# taz.de -- Polizeieinsatz gegen Letzte Generation: So begründet die Justiz die Razzien
       
       > Das Vorgehen der bayerischen Justiz gegen Aktivisten der Letzten
       > Generation stößt auf breite Kritik. Die taz analysiert den
       > Durchsuchungsbeschluss.
       
 (IMG) Bild: Kriminelle Vereinigung? Gegen die Einstufung demonstrierten Klimaaktivisten der Letzte Generation
       
       FREIBURG taz | Von der Letzten Generation geht eine erhebliche Gefährdung
       für die öffentliche Sicherheit aus, glaubt das Amtsgericht München. Es
       stufte die Klimakleber deshalb als „kriminelle Vereinigung“ ein und
       [1][ordnete bundesweite Durchsuchungen] an. Die taz analysiert jetzt den
       Durchsuchungsbeschluss.
       
       Der Beschluss umfasst elf Seiten und stammt vom 16. Mai. Die Namen der
       sieben Beschuldigten sind geschwärzt, sie wurden in diesem Text anhand von
       frei zugänglichen öffentlichen Quellen ergänzt. Von großem öffentlichen
       Interesse ist vor allem, wie das Amtsgericht begründet, dass es sich bei
       der Letzten Generation um eine „kriminelle Vereinigung“ handelt und wer
       alles hierzu gezählt wird.
       
       Drei der Beschuldigten werden wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“
       verfolgt. Zwei von ihnen seien für die Homepage der Organisation
       verantwortlich gewesen, die dritte Person habe als Pressesprecherin agiert.
       Gemeint sind hier wohl insbesondere Ingo Blechschmidt, der im Impressum der
       Homepage stand, und Carla Hinrichs, die von Beginn an Pressesprecherin war.
       Bei beiden fand letzte Woche eine Durchsuchung statt.
       
       Zwei weitere Personen sollen sich als Mitglieder der kriminellen
       Vereinigung betätigt haben, indem sie am 27. April 2022 die Transalpine
       Ölleitung (TAL) von Triest (Italien) nach Lenting (bei Ingolstadt) störten.
       Dabei sei es ihnen zwar nicht gelungen, selbst den Öl-Durchfluss zu
       stoppen. Ihr Eindringen in ein Betriebsgebäude habe aber Sicherheitsalarm
       ausgelöst, so dass die Pipeline vorsorglich für fünf Stunden abgeschaltet
       wurde. Die beiden Aktivisten waren Wolfgang Metzeler-Kick und Christian
       Bläul.
       
       ## Nicht nur Pipeline-Aktionen
       
       Zwei beschuldigte Unterstützer:innen sollen der Letzten Generation bei
       der Einnahme von Spendengeldern geholfen haben. Hier geht es zum einen um
       den Elinor Treuhand e.V., dessen Plattform für Gruppenkonten auch die
       Letzte Generation nutzte. Konkret beschuldigt wird der Vorstand des
       Vereins, also Lukas K. Zum 1. März 2023 hatte Elinor jedoch die
       Zusammenarbeit mit der Letzten Generation aufgekündigt, „aus Verantwortung
       für alle anderen Gruppenkonten“.
       
       Ab 1. März wurde das Spendenkonto der Letzten Generation daher bei einer
       anderen Organisation geführt, mit dem sperrigen Namen „Klima- und
       Umweltaufklärung für den Erhalt der lebenssichernden Ökosysteme
       gemeinnützige GmbH“ (KUEÖ gGmbH). Vertretungsberechtige Geschäftsführerin
       war hier die LG-Aktivistin Imke Bludszuweit, deren Wohnung vorige Woche
       ebenfalls durchsucht wurde.
       
       Das Amtsgericht geht nicht explizit auf die Frage ein, wie groß die
       kriminelle Vereinigung ist. Auf den ersten Blick deutet die bisher geringe
       Zahl von sieben genannten Beschuldigten darauf hin, dass nur die
       Führungsebene als kriminelle Vereinigung gelten könnte. Allerdings ist im
       Münchener Beschluss auch explizit von einem Führungsteam, einem Kernteam,
       von Hintermännern die Rede, die noch nicht identifiziert seien. In der
       Vorstellung des Amtsgerichts scheint es also durchaus eine kriminelle
       Vereinigung unterhalb der Führungsebene zu geben.
       
       ## 14 weitere strafbare Aktionen
       
       Eng damit verbunden ist die Frage, welche Straftaten die Letzte Generation
       zur kriminellen Vereinigung machen. Geht es nur um die Störung kritischer
       Infrastruktur wie Ölpipelines oder auch um jede Straßenblockade? Für die
       Konzentration auf Pipeline-Aktionen spricht, dass nur für diese im
       Durchsuchungsbeschluss konkrete Beschuldigte hervorgehoben werden.
       
       Allerdings zählt das Amtsgericht über zwei Seiten lang auch 14 andere
       bundesweite strafbare Aktionen auf, von Autobahnblockaden im Januar 2022
       über Kunstbeschädigungen im August 2022 bis zu Störungen auf Flughäfen im
       Dezember 2022. Letztlich gehören aus Sicht des Amtsgerichts wohl doch alle
       Aktionsformen der Letzten Generation zur kriminellen Vereinigung.
       
       Eine Vereinigung liege (neben den Einzeltaten) vor, so das Amtsgericht,
       weil die Letzte Organisation straff organisiert und das Führungsteam
       konspirativ abgeschottet sei. Interne Richtlinien sorgten für ein
       einheitliches (bürgerliches und gewaltfreies) Auftreten. Auch würden die
       Finanzen der Organisation zentral verwaltet.
       
       Die Straftaten seien begangen worden, um die Öffentlichkeit auf den
       Klimawandel aufmerksam zu machen, so das Amtsgericht. Dabei sei sich die
       Letzte Generation der Strafbarkeit ihres Handelns durchaus bewusst. Bei der
       Rekrutierung neuer Aktivist:innen werde ausdrücklich darauf
       hingewiesen, dass man bereit sein müsse, ins Gefängnis zu gehen.
       
       ## Münchner Maßstab?
       
       Dass die Letzte Generation laufend Straftaten begeht, ist nicht neu. Bisher
       haben sich die Staatsanwaltschaften dennoch fast überall darauf beschränkt,
       konkrete Blockade-Aktionen anzuklagen, ohne eine kriminelle Vereinigung
       anzunehmen. Grund dafür war, dass der Bundesgerichtshof schon seit langem
       für kriminelle Vereinigungen eine „[2][erhebliche Gefahr für die
       öffentliche Sicherheit]“ verlangt und die Staatsanwaltschaften diese Gefahr
       in den nur lästigen Verkehrs-Staus nicht erkennen konnten.
       
       Auch das Amtsgericht München hat nun die Maßstäbe nicht abgesenkt. Es geht
       ebenfalls davon aus, dass eine erhebliche Gefährdung für die öffentliche
       Sicherheit erforderlich ist, hält diese aber bei der Letzten Generation für
       gegeben. Als Argument hierfür gilt zum Beispiel, dass manche
       Aktivist:innen ihre Lebenshaltungskosten und Kosten der Strafverfahren
       aus dem Spendentopf der Letzten Generation ersetzt bekommen. Dies erhöhe
       die Wahrscheinlichkeit von Straftaten.
       
       Die Letzte Generation nehme es auch billigend in Kauf, so das Amtsgericht,
       dass Rettungsfahrzeuge zu spät zu ihren Einsatzorten kommen und dass
       genervte Autofahrer zu strafbarer Selbstjustiz greifen. Zudem sei die
       Letzte Generation mit hunderten Aktiven und gut organisierten Regionalteams
       in der Lage, jederzeit die Situation mit neuen Straftaten flächendeckend zu
       eskalieren.
       
       ## Mehr als ein Verdacht
       
       Nachdem die Polizei die Webseite der Letzten Generation beschlagnahmt
       hatte, war dort zu lesen: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle
       Vereinigung gemäß § 129 Strafgesetzbuch dar!“, verbunden mit einem
       Warnhinweis, dass Spenden als Unterstützung der kriminellen Vereinigung
       strafbar sind.
       
       Diese polizeiliche Feststellung wurde weithin als Vorverurteilung
       kritisiert, da bisher ja nur ein Verdacht bestehe. Auch Aimée von Baalen,
       Sprecherin der Letzten Generation fragte: „Haben wir ein Urteil verpasst?“.
       Die Staatsanwaltschaft entfernte anschließend den Satz von der Webseite.
       
       Tatsächlich kann sich die Aussage der Polizei aber durchaus auf den
       Beschluss des Amtsgerichts München stützen. Dort wird nicht nur ein
       Verdacht geäußert, dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung
       sein könnte, sondern dies wird implizit festgestellt. Unter der
       Zwischenüberschrift „Die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung“ hält
       das Gericht alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale für gegeben
       (auch wenn die Prüfung in Durchsuchungsbeschlüssen eher oberflächlich ist).
       
       ## Suche nach Linksradikalen
       
       Aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses wurden letzte Woche 15 Wohnungen
       bundesweit gefilzt. Gesucht wurden dabei vor allem Computer, Mobiltelefone,
       Datenspeicher, Unterlagen oder sonstige Gegenstände mit Bezug zur Letzten
       Generation.
       
       Ausdrücklich erwähnt werden Gegenstände, die auf linksradikales,
       verfassungswidriges Gedankengut hindeuten. Das erstaunt, weil die
       Forderungen der Letzten Generation ja alles andere als linksradikal sind.
       Die Aktivist:innen verlangen lediglich ein Tempolimit, ein
       9-Euro-Ticket für den Nahverkehr und die Einsetzung eines ausgelosten
       Gesellschaftsrats, der sich mit der Klimapolitik bis 2030 beschäftigen
       soll.
       
       An keiner Stelle des Durchsuchungsbeschlusses wird erläutert, warum die
       Polizei nach linksradikalen Hintergründen suchen soll. Möglicherweise
       gehört dies in Bayern aber zum Routineprogramm und muss nicht weiter
       begründet werden. Den Antrag für die Durchsuchungen hat die Bayerische
       Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der
       Münchener Generalstaatsanwaltschaft gestellt.
       
       Hinweis: Das wörtliche Zitieren aus Dokumenten eines Strafverfahrens ist
       verboten (Paragraf 353d Strafgesetzbuch). Deshalb wurde hier darauf
       verzichtet.
       
       29 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Razzia-gegen-Letzte-Generation/!5936687
 (DIR) [2] /Ex-Verfassungsrichter-ueber-Letzte-Generation/!5937068
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Polizei
 (DIR) Razzia
 (DIR) Letzte Generation
 (DIR) Justiz
 (DIR) Schwerpunkt Klimaproteste
 (DIR) Schwerpunkt Fridays For Future
 (DIR) Letzte Generation
 (DIR) Letzte Generation
 (DIR) Lesestück Interview
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimaproteste
 (DIR) VW ID
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
 (DIR) Schwerpunkt Klimaproteste
 (DIR) Schwerpunkt Klimaproteste
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Einschränkung der Klimabewegung: Fridays kritisieren Razzien
       
       Im Umfeld der Aktivist:innen gab es Durchsuchungen. Aber noch etwas
       empört sie: Das neue Klimaschutzprogramm der Bundesregierung.
       
 (DIR) Neuer Prozess gegen „Letzte Generation“: Blockieren als „moralische Pflicht“
       
       Letzte-Generation-Sprecherin Carla Hinrichs steht erneut wegen
       Straßenblockaden in Berlin vor Gericht. Der Richter hat sie bereits einmal
       verurteilt.
       
 (DIR) Festklebe-Aktionen der Letzten Generation: In Braunschweig wird nicht geklebt
       
       Wer sich unangekündigt in Braundschweig aus Protest auf die Straße klebt,
       muss mit Bußgeld rechnen. Jetzt wird gestritten, ob das rechtens ist.
       
 (DIR) Sally Haslanger über sozialen Wandel: „Denken und Handeln verändern“
       
       Die Philosophin Sally Haslanger beschäftigt sich mit sozialen
       Veränderungen. Im Kampf gegen die Klimakrise brauche es Debatten über
       Ungerechtigkeit, sagt sie.
       
 (DIR) Proteste in mehreren Städten: Letzte Generation blockiert wieder
       
       Die Letzte Generation hat in mehreren Städten protestiert. Innenministerin
       Faeser verteidigt das harte Vorgehen der Behörden gegen Aktivist:innen.
       
 (DIR) Bewegungsforscher über Letzte Generation: „Noch hat die Bewegung Vertrauen“
       
       Der Staat geht mit Razzien gegen Aktivist:innen der Letzten Generation
       vor. Wohin soll das führen? Fragen an den Protestforscher Simon Teune.
       
 (DIR) Verkehrswende-Projekthaus in Wolfsburg: Hausdurchsuchung für einen Flyer
       
       Am Tag nach den Razzien bei der Letzten Generation wurde auch ein
       Projekthaus in Wolfsburg durchsucht – wegen Graffiti und gefälschter
       Flugblätter.
       
 (DIR) Letzte Generation vor Gericht: Für Selfies in den Knast
       
       Ein Klimaaktivist geht vor Ablauf der Frist für drei Tage ins Gefängnis.
       Zum Verhängnis wurde ihm die Verbreitung von Fotos einer Pipeline-Sabotage.
       
 (DIR) Repressionen gegen Letzte Generation: Wer gefährdet hier die Demokratie?
       
       Nach der Großrazzia bei der Letzten Generation zeigt sich: Behörden
       bekämpfen Aktivist:innen statt Missstände. Das hat Tradition in
       Deutschland.
       
 (DIR) Ex-Verfassungsrichter über Letzte Generation: „Harmlose Sandkastenspiele“
       
       Andreas Voßkuhle sieht bei der Letzten Generation keine extremen Ansätze.
       Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay bleibt bei seiner Einigung mit den
       Klimaaktivisten.
       
 (DIR) Razzia bei Letzter Generation: Bayerns Justiz hat gewildert
       
       Söders Generalstaatsanwaltschaft hat ihre willfährige Justiz in andere
       Bundesländer geschickt, um dort aufzuräumen. Was tut man nicht alles für
       den Wahlkampf.