# taz.de -- Israelfeindlichkeit im Westen: Groteske Toleranz
       
       > Die Ereignisse des 7. Oktober markieren eine Zeitenwende – auch für
       > Linke. Wie der Hamas-Terror gegen Israel das Bewusstsein des Westens
       > verändert.
       
 (IMG) Bild: Historisch belasteter Ort: Pro-palästinensische Demo vor der Münchner Feldherrnhalle. 24.11. 2023
       
       Seit dem 7. Oktober herrscht eine neue, eine weitere Zeitenwende. Erst
       jetzt, erst seit es hunderte von Kundgebungen gegen Israel und für
       Palästinenser gibt, wachen manche in Europa auf. Jetzt erst erkennen einige
       Europäer, dass der radikale Islam auch auf ihrem Kontinent ein ernstes
       Problem darstellt.
       
       Doch viele – zu viele – stecken weiter lieber den Kopf in den Sand.
       Politischer Mut ist bekanntlich eine seltene Ressource. Wer glaubt, durch
       Ignorieren und Verdrängen der Problematik beizukommen, oder durch ein paar
       Kampagnen für Diversität und Multikulti, der irrt. Der will nicht sehen,
       [1][dass es eine klare Verbindung gibt zwischen dem Extremismus auf unseren
       Straßen, vor unseren Haustüren und der radikalen Hamas in Gaza].
       
       Für den linken Fundamentalismus ist es ein Tabu, Islamismus und Terroristen
       zu kritisieren oder Israel bei der Abwehr gegen den Terror zu unterstützen.
       Wer das tut, der gilt sofort als „islamophob“ oder auf der Seite „der
       Unterdrücker“. Latent war die intensive Israelfeindlichkeit der Linken
       lange vor dem 7. Oktober da.
       
       Sie hat sich über mindestens zwei Jahrzehnte entwickelt und radikalisiert.
       Nach 1945 sah es anders aus. Linke, progressive Deutsche gingen als
       Freiwillige in die sozialistischen Kibbuzim. Das änderte sich, als Israel
       1967 den Sechstagekrieg gegen arabische Nachbarn gewann. Israels jüdische
       Bevölkerung war nicht mehr Opfer, sondern Sieger! Die Sympathien schwanden.
       
       Dennoch wäre es bis vor wenigen Jahren im bürgerlichen Milieu undenkbar
       gewesen, öffentlich judenfeindliche Reden zu halten. Das taten allenfalls
       Neonazis, radikale Palästinenser oder Islamisten. Heute rufen Tausende
       Studierende an den besten Universitäten zur Auslöschung des jüdischen
       Staates auf und bekunden Sympathien für eine autokratisch herrschende
       Terrorsekte wie die Hamas.
       
       ## Hetze wie entfesselt
       
       [2][Verständnis für den Terror der Hamas findet sich bei Klimaaktivisten,
       Linksradikalen, Postkolonialen, Islamisten, Migranten, Muslimen, Künstlern,
       Galeristen, Kuratorinnen, Flüchtlingen bis hin zu professionellen
       Antirassisten, die mit Antisemitismus kein Problem haben.] Die deutsche
       Palästina-Szene sieht nicht das Paradox, dass ausgerechnet diejenigen, die
       sich politisch radikal von ihren Nazi-Vorfahren unterscheiden wollen, sich
       weigern, judenfeindlichen Terror als judenfeindlichen Terror zu benennen,
       und stattdessen radikal antisemitischen Islam dulden.
       
       Hetze gegen Israel oder Juden scheint seit dem 7. Oktober wie entfesselt.
       Umso grotesker ist eine woke Ideologie, die Toleranz für Minderheiten
       fordert, aber selber alles brandmarkt, was von ihrer Moral abweicht. Und
       noch grotesker, die Fantasie in der Palästina-Solidarität, dass
       Terrorsekten wie die Hamas auch nur ein Gramm Toleranz für queere Leute
       hätten. In Gaza wäre eine LGBTQI-Wohngemeinschaft schlicht unmöglich.
       
       Diese Widersprüche werden jetzt jedoch schrittweise erkannt. Wer, wie
       Seyran Ateş oder ich, aus der muslimisch-migrantischen Community heraus
       Hinweise auf Probleme mit dem radikalen Islam gegeben hat, auf
       Integrationsdefizite, Parallelgesellschaft oder Clankriminalität, wurde in
       der linken Szene als „rechtsextrem“ abgetan. Das ändert sich jetzt
       allmählich.
       
       Es wird immer klarer, dass Gruppen, die Hass laut Bekenntnis ablehnen, aber
       vom Hass auf weiße Menschen leben, auf den „Globalen Norden“, auf
       Kapitalisten und Polizisten, ein ultraschlichtes, schwarz-weißes Weltbild
       propagieren. Im Zentrum dieses Weltbildes steht meist ein Ressentiment
       gegen Juden und Israel.
       
       ## Imitation des Jargons
       
       Der politische Islam nutzt solche Diskurse und imitiert deren
       „progressiven“ Jargon, um sich ungestört zu verbreiten, Einfluss zu nehmen
       und latent wirkende Parallelgesellschaften zu etablieren. Hand in Hand
       feiern Islamismus und Antikolonialismus die Opfermythen der Muslime. [3][So
       konnten die grausamen Massenmorde des 7. Oktober zum Aufstand der
       Unterdrückten umgedeutet werden.]
       
       Aus dieser Sicht repräsentiert Israel eine „Kolonialmacht“, sind Juden
       weiße privilegierte Ausbeuter, und der Hass auf Juden ist daher legitim. Da
       wäre Empathie für ermordete Babys und entführte Kleinkinder nur
       sentimental. Ein großes Ausmaß an politischer und emotionaler Taubheit ist
       notwendig, um die Gefahr durch antidemokratische, fundamentalistische
       Unterwanderung nicht zu bemerken.
       
       Noch ist eine Mehrheit in Europa und den USA auf der politischen Ebene
       bereit, Israel bedingungslos unterstützen. Doch von den Trump-Anhängern bis
       zu den immer beliebteren Parteien an rechten wie linken Rändern regen sich
       Stimmen, die diese Unterstützung anzweifeln.
       
       Dabei ist die Chance gerade jetzt am größten, der beginnenden
       Unterwanderung durch fundamentalistische Ideologien entgegenzutreten –
       jetzt, da sie sich öffentlich entlarven. Wenn SPD-Bundeskanzler Scholz eine
       klare Rede hält, die Antisemitismus verurteilt, und islamistische Vereine
       verbieten lässt, während zwei Kilometer vom Bundestag entfernt Parolen
       gegen Israel und Juden gebrüllt werden, dann ist etwas aus der Balance
       geraten.
       
       ## Nichts gesehen, nichts gehört
       
       Wenn Stimmen aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft „muslimfeindliches“
       Klima in Deutschland beklagen, um Muslime nach dem 7. Oktober kollektiv zu
       Opfern zu erklären, dann haben diese Leute auf der Straße oder beim
       Fernsehen die Augen zugemacht und nichts gesehen, nichts gehört. Oder
       wollen sie bewusst Diskurse verschieben und klare Fragen vermeiden, etwa
       die Frage nach dem Antisemitismus in muslimischen Communitys?
       
       Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte kurz nach dem 7. Oktober eine
       europäische Allianz gegen die Hamas vorgeschlagen. Inzwischen scheint er
       unter dem Druck der Straße seine Sprache zu ändern. Er kritisiert Israel
       scharf und bleibt fern, wenn Solidarität mit Israel demonstriert wird. Es
       scheint, dass er Krawalle fürchtet.
       
       Das Reiz-Reaktions-Schema entspricht dem Kalkül der Hamas – wie im Nahen
       Osten, so in Europa. Radikale Muslime und verbohrte Linke mobilisieren zum
       Druck auf europäische Regierungen – ein Paradebeispiel für Unterwanderung.
       
       ## Einfluss auf den Mainstream
       
       Solche Taktiken beschreiben bereits die Schriften der Gründerväter der
       Muslimbruderschaft. Sie inspirieren ihre Anhänger, wie die Hamas, auch in
       der Gegenwart. Umso erschreckender, wenn diese Dynamik auch Einfluss auf
       Mainstream-Politik und akademische Milieus ausübt. Teils werden
       Islam-Fundamentalisten nicht nur toleriert, sondern sogar als Partner
       gesehen, mit öffentlichen Geldern unterstützt und vor Kritik auch aus der
       muslimischen Gemeinschaft geschützt.
       
       Die jüdische Gemeinschaft und Israel werden sich der veränderten Weltlage
       bewusst. Noch haben sie die Unterstützung der USA und anderer europäischer
       Länder. Der Westen muss sich aber enorm viel mehr Klarheit verschaffen über
       die Milieus, die vom demokratischen Weg abgekommen sind, in der Politik
       wie im Bildungssystem, in der Wissenschaft und in Thinktanks.
       
       Ein klarer, weitaus wacherer Blick als bisher muss der zukünftigen
       politisch-wirtschaftlichen Elite gelten, an allen Universitäten, auch an
       Elite-Institutionen wie Harvard oder der Columbia University. Ebenso gilt
       das für den Blick auf das Klima innerhalb der migrantischen Communitys.
       
       Für Demokratien wird viel davon abhängen, ob der Westen in den Bereichen
       Migration und Integration die richtigen Weichen stellt. Dabei kommt es
       darauf an, die Fähigkeit zu Reflexion und kritischen Denken so stark wie
       möglich zu fördern. Der Prozess der Integration wird auch davon abhängen,
       ob Israel im Kampf gegen den radikalen Islam erfolgreich sein und diesen –
       gemeinsam mit anderen Demokratien – weltweit abschrecken kann.
       
       Andernfalls könnten die Auswirkungen weit über die Grenzen Israels hinaus
       spürbar werden – noch deutlicher als bisher auch in Städten wie Berlin,
       Paris oder Zürich, New York oder London.
       
       1 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
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