# taz.de -- Forscher über CO₂-Zertifikate: „Eine Tonne CO₂ ist eine Tonne CO₂“
       
       > Firmen können Zertifikate kaufen, um „naturneutral“ zu werden. Sophus zu
       > Ermgassen von der Uni Oxford warnt vor Greenwashing – sieht aber auch
       > Potenzial.
       
 (IMG) Bild: Schon vor 30 Jahren halfen Finanzinstrumente dem Regenwald von Costa Rica. Hier eine bergig-neblige Sicht in Talamanca
       
       taz: Schon lange gibt es Märkte für CO₂-Kompensation, bei denen man
       Unternehmen für Klimaschutz bezahlen kann, um seinen eigenen CO₂-Fußabdruck
       auszugleichen. Jetzt gibt es einen neuen Hype:
       Biodiversitätskompensationen. Wo kommt das her?
       
       Sophus zu Ermgassen: Man muss zwischen Biodiversitätskompensationen und
       -gutschriften unterscheiden. Kompensationen sollen einen Schaden
       kompensieren, der woanders entstanden ist, ähnlich wie bei
       CO₂-Kompensationen. Diese sind meist Teil nationaler Politik und
       verpflichtend. In den USA gibt es zum Beispiel den Markt für Feuchtgebiete
       und in Deutschland, Frankreich und neuerdings Großbritannien haben wir ganz
       ähnliche Märkte …
       
       Wer in Deutschland zum Beispiel für eine neue Straße natürlichen Lebensraum
       vernichtet, muss ihn woanders wiederaufbauen. So [1][schreibt es das
       Bundesnaturschutzgesetz vor], das es schon seit 1976 gibt. 
       
       Genau, beim aktuellen Hype geht es aber um freiwillige Gutschriften. Diesen
       steht kein Schaden gegenüber und sie müssen auch nicht unbedingt national
       gedacht werden. Dazu wurde beim Finanzgipfel letztes Jahr in Paris eine
       französisch-britische Initiative lanciert, die ich wissenschaftlich berate.
       Letztlich sind aber sowohl Kompensationen als auch Gutschriften handelbare
       Papiere, also Finanzmarktinstrumente.
       
       Warum werden die Gutschriften gegenüber den Kompensationen relevanter? 
       
       Die Öffentlichkeit ist sich des Naturverlusts stärker bewusst. Daher gibt
       es nun Initiativen wie die Taskforce zur Offenlegung finanzieller Risiken
       mit Bezug zur Natur (TNFD), die von den G20-Staaten ins Leben gerufen
       wurde. Die Idee ist, dass Firmen über die Folgen ihrer Tätigkeit auf die
       Natur berichten und über die Risiken, die das mit sich bringt. Dann können
       Investoren diese Risiken mitberücksichtigen. Und jetzt kommen die
       Biodiversitätsgutschriften ins Spiel: Diese sollen es Firmen ermöglichen,
       in den Erhalt der Natur zu investieren, um zu zeigen, dass sie etwas gegen
       die Risiken tun. Ein zweiter Faktor ist der Glaube, es gäbe nicht genug
       öffentliche Mittel für den Naturschutz und daher sei privates Geld
       erforderlich. Um privates Geld zu mobilisieren, braucht es aber eine Art
       standardisiertes Finanzmarktpapier, mit dem Investoren eine Rendite
       erzielen können und die Biodiversitätsgutschriften gelten hier als der
       vielversprechendste Ansatz. Daher kommt der Hype.
       
       Das macht doch auch Sinn: Es gibt zu wenige Investitionen in den
       Naturschutz und daher haben zusätzliche Mittel einen hohen Grenznutzen, sie
       sind besonders wirksam. Gleichzeitig gibt es Firmen, die ein Interesse
       haben dürften, zu zeigen, dass sie das Thema ernst nehmen. Das ist doch die
       perfekte Kombination, oder? 
       
       Wenn Firmen den Eindruck hätten, dass es wirtschaftlich interessant ist, in
       die Natur zu investieren, warum tun sie das nicht schon jetzt?
       Naturschutzprojekte gibt es schon seit Jahrhunderten. Wenn Firmen wirklich
       daran interessiert wären, etwas gegen die Folgen ihrer Tätigkeit auf die
       Artenvielfalt zu tun, warum braucht es dazu erst ein Finanzmarktinstrument?
       Ich kann mir nicht vorstellen, dass das einen großen Unterschied im
       Verhalten der Firmen machen würde.
       
       Vielleicht sind Firmen einfach mit Finanzmarktinstrumenten vertraut. 
       
       Ja, das ist sicher ein Argument. Vielleicht glauben sie auch wirklich, dass
       diese Instrumente ihren Zugang zu Kapital verbessern und ihre öffentliche
       Akzeptanz erhöhen. Es gibt vernünftige Argumente, um in diese
       naturbezogenen Instrumente zu investieren. Aber die gleichen Argumente
       könnten auch für direkte Investitionen der Firmen gemacht werden.
       
       Sie haben gesagt, es gebe den Glauben, dass es an öffentlichen Mitteln
       mangelt. Ist das nicht eher eine Tatsache? 
       
       Wir geben extrem wenig Geld für den Naturschutz aus. In Großbritannien sind
       das nur 0,031 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wenn man das verdoppelt, ist
       das immer noch ein winziger Teil der öffentlichen Ausgaben. Man könnte die
       öffentlichen Ausgaben für die Natur also dramatisch erhöhen, ohne dass der
       Haushalt in Schieflage gerät.
       
       Für Firmen müsste es interessant sein, sagen zu können: Wir sind
       „naturneutral“. Dazu [2][müssten sie erst „klimaneutral“ werden] und dann
       auch noch alle anderen Folgen für die Natur ausgleichen. Gibt es Firmen,
       die daran interessiert sind? 
       
       Es gibt viele Firmen, die Interesse signalisieren, aber wenige, die heute
       schon investieren. Aber es ist eigentlich noch zu früh, um wirklich etwas
       dazu zu sagen. Es gab immer wieder einen Hype um das eine oder andere
       Finanzinstrument für den Naturschutz. Vor gut 30 Jahren hat etwa der
       US-Pharmakonzern Merck mit Costa Rica einen Vertrag zur Nutzung des
       genetischen Materials [3][in den Urwäldern Costa Ricas] geschlossen. Damals
       dachten alle, solche Verträge kämen jetzt in großer Zahl, aber das ist
       nicht passiert. Selbst die freiwilligen CO₂-Kompensationen sind immer noch
       ein winziger Markt. Wir wissen also nicht, welchen Weg die
       Biodiversitätsgutschriften nehmen. Wird sich ein riesiger Markt für dieses
       Instrument entwickeln oder lässt es sich nicht skalieren wie andere zuvor?
       Es gibt viele Gründe, warum die früheren Instrumente nie durchgestartet
       sind.
       
       Ein Problem könnte sein, dass [4][Biodiversität naturgemäß divers] ist,
       während Investoren ein standardisiertes Instrument bevorzugen. 
       
       Das ist die größte Herausforderung. Wenn man den freiwilligen CO₂-Markt
       betrachtet, dann ist eine Tonne CO₂ eine Tonne CO₂. Hier haben wir ein
       global akzeptiertes Maß, und das haben wir für Biodiversität nicht. Um
       einen Markt zu skalieren, ist es wünschenswert, ein solches Maß zu haben,
       aber bei der Artenvielfalt macht das keinen Sinn. Wie misst man
       Artenvielfalt? Geht es um die Fläche? Geht es um die Gefährdung bestimmter
       Arten oder geht es um die Zahl der Tiere? Damit bekommt man ganz
       unterschiedliche Resultate. Zudem muss man die Artenvielfalt regional
       betrachten. So etwas rund um die Welt zu handeln, funktioniert ökologisch
       gesehen nicht. Man würde Dinge handeln, die nicht vergleichbar sind, etwa
       Naturverlust in Australien gegen ein Waldprojekt im Kongo.
       
       Vielleicht ist das globale Maß Geld. Ein Dollar ist ein Dollar. Nestlé
       müsste einfach einen Betrag X pro Hektar bezahlen, um behaupten zu können,
       „naturneutral“ zu sein. Und dieses Geld würde dann irgendwo auf der Welt in
       die besten Projekte investiert. 
       
       Dieses System haben wir schon beim freiwilligen CO₂-Markt, und dort haben
       wir gesehen, dass viele Projekte nicht die behauptete Klimawirkung haben.
       Das muss man überprüfen können, wenn darauf eine Behauptung beruht, wie
       „klimaneutral“ oder eben „naturneutral“ zu sein. Verstehen Sie mich nicht
       falsch: Ich bin ein großer Befürworter von mehr privaten Investitionen in
       den Naturschutz. Ich denke, Firmen sollten in die Natur investieren, aber
       man muss vorsichtig sein, welche Behauptungen sie daraus ableiten. Sonst
       bekommt man Greenwashing. Wir wissen also nicht, welchen Weg die
       Biodiversitätsgutschriften nehmen.
       
       6 Feb 2024
       
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