# taz.de -- Nach Doku über Sorgerecht: Ordnungshaft nach NDR-Beitrag
       
       > Eine Mutter soll für fünf Tage ins Gefängnis. Das Gericht hatte ihr Sätze
       > zuordnet, die in einem NDR-Beitrag aus dem Off eingesprochen wurden.
       
 (IMG) Bild: Trister Ausblick: Frauentrakt der Justizvollzugsanstalt Billwerder in Hamburg
       
       Hamburg taz | „Ich weiß gar nicht, wo ich eigentlich hin muss“, sagt Frau
       W. Sie wisse auch nicht, was sie mitnehmen kann, was sie da darf? Klar ist
       nur, am Donnerstag muss die Mitfünfzigerin eine fünftägige Ordnungshaft
       antreten, letztlich für ihren Auftritt in einem NDR-Beitrag, der vor
       anderthalb Jahren lief und sogar einen Journalistenpreis gewann.
       
       Aber das hilft ihr nicht. Frau W. ist eine von jenen Müttern, deren Fälle
       der Soziologe Wolfgang Hammer 2019 für eine kleine Fallstudie untersucht
       hat. Fazit: Sie wurden zu Unrecht von ihren Kindern getrennt – wegen einer
       angeblich zu engen Mutter-Kind-Bindung. Ein Grund sei die Verbreitung der
       veralteten und wissenschaftlich nicht haltbaren Theorie, laut der ein
       Elternteil ein Kind durch Manipulation dem anderen entfremdet, [1][auch
       Pariental Alienation Syndrome (PAS) genannt.]
       
       Nicht nur die taz, auch andere Medien berichteten über Hammers Thesen. Auch
       ein Politikmagazin des NDR interessierte sich, über Wolfgang Hammer kam im
       November 2021 der Kontakt zu Frau W. zustande.
       
       Die Mutter bot sich als Fallbeispiel an. Denn sie hatte ihr [2][Sorgerecht
       erfolgreich zurück erkämpft.] In der mehrjährigen Auseinandersetzung ging
       es hoch her, und wegen eines längeren Schriftstücks, dass gar nicht sie,
       sondern ein Verwandter verfasst hatte, erließ das Landgericht Hamburg im
       Herbst 2021 eine einstweilige Verfügung. Die besagte, dass bestimmte Dinge
       nicht mehr gesagt oder verbreitet werden dürfen. Diese Unterlassung galt
       für Frau W. gleich mit, auch sie sollte diese Äußerungen nicht mehr
       verbreiten.
       
       ## Reporterin wurde vorgewarnt
       
       Sie zeigte diese der Reporterin und bat darum, darauf zu achten, dass die
       ihr dort gesetzten Grenzen gewahrt werden. Bei den Filmaufnahmen, für die
       extra ein Haus angemietet worden sei, habe sie sehr auf ihre Worte
       geachtet, sagt Frau W. Sie habe darüber gesprochen, wie es ihr als Mutter
       mit dem Manipulationsvorwurf erging. Sehr nervös sei sie gewesen. „Ich habe
       sogar einmal die Antwort auf eine Frage unterbrochen.“
       
       Die Journalistin habe ihr zugesichert, dass das Justiziariat des NDR den
       Beitrag mit der Unterlassung abgleichen würde. Den ganzen Film, in dem es
       auch um eine andere Mutter ging, hatte sie vor Ausstrahlung nicht gesehen.
       
       Doch spätestens zwei, drei Wochen später wurde der Frau gewahr, dass sie
       ein Problem hat. In dem Beitrag wurden Sätze aus dem Off gesprochen, die
       Frau W. selber nicht hätte sagen dürfen. Die Partei, die schon die
       Unterlassung erwirkt hatte, zog nun vor Gericht und beantragte, ein
       Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft gegen die Mutter festzusetzen.
       
       Dem stellte W.s Anwältin eine Argumentation gegenüber, die auf einer
       Expertise des NDR beruhte, wonach W. nicht gegen die Unterlassung verstoßen
       habe. Doch das Gericht ließ sich davon nicht überzeugen und verurteilte die
       Interviewte zu 2.500 Euro oder eben zu fünf Tagen Haft.
       
       ## NDR antwortet erst nicht auf Hilfeersuchen
       
       Leider sei die Mail mit dem Beschluss von ihrer inzwischen neuen Anwältin
       im Spamordner gelandet, berichtet W. „Ich sah die erst einen Monat später,
       als die Frist für einen Widerspruch schon abgelaufen war“. Sie schrieb
       daraufhin im Juli 2022 dem NDR-Justiziariat, bat um Unterstützung, erhielt
       aber keine Antwort.
       
       Nachdem nun fast ein Jahr später die Aufforderung zum Haftantritt gekommen
       war, schrieb die Frau am 25. Mai erneut dem NDR mit der dringenden Bitte um
       Kontaktaufnahme und der Frage, ob man ihr bei Zahlung des Ordnungsgelds
       helfen kann. Wieder kam zunächst keine Antwort.
       
       Auf Nachfrage der taz bestätigt der NDR, dass es vor Veröffentlichung des
       Beitrags einen Abgleich mit den zu unterlassenden Äußerungen gab. „Das
       Ergebnis des Abgleichs war, dass Frau W. in den sogenannten 'O-Tönen’ im
       Beitrag keine Äußerung tätigt, die ihr untersagt worden war“, schreibt
       Sprecherin Iris Bents. Die Mutter habe ausschließlich über ihre Erfahrungen
       mit der PAS-Theorie gesprochen. Die im Off von der Sprecherperson
       getroffenen Aussagen beruhten auf anderen Quellen.
       
       „Der NDR hat der Mutter zugesagt, darauf zu achten, dass ihre Aussagen im
       Bericht keinen Verstoß gegen die einstweilige Verfügung enthalten“,
       bestätigt die Sprecherin. Nur habe das Gericht dies anders gewertet und den
       „Sprechertext“ der Mutter zugeordnet.
       
       ## Es bleibt nur der Gang in die Zelle
       
       Auf die Frage nach der Unterstützung der Frau verweist der Sender auf jene
       „ausführliche juristische Expertise“, welche die NDR-Rechtsabteilung der
       Anwältin der Mutter zur Verfügung stellte. Die sei dafür gedacht gewesen,
       die Argumentation von W. vor Gericht zu stützen.
       
       Zwar habe sich die erste Instanz der Einschätzung des NDR nicht
       angeschlossen. Aber nach Kenntnis des Senders habe deren Anwältin die
       Mutter darüber informiert, dass sie Beschwerde einlegen kann. Ob das
       geschah, sei dem Sender nicht bekannt, aber er bleibe bei der
       Rechtsauffassung, dass W. in ihren Aussagen nicht gegen die Unterlassung
       verstoßen hat.
       
       Und da die Berichterstattung des NDR an sich nicht juristisch angegriffen
       wurde, gebe es „keine Grundlage für eine Zahlungsübernahme durch den NDR“.
       Gleiches antwortete der Sender am Montag auch der Mutter.
       
       Derweil erhielt W., ebenfalls am Montag, von ihrem neuen Anwalt die
       Einschätzung, dass er keinen Ansatz mehr [3][für die Einlegung von
       Rechtsmitteln sieht.] Ihr bleibt nur der Gang in die Zelle. Eine Anfrage
       der taz bei der Justizbehörde ergibt: Sie muss in die Justizvollzugsanstalt
       Billwerder.
       
       Sie darf eigene Kleidung mitbringen, aber kein Handy. Sie hat eine
       Einzelzelle mit Fernseher, Bücher muss sie vor Ort ausleihen. Und der
       Tagesablauf ist eng getaktet, allein dreimal am Tag wird gezählt. „Dass ich
       da hin muss, wo andere aus der Verantwortung gehen“, sagt Frau W, „das ist
       für mich schwer ertragbar.“
       
       Aktualisierung: Wie der NDR am Donnerstag mitteilte, muss Frau W. die
       Haftstrafe nicht antreten. Der NDR habe „nach nochmaliger Prüfung aufgrund
       der besonderen Umstände und wegen der Verantwortung gegenüber der
       Protagonistin des Beitrags“ entschieden, das Ordungsgeld zu übernehmen.
       
       13 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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