# taz.de -- Forscher über selbstfahrende Autos: „Der Haken ist bei uns im Kopf“
       
       > Autonomes Fahren hieße mehr Platz, mehr Teilhabe und kühlere Städte.
       > Dafür müssen wir mutiger werden, sagt Verkehrsforscher Andreas Knie.
       
 (IMG) Bild: Andreas Knie träumt von der menschenfreundlichen Stadt und glaubt: Ein Wandel ist möglich
       
       taz: Herr Knie, stellen wir uns eine Stadt vor. Die meisten Fahrzeuge, die
       hier unterwegs sind, müssen nicht mehr von Menschen gesteuert werden. Wie
       würde diese Stadt aussehen, im Gegensatz zu dem, wie wir Städte heute
       kennen? 
       
       Andreas Knie: Der größte Unterschied ist: Es sind deutlich weniger Autos
       da. Und zwar sowohl was den stehenden als auch was den fließenden Verkehr
       betrifft. Denn im Moment haben die meisten Haushalte ein, manche auch zwei
       Autos und die stehen 95 Prozent der Zeit herum. Und wenn sie fahren, dann
       sitzt in der Regel genau eine Person drin. Wenn wir [1][autonome Fahrzeuge]
       als Robotaxi im Pooling System fahren lassen, also dass Wege von mehreren
       Menschen gebündelt werden, dann könnten wir ganz bequem mit maximal einem
       Fünftel der aktuellen Fahrzeuge auskommen.
       
       Der größte Unterschied wäre also der Platz? 
       
       Ja, denn es würde praktischerweise keine parkenden Autos mehr geben,
       zumindest nicht auf öffentlichen Straßen. Wenn wir uns das in Zahlen
       anschauen, würde das für eine Stadt wie Berlin bedeuten, dass wir statt 1,2
       Millionen Autos, die 80 Prozent der Verkehrsfläche okkupieren, vielleicht
       noch 200.000 oder 250.000 Fahrzeuge bräuchten. Denn natürlich wird es
       weiterhin Versorgungsfahrzeuge geben, wie Feuerwehr oder Müllabfuhr, die
       Stellplätze brauchen.
       
       Und wir müssen davon ausgehen, dass es Menschen gibt, die dem autonomen
       Fahren skeptisch gegenüberstehen und die weiterhin ihr eigenes Auto zum
       Selberfahren haben wollen. Die Politik muss dafür sorgen, dass diese
       Fahrzeuge nicht mehr im öffentlichen Raum herumstehen. Es wird dort also
       ziemlich wenig Autos geben und damit haben wir ganz viele Möglichkeiten.
       
       Welche? 
       
       Wir dürfen nicht unterschätzen, welche Freiheiten Platz bietet. Weniger
       Platz für Autos heißt vor allem: mehr Platz für Menschen. Gerade Kinder und
       alte Menschen, für die die Teilnahme am Straßenverkehr heute eine
       Herausforderung ist, sie können sich wieder auf die Straße trauen.
       
       Es wird also weniger Autos geben, aber mehr Menschen, die sich bewegen. Es
       wird weniger versiegelte, also zubetonierte oder -gepflasterte Flächen
       geben, dafür mehr Grün. Weniger Lärm, mehr Stille. Weniger Tempo, mehr
       Platz zum Flanieren und auch zum Sitzen. [2][Weniger Feinstaub, Abgase und
       Stickoxide], aber mehr Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Gerade im
       Hinblick auf den Klimawandel und die Notwendigkeit, die Städte grüner zu
       machen, damit sie im Sommer nicht völlig überhitzen, ist das nicht zu
       unterschätzen.
       
       Klingt traumhaft. Keine Nachteile in Sicht? 
       
       Na ja, mehr Menschen im öffentlichen Raum, das kann natürlich auch zu neuen
       Auseinandersetzungen führen. So etwas gilt es mitzudenken, wenn man die
       Fahrbahnen zu Aufenthaltsorten umgestaltet, da kann man gestalterisch dafür
       sorgen, dass an alle gesellschaftlichen Gruppen gedacht wird. Übrigens:
       Über mehr Menschen freut sich auch der Einzelhandel, der derzeit bitter
       darüber klagt, dass die Innenstädte veröden.
       
       Also: Wo ist der Haken? 
       
       Der Haken ist bei uns im Kopf. Wir können uns das nicht vorstellen. Wir
       sehen sofort Bedrohung, bekommen Angst und rufen: Achtung! Das autonome
       Auto könnte gefährlich sein, es könnte uns über den Haufen fahren. Wir
       haben ja schon in der Ethikkommission darüber nachgedacht, ob bei einem
       Unfall die Oma oder das Kind überfahren werden soll. Das das passiert, ist
       aber völlig unrealistisch.
       
       Diese Autos kommen erst gar nicht in diese Situation und bleiben vorher
       stehen. Und auf der [3][Autobahn], da wo es schnell zugeht, sind weder Kind
       noch Oma unterwegs. Aber diese Angst lähmt uns. Dabei bräuchten wir eine
       Diskussion darüber, welche Rahmenbedingungen die Politik schaffen muss,
       damit die neue Technologie gewinnbringend wird für die ganze Gesellschaft.
       Denn die Vision einer grünen und menschenfreundlichen Stadt, die fällt ja
       nicht einfach vom Himmel.
       
       Das heißt? 
       
       Die Politik muss die Weichen so stellen, dass es auch dazu kommt. Das heißt
       zum Beispiel: Sie muss dafür sorgen, dass das Parken von privaten Autos am
       Straßenrand nicht mehr möglich ist, und Alternativen schaffen. Sie muss
       dafür sorgen, dass der [4][öffentliche Nahverkehr], etwa U- und S-Bahnen,
       gut ausgestattet ist, ein attraktives Angebot bietet und gleichzeitig eine
       gute Anbindung an die autonomen Fahrzeuge hat.
       
       Sie muss aufpassen, dass nicht am Ende privatwirtschaftliche und
       gewinnorientierte Unternehmen die autonomen Flotten betreiben und den Markt
       dominieren. Es muss einfach experimentiert werden.
       
       Werden wir die menschenfreundliche Stadtvision noch erleben? 
       
       Das ist eine wunderbar deutsche Frage. Wären wir jetzt in San Francisco,
       dann würde man höchstens fragen: Wie viel Fahrzeuge sollen im ersten
       Schritt zum Einsatz kommen? Wie machen wir das mit der Feuerwehr, mit
       Krankenwagen, Müllabfuhr und mit der Polizei? In anderen Ländern ist man
       längst an der Umsetzung. Was wir jetzt hierzulande tun müssen: die
       Gelegenheit beim Schopfe packen. Wir bremsen uns nicht nur selbst aus,
       sondern die deutsche Autoindustrie blockiert ebenfalls kräftig.
       
       Warum? 
       
       Weniger Autos bedeuten einfach weniger Umsätze und Gewinne. Die Hersteller
       hinken ja jetzt schon beim [5][Elektroauto] hinterher und da geht es nur um
       einen neuen Antrieb. Wenn sie die Revolution zum autonomen Fahren auch noch
       verpassen, dann kommen unsere Autos dorther, wo auch jetzt schon unsere
       Smartphones herkommen: aus den USA oder China.
       
       5 Nov 2023
       
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