# taz.de -- Stillstand der Volkswagen-Bänder: Wachstumsinfarkt
       
       > Bei VW standen für kurze Zeit die Bänder still. Das bedeutet Verlust.
       > Unsere Autorin arbeitete selbst am Band und weiß: Jede Pause ist
       > willkommen.
       
 (IMG) Bild: Hände eines Arbeiters bei VW in Wolfsburg
       
       Alles Unerwartete kann in der Monotonie der Bandarbeit einen Segen
       darstellen. Wenn ein Kollege einen Fehler beim Verschrauben macht und das
       Band deswegen angehalten werden muss, funkeln die Augen aller anderen. Auch
       meine, als ich 2016 einige Monate am Band von Daimler-Benz arbeite. Man
       kann sich dann hinsetzen, ein kurzes Gespräch führen, vielleicht aufs
       Telefon schauen, eine rauchen gehen.
       
       Bei [1][VW läuft die unendliche Produktion seit Donnerstag wieder], nachdem
       es am Tag zuvor zu einem Stillstand kam, von dem weltweit Produktionshallen
       von VW und Audi betroffen waren. Wer oder was hinter dem IT-Fehler steckt,
       der die Bänder lahmlegte, ist bis Redaktionsschluss unklar. War es eine
       einfache Panne? Oder war es, auch wenn VW das derzeit ausschließt, doch ein
       Angriff von außen?
       
       Während einige X-Nutzer_innen den Verdacht äußern, dass Putin seine Finger
       im Spiel hatte, um Deutschland wirtschaftlich zu schaden, vermuten andere
       einen Robert-Habeck-Hack – nur so sei schließlich die [2][Autoindustrie zu
       stoppen].
       
       Cyberkriminalität ist ein ernstzunehmendes Thema. Und doch erlaubt der
       Vorfall eine utopische Träumerei: Schön wäre, wenn eine nette Hackergruppe
       dahinterstecken würde, die die Arbeiter_innen entlasten will.
       
       ## Deutschland: Land der Leistung
       
       Die Pause sei ihnen gegönnt, doch ein weiteres Mal sollte man nicht mit ihr
       rechnen. Denn Deutschland ist eigentlich [3][ein Land der Leistung:]
       Wachstum ist das Ideal, Stillstand der schaurige Albtraum. Dass
       Produktionsbänder anhalten, ist fast unmöglich. Sie laufen wie Venen und
       Arterien durchs Land, statt Sauerstoff transportieren sie Abgase. Wird der
       Fluss dieser Bänder angehalten, kommt es zum Wachstumsinfarkt.
       
       Die, die am VW-Band standen, werden dennoch froh gewesen sein, als es
       grundlos anhielt. Stundenlang steht ein Arbeiter sonst an seinem Posten und
       macht die immer gleichen Bewegungen. Für jedes Auto hat er etwas mehr als
       eine Minute, bis sich die nächste Karosse nähert und dieselben
       Arbeitsschritte von ihm fordert.
       
       Nach etwa zwei Stunden darf er die Station wechseln, soll nun nicht mehr
       die Fenster-Airbags verschrauben, sondern die Heck-Stoßdämpfer der nächsten
       hundert Autos einsetzen. Wenn er Pech hat, wird er stundenlang Teile über
       der eigenen Kopfhöhe verschrauben müssen.
       
       ## Dem Takt der Bänder folgen
       
       So rotiert er in seiner Schicht durch drei oder vier Stationen. Am Tag
       darauf auch. Dann wieder. Tag für Tag, Woche für Woche. Und das macht er
       20, 30, 40 Jahre lang, vielleicht in der Nachtschicht. Wenn er dem Takt der
       Bänder nicht mehr folgen kann, wird er in Frührente geschickt.
       
       Wie repetitiv und gnadenlos Bandarbeit wirklich ist, kann man sich kaum
       vorstellen, wenn man noch nie am Band stand. Für Anfänger gehören blaue
       Flecken und Muskelkater zur Einarbeitungsphase. Die Bewegungen sind später
       automatisiert und könnten fast meditativ sein, wenn da nicht der Lärm und
       die omnipräsenten Augen der Meister wären, die durch die Hallen schleichen
       und nach dem Rechten sehen.
       
       Von den Arbeiter_innen ist große Konzentration gefordert. Ablenkungen, wie
       etwa Musik hören, sind Tabu. Telefone sind in den Schließfächern zu lassen,
       auch wenn sich nicht alle an die Regel halten.
       
       ## Kleine und große Verstöße
       
       Und während die einen in den Produktionshallen kleine Regeln missachten, um
       den monotonen Arbeitsalltag etwas erträglicher zu gestalten, werden [4][in
       den Chefetagen Verstöße anderen Kalibers begangen].
       
       Am Dienstag gab es Razzien in VW-Vorstandsbüros und verschiedenen
       Privatwohnungen, da die Staatsanwaltschaft vermutet, dass die
       Betriebsratsmitglieder zu hohe Gehälter bekommen haben. Da wirkt es fast
       schicksalhaft, dass am Tag darauf die Bänder stehen bleiben.
       
       28 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/vw-stoerung-behoben-100.html
 (DIR) [2] /Verhinderte-Proteste-gegen-die-IAA/!5956522
 (DIR) [3] /Deutschland-in-der-Wirtschaftskrise/!5949699
 (DIR) [4] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/volkswagen-razzia-bei-vw-auch-vorstandsbueros-durchsucht/29414932.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Valérie Catil
       
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