heimarbeits- und Nähmagazinen entnahm. Aber auch Briefmarken oder
       Notenblätter gehören zum vorgefundenen Material, das gleich behandelt wird
       und potenziell auch immer zur Aufführung gebracht werden kann oder wird.
       
       Denn schon bald wandelt sich Ladiks Kunst, erobert sie Formen der
       aufkeimenden Performance Art, baut parallel dazu experimentelle
       Musikinstrumente, die sie in Happenings zum Klingen bringt. Dann folgen
       Fotografie und Video. Thematisch sind wenig Grenzen gesetzt, Katalin Ladik
       ist, wie viele Kolleg*innen der Zeit, Nutznießerin des blockfreien
       Status des [3][Tito-Jugoslawiens]. Sowohl die neuen Kunsttraditionen der
       Warschauer-Pakt-Staaten, aber auch des Westens stehen ihr offen.
       
       Fanny Hauser, die für das Ludwig Forum in Aachen in Zusammenarbeit mit
       Hendrik Folkerts des Moderna Museet in Stockholm die Ausstellung konzipiert
       hat, schafft die Gratwanderung zwischen biografischer Nacherzählung,
       historischer Einordnung und Präsentation eines ganzen Lebenswerks. Und das
       ist ein klingendes Ereignis. Überall hängen Lautsprecher, die Räume
       sprechen und singen durchgängig. Was anderswo stören würde, ist hier ein
       schon körperliches Vergnügen.
       
       Dass Ladiks Kunst jahrzehntelang unbekannt war, das mag auch im
       Zusammenhang mit den Widerständen und Verfemungen stehen, denen sie in
       Jugoslawien ausgesetzt war. Die Apparatschiks der Tito-Diktatur konnten
       nämlich auch ganz anders, und das musste die Künstlerin am eigenen Leib
       erfahren. Ladik war selbstbestimmt, auch körperlich, trat öffentlich nackt
       auf – Grund genug für ein Berufsverbot. Unbeirrt machte sie weiter, war
       aber nie als Dissidentin anerkannt. Ihre Kämpfe, die man durchaus als
       feministisch bezeichnen kann, waren immer innerhalb der Grenzen des
       Regimes gedacht.
       
       Weitaus prägender war der Zusammenbruch Jugoslawiens ab Mitte der 90er, die
       folgenden Kriege, die ein Ausreiseverbot bedeuten. Erst vor wenigen Jahren
       erschien sie wieder auf der Bildfläche, seitdem arbeitet sie auch an neuen
       Werken, Gesängen und Performances. Da werden gar Computerplatinen zu
       Partituren. Dennoch blieb sie bis zuletzt von der westlichen Kunstszene
       unerkannt, ihr blieben die Weihen einer Sanja Iveković oder [4][Marina
       Abramović] verwehrt.
       
       „Ooooooooo-pus“, diese Schau zeigt auch: Ost- und südosteuropäische
       Kunstgeschichte zu vermitteln ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall ein
       Desiderat sondergleichen.
       
       28 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://ludwigforum.de/event/katalin-ladik-ooooooooo-pus/
 (DIR) [2] /Musikpionierin-Lily-Greenham/!5998715
 (DIR) [3] /Buch-ueber-jugoslawischen-Staatsgruender/!5322429
 (DIR) [4] /Dokumentarfilm-Body-of-Truth/!5707994
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lars Fleischmann
       
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