# taz.de -- Hungerstreik abgebrochen: Ausfahrt Arbeitskampf
       
       > Lkw-Fahrer aus Osteuropa blockieren die Autobahn-Raststätte Gräfenhausen.
       > Sie wollen mehr Lohn. Aber ihren Hungerstreik haben sie beendet.
       
       Gräfenhausen taz | Georgi Kapanadze wird als einer der Letzten untersucht.
       Er setzt sich an den Rand der Ladefläche des Kleintransporters und zieht
       den linken Ärmel seines Sweatshirts hoch. Während Schwester Angelika, so
       will sie genannt werden, seinen Blutdruck misst, pikst der Arzt Sebastian
       Schink in Kapanadzes rechten Zeigefinger, um den Blutzuckerspiegel zu
       messen. Schink hört Kapanadzes’ Herz und Lunge ab, fragt, ob er Medikamente
       nimmt, und rät ihm, viel Wasser zu trinken. Das Team des Mainzer Vereins
       „Armut und Gesundheit“ legt eine Karteikarte für Kapanadze an und
       verabschiedet ihn fürs Erste.
       
       Es ist Samstag, Tag 5 des Hungerstreiks von etwa 30 Lkw-Fahrern auf der
       Raststätte Gräfenhausen-West an der Autobahn A5 zwischen Darmstadt und
       Frankfurt am Main. Am Montag danach werden die Fahrer die verweigerte
       Nahrungsaufnahme wieder abbrechen, aus gesundheitlichen Gründen. Aber jetzt
       ist Gerhard Trabert vor Ort, Professor, Arzt und Gründer des Vereins, mit
       seinem Arztmobil und einem Team von Ärzten und Pflegekräften auf der
       Raststätte, um nach den Männern zu sehen. Eine Krankenversicherung haben
       die Männer nicht, Traberts Untersuchungen sind kostenlos.
       
       Das Arztmobil ist zum ersten Mal seit [1][Beginn des Hungerstreiks] vor
       Ort. „Jetzt beginnt die kritische Phase“, sagt Trabert der taz. Nach fünf
       Tagen Hungerstreik stelle der Stoffwechsel um, es gehe an die körpereigenen
       Reserven, Organe könnten angegriffen werden. „Wenn dann das Herz
       angegriffen wird, kann es zu Herz-Rhythmus-Störungen kommen.“ Allerdings,
       so betont er: „Das ist von Anfang an eine lebensgefährliche Situation.
       Jeder weitere Tag, jede weitere Stunde ist ein Risiko.“ Sein Team wolle
       alle 30 Beteiligten einmal durchchecken – für ihre Gesundheit garantieren
       könne es aber nicht.
       
       Insgesamt streiken hier und in Gräfenhausen-Ost rund 80 Männer bereits seit
       über zwei Monaten. Sie alle arbeiten für eine der polnischen Speditionen
       Agmaz, Lukmaz oder Imperia, die zur Firmengruppe von Lukasz Mazur gehören.
       Firmensitz ist Wawrzeńczyce nahe Krakau, ihr gehört eine Flotte von mehr
       als Tausend Lkw. Die Unternehmen sollen den Fahrern mehrere Monatslöhne
       schulden, insgesamt etwa eine halbe Million Euro.
       
       Rund 60 leuchtend blaue Lkw – typisch für die Gruppe Mazur – stehen auf der
       Raststätte West, weitere etwa 20 gegenüber in Gräfenhausen Ost. Läuft man
       zwischen den Trucks entlang, sieht man an jeder Fahrertür einen
       handgeschriebenen, mit Klebeband angeklebten Zettel. Darauf verzeichnet:
       der Name des Arbeitgebers, das Autokennzeichen, der Name des Fahrers und
       die Höhe des Geldes, das Mazur ihm schuldet. Mal sind es 4345, mal 4195
       oder gar 7745 Euro. Mehrere Tausende Euro soll die Spedition jedem
       einzelnen der Männer schulden. Die streitet das ab.
       
       Kapanadze, er heißt eigentlich anders, kommt aus Georgien – so wie viele
       andere hier. Seit zwei Monaten sei er auf dem Rastplatz, erzählt er auf
       Russisch. Seit fünf Tagen habe er nicht gegessen. Warum? „Wir wollen
       bezahlt werden.“ Und: „Wir wollen, dass anderen Beschäftigten in der
       Zukunft eine Situation wie die unsere erspart bleibt.“ Dann dankt er noch
       Deutschland für die Hilfe, die die Männer hier im Land bisher erfahren
       haben. Mehr will er nicht sagen.
       
       Es ist bereits der zweite Streik von Lkw-Fahrern der Firmengruppe Mazur in
       Gräfenhausen. Auch im März und April hatten sich auf der Raststätte rund 60
       Trucker eingefunden, weil sie mehrere Monate lang keinen Lohn erhalten
       hatten. Warum ausgerechnet Gräfenhausen? Zufall. Der erste Trucker war
       gerade auf der A5 unterwegs, als es ihm reichte. Zu lange hatte er kein
       Geld gesehen. Der Protest machte die Runde – in Chats und Foren, in denen
       sich Lkw-Fahrer austauschen. Immer mehr Trucker, die das gleiche Schicksal
       teilten, kamen dazu.
       
       Nach ein paar Wochen besuchte Lukasz Mazur persönlich Gräfenhausen – und
       brachte einen Schlägertrupp mit, der die Streikenden bedrohte. Seit dem
       Vorfall ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt unter anderem wegen
       besonders schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Störung einer
       Versammlung gegen Mazur und seine Männer. Mazur selbst wurde kurzzeitig
       festgenommen, dann aber wieder freigelassen. Und schließlich zahlte er
       doch: 300.000 Euro. Entscheidend war offenbar der Druck eines Unternehmens,
       das auf seine Ware wartete und mit Vertragsstrafe drohte, sollten die
       entsprechenden Lkw nicht ihren Weg zum Ziel fortsetzen. [2][Gräfenhausen
       wurde zum Symbol für Lkw-Fahrer – des Widerstands und des Sieges.]
       
       Doch auch danach zahlte Mazur offenbar Fahrern ihren Lohn nicht voll aus.
       Und so gingen am 18. Juli wieder Trucker in den Streik, zunächst waren es
       vier. Wo? Natürlich in Gräfenhausen, wo zuvor ein Sieg errungen war. In
       Chatgruppen verbreitete sich die Kunde von „Gräfenhausen 2“, sodass bald
       fast 150 Wagen die Parkplätze in West und Ost belegten. Bereits wenige Tage
       darauf erhielten mehrere Streikende ihr Geld. Vier beladene und drei
       unbeladene Lkws sollen daraufhin abgefahren sein, um die Fracht
       auszuliefern. Bei dem kleinen Erfolg blieb es dieses Mal – danach stellte
       Mazur auf stur, reagierte auf Kontaktanfragen nicht mehr und wollte auch
       nicht mehr zahlen.
       
       Der taz sagte eine Sprecherin der Firmengruppe am Freitag, das Unternehmen
       sei all seinen Verpflichtungen aus den Verträgen nachgekommen. Die Firma
       habe sich nichts vorzuwerfen. Von einem Streik wollte sie nichts wissen,
       noch weniger von einem Hungerstreik, schließlich lägen ihr Fotos vor, auf
       denen die Fahrer feiern und Alkohol trinken. Wieso sich Feiern und Streik
       ausschließen sollten, erklärte sie nicht. Stattdessen schickte sie Fotos,
       eines zeigt eine Countryband und ein paar feiernde Männer. Das ist
       allerdings offenbar schon ein paar Wochen alt: Band und Männer sind auch
       auf einem Foto zu sehen, das die Beratungsstelle Faire Mobilität am 3.
       September auf Twitter veröffentlicht hatte. Damals sagte Anja Weirich von
       der Fairen Mobilität der taz, ständig kämen abends Bands vorbei, die
       Solikonzerte spielten. Der Hungerstreik begann erst am 19. September.
       
       Die Mazur-Sprecherin wies auch darauf hin, dass die polnische
       Arbeitsaufsichtsbehörde das Unternehmen im Juli inspiziert und bezüglich
       der Bezahlung der Fahrer keine Unstimmigkeiten habe feststellen können. Das
       stimmt einerseits. Andererseits aber auch nicht. Laut Medienberichten war
       die Höhe der Bezahlung für die aufgeführten Arbeitsstunden zwar korrekt.
       
       Doch sollen die Trucker den Aufzeichnungen des Unternehmens zufolge nur ein
       paar Dutzend Stunden pro Monat gearbeitet haben. Das machte die Behörde
       stutzig. Sie forderte die digitalen Dateien der Fahrtenschreiber und der
       Fahrerkarten ein. Und musste feststellen, dass die Daten beschädigt waren.
       Dem Bericht zufolge laufen daher aktuell Verwaltungsverfahren gegen die
       Unternehmensgruppe, es droht ein Bußgeld. Die Mazur-Sprecherin wollte das
       nicht kommentieren. Eine Anfrage der taz dazu beantwortete die polnische
       Arbeitsaufsichtsbehörde bis Redaktionsschluss nicht.
       
       Davlatov Izzatullo, klein, dunkle Haare, trägt eine braune Teddyjacke. Es
       ist kalt an diesem Samstagvormittag, auf der Raststätte weht ein frischer
       Wind. Izzatullo kommt aus Tadschikistan. Seit Februar sei er in
       Deutschland, erzählt der 32-Jährige der taz. Zunächst habe er bei einem
       Freund in Münster gelebt und als Trainee bei Mazur angefangen. Seit dem 7.
       Mai fahre er selbst Waren im Auftrag von Agmaz. Aktuell habe er Wein
       geladen. Zeigen kann er die Ware nicht, der Lkw sei verplombt, öffnen könne
       die Plane nur der Empfänger. Mazur habe ab und an kleine Beträge auf
       Izzatullos Bankkonto überwiesen, nie aber den vollen Lohn. Anfang August
       habe er dann mal wieder nachgehakt. Er müsse warten, hieß es. Doch
       Izzatullo konnte nicht warten. „Ich habe eine kleine Tochter, sie ist
       krank, wir brauchen das Geld“, sagt er. Ein Freund berichtete ihm vom
       Streik in Gräfenhausen. Er machte sich auf den Weg. Seit dem 7. August ist
       er nun hier. Im Hungerstreik ist er nicht.
       
       Mazur ist zwar ein polnisches Unternehmen, doch die Fahrer kommen aus
       Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei. Sie
       arbeiten auf einer Art scheinselbständigen Basis. Ihre Arbeitsverträge
       unterzeichnen sie in Polen. Dort holen sie auch die Lkw ab. Doch dann
       fahren sie fast ausschließlich in Westeuropa, meist in Deutschland. Oft
       sind sie ein halbes Jahr, manchmal auch acht Monate oder ein ganzes Jahr
       unterwegs.
       
       Vorgesehen ist das so nicht. Seit 2020 müssen die Unternehmen nach der
       EU-Straßenverkehrsrichtlinie sicherstellen, dass die Fahrer ihre normale
       wöchentliche Ruhezeit außerhalb ihres Fahrzeugs verbringen können – und sie
       für die Zeit auch bezahlen. Das Führerhaus, sagt die EU, ist kein
       geeigneter Wohnort. Die Unternehmen sind darüber hinaus verpflichtet, die
       Arbeit der Fahrer so zu organisieren, dass sie nach vier Wochen Arbeit nach
       Hause fahren können. Und schließlich muss das Fahrzeug nach acht Wochen zum
       Firmensitz zurückgebracht werden. In der Realität sei das aber nicht so,
       erklärt Edwin Atema von der europäischen Transportarbeitergewerkschaft, der
       für die Fahrer vermittelt, der taz. Atema war selbst zehn Jahre lang
       Kraftwagenfahrer und arbeitet nun mit mobilen Einsatzteams in ganz Europa.
       Er fährt dort hin, wo es gerade brennt. Derzeit ist er fast täglich in
       Gräfenhausen.
       
       Izzatullo sei kein Einzelfall, erzählt er. Die meisten Fahrer seien sechs,
       acht oder zwölf Monate non-stop unterwegs. Zwischendurch überweise der
       Auftraggeber kleinere Beträge, „damit sie nicht verhungern“. Den Großteil
       des Lohns – mehrere tausende Euro – müssen sie sich aber im Büro in Polen
       abholen. Wenn sie dort ankommen, ihren Lohn einfordern und um eine Pause
       bitten, um ihre Familien zu besuchen, die sie über Monate nicht gesehen
       haben, bekämen sie oft nur den halben Lohn ausgezahlt. Den Rest, werde
       ihnen gesagt, erhielten sie, wenn sie von ihrer nächsten Tour zurückkämen.
       So bliebe den Fahrern nichts anderes übrig als sich wieder in den Truck zu
       setzen und weiterzuarbeiten. „Die Fahrer sind praktisch Gefangene der
       Speditionen“, sagt Atema. Im Plural, denn die Mazur-Gruppe sei kein
       schwarzes Schaf, sondern eines von vielen Unternehmen in der Branche, deren
       schlechte Behandlung der Fahrer seit Jahren bekannt sei.
       
       Dann erzählt Atema noch, dass er von den Fahrern in Gräfenhausen die
       Tachodaten abgelesen habe. Daraus habe er berechnet, dass sie
       durchschnittlich de facto einen Stundenlohn von 1,45 Euro erhielten.
       Eigentlich stehen ihnen gemäß Mindestlohngesetz und Entsenderichtlinie die
       Mindestlöhne der jeweiligen Einsatzländer zu. Damit würden sie rund 2.400
       Euro pro Monat verdienen. Doch die Spediteure wissen das meist zu umgehen.
       Zum Beispiel müssten die Arbeitgeber eigentlich die Kosten für die
       Bezahlung von Parkplätzen, Benutzung von Toiletten, Duschen oder Unterkunft
       auf Rastplätzen bezahlen. Das machen sie in der Regel aber nicht oder
       ziehen das Geld von der Vergütung ab. Da sie fast ausschließlich
       Nicht-EU-Bürger für sich arbeiten lassen, können sie sicher sein: Die
       wehren sich nicht, da sie ihre Rechte oft nicht kennen und Verträge
       unterschrieben haben, deren Sprache sie nicht verstehen.
       
       Ausbeutung von Truckern ist nicht nur in Europa, sondern auch in anderen
       Teilen der Welt ein Problem. In Südkorea riefen Gewerkschaften 2022 zweimal
       zu einem landesweiten Streik von Lkw-Fahrern aus. Rund 25.000 Trucker
       beteiligten sich daran. Sie protestierten damit – letztlich erfolglos –
       gegen die Abschaffung eines Gesetzes für Sicherheit im Straßenverkehr.
       
       An diesem Wochenende trafen sich nun in Südkoreas Hauptstadt Seoul über
       1000 Vertreter*innen von 50 Gewerkschaften weltweit, um die Kampagne
       „Safe Rates“ (etwa: sicherer Tarif) zu starten. „Überall auf der Welt
       machen niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten Lkw-Fahrern nicht nur das
       Leben schwer, sondern sind auch Ursache für ihren Tod und für Blutbäder auf
       unseren Straßen“, sagte Stephen Cotton, Generalsekretär der Internationalen
       Transport-Föderation zum Start der Kampagne in einer Mitteilung. Zum
       Abschluss der Versammlung besetzten die Gewerkschafter eine Straße in
       Seoul, um damit ihrer Solidarität für die hungerstreikenden Fahrer in
       Gräfenhausen Ausdruck zu verleihen.
       
       Rund 8500 Kilometer weiter westlich fliegt ein Flugzeug vom nahen Flughafen
       Frankfurt am Main mit tosendem Lärm über die Raststätte Gräfenhausen
       hinweg. Vor einem der Lkw haben die Fahrer eine kleine Sitzecke
       eingerichtet. Getränkekisten dienen ihnen als Stühle. Die Tür des offenen
       Wagens haben sie als Infotafel eingerichtet. Die Freie Arbeiterinnen und
       Arbeiter-Union FAU hat hier ein Transparent gespannt, darunter klebt ein
       Foto von Lukasz Mazur und seiner Frau neben einem Luxusauto, hinter ihnen
       eine Flotte blauer Lkw. Drumherum sind Ausdrucke der Codes of Conduct – der
       Verhaltensregeln – verschiedener Firmen: Dachser, Deutsche Bahn, Knauf. Im
       Wagen selbst kleben weitere Zettel: Kopien von Frachtscheinen für Firmen
       wie Toom, Obi, Audi und Netto.
       
       Denn: Auch bei Speditionen gibt es lange Subunternehmerketten. „Nicht so
       lang wie in der Baubranche“, sagt Atema. Drei bis fünf Unternehmen lägen in
       der Regel zwischen dem Verkäufer und dem Käufer einer Lkw-Ladung. „Wenn zum
       Beispiel Obi Ware von Knauf bestellt, wird eine Spedition beauftragt.“ Die
       habe mal eigene Fahrer, mal nicht. In letzterem Fall, oder wenn die eigenen
       Fahrer schon anderweitig eingesetzt sind, vergibt die Spedition den Auftrag
       weiter – und so kann es noch ein-, zwei-, dreimal weitergehen. „Am Ende der
       Kette sitzt zum Beispiel Mazur. Dann holt ein blauer Lkw die Ware von Knauf
       ab und bringt sie bis auf den Werkshof von Obi“, erklärt Atema. Es könne
       also gar nicht sein, dass Obi nicht wisse, dass Mazur an der
       [3][Lieferkette] beteiligt sei.
       
       Und doch ist es das, was Obi, Bauhaus und andere Firmen zur Causa Mazur
       sagen. Bereits am 19. August hatten die streikenden Fahrer in Gräfenhausen
       Namen von Firmen und Marken öffentlich gemacht, deren Waren sie an Bord
       hatten. Neben den oben genannten war unter anderem Ikea dabei, Volkswagen
       und Redbull.
       
       Die taz hat einen Teil der Firmen um Stellungnahme gebeten. Nahezu alle
       verneinen eine Beteiligung von Mazur an ihrer Lieferkette oder sagen
       zumindest, keine Kenntnis davon zu haben, dass die polnische Gruppe Waren
       für sie fahre. Einige erklären, sie hätten bereits im Januar oder nach dem
       ersten Streik im Frühjahr ihre Spediteure angewiesen, nicht mit Mazur
       zusammenzuarbeiten. Bauhaus teilte zudem mit, es habe sein
       „Lieferketten-Risikomanagement überprüft und geltende Transportrichtlinien
       verschärft“ und wolle seine Lieferkette nun „über den Kreis unserer
       unmittelbaren Zulieferer hinaus überprüfen“.
       
       DB Schenker erklärte vergangene Woche, nach einer internen Überprüfung
       „haben wir festgestellt, dass drei Sendungen ohne unser Wissen und ohne die
       vertraglich vorgeschriebene Zustimmung durch DB Schenker an Unternehmen der
       Mazur-Gruppe weitervergeben wurden“. Drei Transportunternehmen seien daher
       von Aufträgen durch DB Schenker ausgeschlossen worden.
       
       Nach dem deutschen Lieferkettengesetz müssen hiesige Firmen seit Januar für
       den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in den Lieferketten sorgen –
       und zwar vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Verstöße können
       beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) gemeldet werden.
       Das Bafa teilte der taz auf Anfrage mit, dass von Januar bis Anfang August
       gerade einmal 14 Beschwerden eingegangen seien. Herumgesprochen hat sich
       die Möglichkeit offenbar noch nicht. Ob auch Unternehmen der
       Mazur-Lieferketten darunter waren, wollte das Bafa nicht sagen.
       
       Das Bafa kann allerdings auch selbständig tätig werden, wenn es von
       möglichen Verstößen gegen das Lieferkettengesetz erfährt. Das will es im
       Fall Mazur nun auch tun. Rückhalt hat es dafür von Bundesarbeitsminister
       Hubertus Heil (SPD). Der äußerte sich vergangene Woche auf dem
       Verdi-Bundeskongress über den Hungerstreik in Gräfenhausen, sprach von
       einer „beschissenen Situation“ und erklärte: „Wir werden da nicht tatenlos
       zusehen.“ Und in der Tat: Am Montag war die Bafa vor Ort und kopierte die
       Fahrzeugpapiere, Frachtscheine etc.
       
       Heil appellierte an die deutschen Großunternehmen, die Auftraggeber von
       Mazur sind, ihre Verantwortung im Rahmen des
       Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes, wie es korrekt heißt, wahrzunehmen.
       „Die Frage von Menschenrechten ist keine Frage von Freiwilligkeit.“ Das
       Bafa werde diese Unternehmen daher einer Sonderprüfung unterziehen. Darüber
       hinaus habe er mit der polnischen Arbeitsministerin Kontakt aufgenommen, um
       sich mit ihr bezüglich des Streiks auszutauschen. Eine Anfrage der taz an
       das polnische Arbeitsministerium blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
       
       Der Rastplatz Gräfenhausen-West ist eigentlich für weitere Lastwagen
       gesperrt – die blauen Trucks der streikenden Fahrer belegen fast den
       gesamten Rastplatz. Ein paar Fahrzeuge anderer Speditionen parken hier
       dennoch. Von einem weißen Lkw zieht der Geruch von Bratkartoffeln herüber.
       Auf einem kleinen Platz zwischen Führerhaus und Ladefläche steht ein
       Gaskocher mit Bratpfanne, das Essen ist fast fertig. Woher der Fahrer
       kommt? „Aus der Ukraine.“ Ob er wisse, dass die Fahrer in den blauen Lkw
       ein paar Meter weiter im Streik seien? „Ja, das habe ich auf Facebook
       gelesen“, sagt er auf Englisch. Agmaz sei ein schlechtes Unternehmen, der
       Streik richtig, schließlich bekämen die Fahrer kein Geld.
       
       Ob sein Arbeitgeber besser sei? Ja, sagt er, macht mit seiner Hand aber
       gleichzeitig eine Geste, die nach „mehr oder weniger“ aussieht, und lacht
       etwas verlegen. Auch wenn er weder seinen noch den Namen seines
       Arbeitgebers nennt, ist es ihm offenbar nicht geheuer, offen mit der Presse
       zu sprechen. Er verabschiedet sich freundlich und dreht sich um, bevor
       seine Kartoffeln anbrennen.
       
       Gerhard Trabert und sein Team sind fertig mit den Untersuchungen.
       Anschließend geht es nach Gräfenhausen-Ost, auch dort sind ein paar Männer
       im Hungerstreik. Die werden direkt im Lastwagen untersucht, sitzen auf
       einer Matratze, während das medizinische Team ihre Werte prüft. Am Ende
       fasst Arzt Sebastian Schink zusammen: Die Männer hätten Kopfschmerzen,
       einen niedrigen Blutdruck und seien geschwächt, aber stabil. „Zum Glück ist
       niemand dabei, der ins Krankenhaus muss.“
       
       Zwei Tage später sieht die Situation anders aus. Die Männer brechen den
       Hungerstreik ab – sie haben es gesundheitlich einfach nicht ausgehalten.
       
       25 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Lkw-Fahrer-Streik-in-Graefenhausen/!5958415
 (DIR) [2] /Lkw-Fahrer-Streik-in-Graefenhausen/!5930891
 (DIR) [3] /EU-Lieferkettengesetz/!5934620
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johanna Treblin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Transport
 (DIR) Arbeitskampf
 (DIR) Hungerstreik
 (DIR) Verkehr
 (DIR) Lieferketten
 (DIR) Arbeitsrecht
 (DIR) Tarifkonflikt
 (DIR) Wilder Streik
 (DIR) IG
 (DIR) GNS
 (DIR) Podcast „Vorgelesen“
 (DIR) Georgien
 (DIR) Bauwirtschaft
 (DIR) Lkw
 (DIR) Verkehrswende
 (DIR) Ausbeutung
 (DIR) Wilder Streik
 (DIR) Hacking
 (DIR) Transport
 (DIR) Gesundheitspolitik
 (DIR) Lieferketten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Asylabkommen mit Georgien: Roter Teppich für Faeser
       
       Die „Rückführungsoffensive“ der Koalition startet. Die Innenministerin hat
       ein Migrationsabkommen mit Georgien geschlossen. Weitere sollen folgen.
       
 (DIR) Ausbeutung auf der Baustelle: Kämpfen lohnt sich
       
       Serbische Arbeiter kämpften monatelang gemeinsam mit der Gewerkschaft um
       den Lohn für ihre Arbeit auf einer Baustelle. Jetzt ist das Geld da.
       
 (DIR) Prekär beschäftigte Lkw-Fahrer: Festgefahren im Arbeitskampf
       
       Schärfere Regeln auf EU-Ebene und das Lieferkettengesetz sollten Ausbeutung
       von Lkw-Fahrern verhindern. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
       
 (DIR) Deutsche Bahn und Arriva: Bahn verkauft britische Tochterfirma
       
       Das Auslandsgeschäft der Deutschen Bahn stand lange in der Kritik, weil
       diese ihr Kerngebiet vernachlässige. Der Verkauf von Arriva soll das
       ändern.
       
 (DIR) Serbische Arbeitnehmer in Backnang: Bauarbeiter kämpfen um ihren Lohn
       
       Knapp drei Monate arbeiten zwölf serbische Männer auf einer Baustelle in
       Baden-Württemberg. Am Ende fehlen ihnen 25.000 Euro. Kein Einzelfall.
       
 (DIR) Wilder Streik in Gräfenhausen: Lkw-Streik beendet
       
       Die rund 80 streikenden Fahrer auf einer hessischen Raststätte haben Geld
       bekommen. Ihr Arbeitgeber hat seine Anzeigen zurückgezogen.
       
 (DIR) Stillstand der Volkswagen-Bänder: Wachstumsinfarkt
       
       Bei VW standen für kurze Zeit die Bänder still. Das bedeutet Verlust.
       Unsere Autorin arbeitete selbst am Band und weiß: Jede Pause ist
       willkommen.
       
 (DIR) Lkw-Fahrer-Streik in Gräfenhausen: „Wir bleiben, bis wir sterben“
       
       In der hessischen Stadt harren immer noch rund 30 Lkw-Fahrer aus –
       inzwischen im Hungerstreik. Nun bekommen sie Unterstützung aus der Politik.
       
 (DIR) Bundesweiter Protesttag: Krankenhäuser melden Alarmstufe Rot
       
       Bei einem bundesweiten Protesttag gehen tausende Klinikangestellte auf die
       Straße und fordern Finanzhilfen. Vom Bund kommt eine Absage.
       
 (DIR) Arbeitsrechte in Lateinamerika: Hoffnung auf das Lieferkettengesetz
       
       Eine Bananenplantage in Costa Rica hat kürzlich allen Gewerkschaftern
       gekündigt. Jetzt können die Betroffenen durch Oxfam hierzulande dagegen
       klagen.