# taz.de -- Annalena Baerbock im Porträt: Keine Angst vor Turbulenzen
       
       > Seit anderthalb Jahren ist Annalena Baerbock Außenministerin. Sie
       > versucht, Prinzipien und Pragmatismus zu verbinden. Das gelingt nicht
       > immer.
       
 (IMG) Bild: Der erste Härtetest: Annalena Baerbock bei einer Pressekonferenz mit Sergei Lawrow in Moskau im Januar 2022
       
       Kurz vor der Datumsgrenze erwischen die Turbulenzen den Airbus. Die kleine
       Konferenzkabine im Regierungsflieger wird ordentlich durchgeschüttelt, die
       Anschnallzeichen leuchten auf, die Außenministerin hat weiterhin gute
       Laune.
       
       Eine lange Reise liegt hinter ihr: Sechs Tage lang war sie in China,
       Südkorea und Japan. Drei Stunden sind jetzt geschafft seit dem Abflug aus
       Tokio, bis Berlin sind es noch mal elf. Der russische Luftraum ist tabu,
       der Umweg führt in dieser Nacht Mitte April über den Pazifik und den
       Nordpol.
       
       Zeit genug also für eine Fragerunde mit den mitreisenden Journalist*innen,
       die jetzt vor ihr sitzen – und deren Gesichter von Minute zu Minute blasser
       werden: als erst das Auf und Ab der Maschine immer heftiger wird, als
       irgendwann noch ein penetrantes Piepen einsetzt, als dann eine
       Flugbegleiterin hereinplatzt und alle raus aus der Kabine und zurück auf
       die Sitzplätze bittet. „Dann sehen wir uns später wieder“, sagt Baerbock
       fröhlich zum Abschied. „Hoffentlich.“
       
       Nervöses Lachen aus der Runde. Die Ministerin ist die Einzige, so scheint
       es, der die Turbulenzen nichts ausmachen.
       
       Seit anderthalb Jahren führt Annalena Baerbock das Außenministerium.
       Gefühlt sind es der Umstände halber mindestens drei: Turbulent verläuft
       schließlich auch das Weltgeschehen, seit sie im Amt ist. Zeit zur
       Einarbeitung hatte sie nicht, Zeit zum Durchschnaufen auch nicht.
       
       Doch so schwierig die Umstände sind, so nah ihr der Krieg in der Ukraine
       geht und so viel Wirbel es auch um sie selbst zuweilen gibt: Einen
       angeschlagenen Eindruck macht sie in diesen Tagen nicht. Im Gegenteil.
       
       Persönlich könnte es ja auch schlechter laufen. Baerbock hat die 18 Monate
       im Amt genutzt, um sich neu zu profilieren. Fast vergessen ist der
       verkorkste Bundestagswahlkampf, zu dem sie als Spitzenkandidatin angetreten
       war. Weit weg sind auch die skeptischen Fragen zu Beginn ihrer Amtszeit:
       Kann sie es mit den Großen in der Welt aufnehmen? Sie, die zwar vier Jahre
       Chefin einer Oppositionspartei war, aber noch nie ein Regierungsamt
       innehatte? Und die als Frau – das schwang oft mit – von all den Männern auf
       der internationalen Bühne doch nicht ernst genommen würde?
       
       Sie brauchte nicht lang für die erste Antwort. Januar 2022: Sieben Wochen
       nach ihrem Amtsantritt, kurz vor Beginn des Kriegs in der Ukraine,
       [1][reist Baerbock nach Moskau]. Sie trifft dort Sergei Lawrow, seit knapp
       zwei Jahrzehnten russischer Außenminister.
       
       Während des Gesprächs hinter verschlossenen Türen, so erzählen es Baerbocks
       Leute, übergibt ihr der Russe eine mehrseitige diplomatische Note. Er wirft
       Deutschland darin einen Rechtsbruch beim Umgang mit der Pipeline Nord
       Stream 2 vor, die zu diesem Zeitpunkt zwar noch intakt ist, aber nicht in
       Betrieb gehen darf. Baerbock müsse sich das Dossier nicht sofort
       durchlesen, sagt er, das sollen ihre Experten in Ruhe zu Hause machen.
       
       Eine bekannte Taktik: Die deutsche Delegation geht davon aus, dass Lawrow
       den Punkt schon ein paar Minuten später wieder ansprechen würde – dann vor
       laufenden Kameras, während der gemeinsamen Pressekonferenz. Baerbock, die
       in London ein Jahr lang Völkerrecht studiert hat, überfliegt das Papier
       direkt. Die Überprüfung müsse sie nicht abwarten, entgegnet sie dann, auf
       Seite 2 habe die Argumentation einen entscheidenden Fehler. Auf der
       Pressekonferenz belässt es Lawrow danach bei einem einzigen Satz zur
       Pipeline.
       
       Baerbock hält vor den Kameras auch bestimmt dagegen, als es um den
       russischen Aufmarsch an der ukrainischen Grenze geht. Ähnlich deutliche
       Auftritte folgen ein halbes Jahr später bei ihrem Antrittsbesuch in
       Istanbul und schließlich in diesem Frühjahr bei ihrer ersten Reise nach
       Peking.
       
       ## Sie bekommt Lob, aber auch maßlose Kritik
       
       Bei vielen kommt sie damit gut an. „Sie macht ihren Job deutlich besser,
       als viele erwartet haben“, sagt der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter,
       der eigentlich nicht mehr gut auf Baerbock zu sprechen war, nachdem sie ihn
       bei der Kabinettsbildung ausgebootet hatte. „In diesen Zeiten ist sie mit
       ihrer Klarheit gegenüber Russland und China die richtige Person.“
       
       Dieser Meinung sind nicht nur Grünen-Mitglieder. Trotz der Umfragenkrise
       ihrer Partei steht die Außenministerin in allen Beliebtheitsrankings weit
       oben. Vor ihr lag zuletzt nur Verteidigungsminister Boris Pistorius, der
       noch nicht lange genug im Amt ist, um sich schon unbeliebt gemacht zu
       haben.
       
       Gleichzeitig polarisiert Baerbock aber auch. Der Vorwurf ihrer Gegner, für
       die Weltbühne habe sie zu wenig Gewicht, ist nahtlos ins Gegenteil
       umgeschlagen. Er lautet nun: Überall zerschlage Baerbock Porzellan.
       
       „Was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist“, sagte
       [2][kürzlich der Fernseh-Philosoph Richard David Precht]. Sie habe die
       „moralische Inbrunst einer Klassensprecherin“.
       
       „Manchmal sieht es so aus, als reise sie zu dem einzigen Zweck um die Welt,
       den Anderen ihre Ansichten und Überzeugungen mitzuteilen“, [3][hieß es vor
       zwei Wochen in der Welt].
       
       Und international könne ja wohl nur Erfolg haben, „wer mit vielen Fragen in
       Gespräche hineingeht“ und „nicht predigend mit erhobenem Zeigefinger
       herumläuft“, sagte im letzten Spätsommer …
       
       Nun ja, der letzte Satz stammt von Annalena Baerbock selbst. Er fiel im
       September, als die Außenministerin zum ersten Mal in ihrer Amtszeit die
       deutschen Botschafter*innen aus aller Welt zu einer Konferenz nach
       Berlin kommen ließ. Unter den Kronleuchtern im Weltsaal ihres Ministeriums
       erklärte sie dort, wie sie sich die Grundzüge ihrer Außenpolitik vorstellt.
       
       Von den Schlagworten, die sonst gemeinhin mit ihrem Kurs verknüpft sind,
       war wenig zu hören. [4][Von einer „wertegeleiteten Außenpolitik“, die sie
       vor ihrem Amtsantritt angekündigt hatte], sprach Baerbock nicht. Seit sie
       regiert, verwendet sie den Begriff ohnehin sparsam. Im Weltsaal beschreibt
       die Außenministerin ihren Kurs stattdessen mit einem Dreiklang, der
       Ausgewogenheit signalisieren soll: „Wertefest“, sagt sie zwar. Aber auch:
       „interessengeleitet und lösungsorientiert“.
       
       Als Grünen-Chefin arbeitete Baerbock früher zusammen mit Robert Habeck
       daran, dass sich die Partei eine neue Haltung zulegt. Sie wollten wegkommen
       von der „moralischen Erziehung des Menschengeschlechts“, wie es Habeck vor
       zehn Jahren nach einer verlorenen Bundestagswahl ausdrückte. Nimmt man
       Baerbock beim Wort, hat sie diesen Vorsatz auch für ihre Außenpolitik
       gefasst.
       
       Und das ist nicht ausschließlich Rhetorik. Thorsten Benner beschäftigt sich
       am [5][Global Public Policy Institute] in Berlin mit internationaler
       Politik. „Annalena Baerbock hat dem Begriff der ‚wertegeleiteten
       Außenpolitik‘ zwar nie explizit abgeschworen“, sagt er. „Ihre reale
       Außenpolitik lässt sich mit so einem Mantra aber überhaupt nicht
       beschreiben. Sie hat oft einen extrem pragmatischen Ansatz.“
       
       Es gibt viele Gründe dafür, dass das öffentliche Bild der Außenministerin
       damit nicht immer übereinstimmt. Einer ist, dass sich ein Image nun mal
       nicht von einem Tag auf den nächsten ändert. Ein anderer, dass bei Baerbock
       in vielen Fällen nicht auf Anhieb erkennbar ist, ob sie eine Entscheidung
       aufgrund der Moral oder aufgrund der Nützlichkeit getroffen hat. Oft führen
       bei ihr beide Wege zum gleichen Ergebnis.
       
       Ein Mittwochabend Anfang Mai: Im Lichthof, dem riesigen Foyer des
       Außenministeriums, spielt Baerbock Fußball. Im August findet die
       Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland statt, die Außenministerin
       wird vor Ort sein und jetzt hat sie schon mal zu einer Vorab-Veranstaltung
       eingeladen. Mit Nachwuchsspielerinnen des SV Siemensstadt schießt sie auf
       ein Mini-Tor. Ihre drei Versuche gehen zwar drüber, aber es entstehen mal
       wieder gute Fotos. „Gute Haltung“, heißt es später auf Twitter.
       
       Vor den Schussübungen sitzt sie mit dem DFB-Präsidenten und der
       Nationaltrainerin auf dem Podium. Sie erzählt von ihrer Reise in den
       Nordirak, wo sie im März ebenfalls gekickt hat – mit Flüchtlingsmädchen auf
       einem Bolzplatz, der von Deutschland finanziert wurde. Das Projekt verkauft
       sie an diesem Abend als Standortmarketing für den deutschen Arbeitsmarkt:
       Wenn die irakischen Spielerinnen mal erwachsen seien und überlegten, als
       Fachkräfte in ein anderes Land zu gehen – dann dächten sie hoffentlich an
       Deutschland.
       
       Ähnlich argumentiert Baerbock auch bei anderen Themen. Ob es um die
       Leitlinien zur feministischen Außenpolitik geht oder um Menschenrechte in
       China: Immer findet sie eine Begründung, warum ihre Forderungen gut für die
       deutsche Wirtschaft seien. „Sie bringt Prinzipien und Pragmatismus nahtlos
       zusammen“, [6][schrieb US-Außenminister Antony Blinken im vergangenen Jahr
       im Time-Magazin über seine deutsche Kollegin].
       
       ## Werte und Interessen passen nicht immer zusammen
       
       Es gibt aber auch Fälle, in denen sich Werte und Interessen nicht so gut
       übereinanderlegen lassen. Da wird es mitunter auch für Baerbock schwierig.
       
       Ein Samstag im Oktober 2022: Baerbock steht auf der Bühne des
       Konferenzzentrums im Bonner Bundesviertel, wo die Grünen zum Parteitag
       zusammengekommen sind. Wenige Tage zuvor ist bekannt geworden, dass die
       Bundesregierung der Lieferung von Kampfjet-Teilen für Saudi-Arabien
       zugestimmt hat – trotz saudischer Völkerrechtsbrüche im Jemen-Krieg. Wie
       erklärt man das jetzt den Delegierten?
       
       Baerbocks Rechtfertigung: Eine Ablehnung hätte in Zukunft gemeinsame
       europäische Rüstungsprojekte erschwert. Die Bundeswehr müsste dann mehr
       Geld für ihre Waffen ausgeben und der Regierung blieben keine Mittel für
       die Kindergrundsicherung.
       
       Es ist eine sehr spezielle Art, zu sagen, dass Geld und gute Beziehungen
       manchmal doch wichtiger sind als Menschenrechte. Kräftigen Applaus gibt es
       nach der Rede zwar. Die Partei mag ihre Außenministerin. Abseits der Bühne
       bekommt Baerbock später aber mehr als einmal die Rückmeldung: Das war
       nichts.
       
       Zu der Zeit hat sie noch ein anderes Problem. In Iran sind kurz zuvor die
       Proteste gegen das dortige Regime angelaufen. Es dauert ein paar Tage, bis
       das Auswärtige Amt einen ersten Kommentar dazu absetzt. Zu spät und zu
       wenig, heißt es daraufhin von Aktivist*innen. Die feministische
       Außenministerin verschläft eine feministische Revolte: Man kann sich
       vorstellen, dass sie der Vorwurf getroffen hat.
       
       Ihr Plan, um in die Offensive zu kommen, ist eine Sondersitzung des
       UN-Menschenrechtsrats. Das Gremium in Genf soll eine Kommission einsetzen,
       die die Repressionen gegen die Opposition untersucht. Baerbocks
       Berater*innen in Berlin raten ihr fast einstimmig davon ab, persönlich
       zu der Sitzung zu reisen. Der Apparat befürchtet, dass die Resolution die
       Mehrheit ohnehin verfehlt. Er will nicht, dass die Ministerin zu sehr damit
       verbunden wird. Sie zieht aber durch.
       
       Ein Grüner, der früher mit der jungen Abgeordneten Baerbock im
       Wirtschaftsausschuss des Bundestags saß, erinnert sich an einen
       Charakterzug: „Wenn sie sich in einer Angelegenheit eine Meinung gebildet
       hat, dann war sie fundiert – und es brauchte schon sehr gute Argumente, um
       mit ihr darüber in die Diskussion gehen zu können.“
       
       Wer weniger wohlwollend über Baerbock denkt, empfindet diese Eigenschaft
       vielleicht als selbstgerecht. Wer sie mag, als selbstbewusst. Ihre Kühnheit
       hat ihr in ihrer Karriere auf jeden Fall oft geholfen, hat ihr innerhalb
       weniger Jahre den Aufstieg zum Parteivorsitz, die Kanzlerkandidatur und das
       Amt der Außenministerin eingebracht. Und sie hilft auch jetzt wieder:
       [7][Zusammen mit ihrer isländischen Amtskollegin kann sie 25 Staaten aus
       sechs Kontinenten von der Iran-Resolution überzeugen – eine Mehrheit im
       Menschenrechtsrat.]
       
       Kritik an Baerbocks Iran-Politik gibt es zwar immer noch. Der Vorwurf, sie
       mache zu wenig, hält sich. Seit der Abstimmung im November kann sie aber
       zumindest auf einen Erfolg verweisen.
       
       Gleichzeitig wirkt das Zustandekommen der Resolution dem Eindruck entgegen,
       die Außenministerin kenne nur den Angriffsmodus und sei zur klassischen
       Diplomatie nicht in der Lage. In ihrem Umfeld im Auswärtigen Amt stellt man
       ohnehin infrage, dass Baerbock international außergewöhnlich krawallig
       auftritt. „Die letzten Pressekonferenzen von Heiko Maas mit Lawrow oder den
       Chinesen waren auch sehr konfrontativ. Damals wurde das aber als Ergebnis
       der gegensätzlichen Positionen gewertet, nicht als sein persönlicher Stil“,
       sagt einer ihrer Vertrauten.
       
       Tatsächlich sind erstaunlicherweise noch nicht mal fundamentale
       Unterschiede zu erkennen, wenn man Baerbocks Antrittsbesuch in China mit
       dem des Bundeskanzlers vergleicht. Chinesische Markteingriffe, der Abbau
       wirtschaftlicher Abhängigkeiten, Pekings Einfluss auf Moskau, die
       Menschenrechtslage und der Streit um Taiwan: Beide sprechen all das an.
       Auch die Wortwahl unterscheidet sich nur graduell. Man kann ein schönes
       Quiz spielen, in dem man sich gegenseitig Sätze aus den jeweiligen
       Pressekonferenzen in Peking vorliest und dann raten lässt, wer was gesagt
       hat.
       
       „Ich habe deutlich gemacht, dass eine Veränderung des Status quo von Taiwan
       nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen darf.“
       
       „Eine einseitige und erst recht gewaltsame Änderung des Status quo wäre für
       uns als Europäer nicht akzeptabel.“
       
       (Antwort: oben Scholz, unten Baerbock)
       
       Überhaupt: Fundamental über Kreuz sind der Kanzler und die Außenministerin
       offenbar nicht mehr. Ihre Stile unterscheiden sich zwar voneinander, einige
       ihrer politischen Überzeugungen auch. Den Streit über das Tempo der
       Waffenhilfe für die Ukraine führten sie im letzten Jahr tatsächlich
       erbittert. Die Bundesregierung war außenpolitisch gespalten. [8][Die Zeit
       schrieb, dass die beiden über Wochen nicht richtig miteinander gesprochen
       hätten.]
       
       Seit das Thema Waffen aber durch ist und Deutschland sogar Kampfpanzer
       liefert, hat sich das Verhältnis beruhigt. Erkennbar bemühen sie sich
       jetzt, Differenzen nicht öffentlich auszutragen.
       
       „Unsere Rollen sind unterschiedlich und es ist ein Mehrwert, wenn man sich
       ergänzt. Im Zweifel kann man dadurch mehr erreichen“, sagt Baerbock dazu.
       Auf der Gegenseite muss man schon die Regierungsebene verlassen und sich
       durch die SPD-Bundestagsfraktion telefonieren, um Kritisches über die
       Außenministerin zu hören. Und selbst dort klingen die Vorhaltungen
       mittlerweile zahm.
       
       „Ich finde, dass im Auswärtigen Amt neben der militärischen Unterstützung
       für die Ukraine auch diplomatische Bemühungen eine größere Rolle spielen
       sollten“, sagt der SPD-Außenpolitiker Michael Müller zwar immer noch. „Aber
       über die letzten Monate hat sich etwas verändert. Die Ministerin hat den
       erhobenen Zeigefinger nicht mehr ganz so schnell oben und agiert nicht in
       Konkurrenz zum Kanzleramt. Offensichtlich ist mittlerweile die
       Rollenverteilung in der Regierung akzeptiert.“
       
       ## Image und Wirklichkeit
       
       Ist am Image der Klartext-Ministerin denn gar nichts mehr dran? Handelt es
       sich nur um eine kollektiv verzerrte Wahrnehmung? Ganz so ist es auch
       wieder nicht.
       
       Zurück in den Weltsaal des Außenministeriums, wo Baerbock ihren
       Botschafter*innen unter riesigen Kronleuchtern ihre Politik erklärt.
       Diplomatie im 21. Jahrhundert sei auch ein Kampf um Narrative, sagt sie.
       Und deswegen gehe es manchmal durchaus darum, hart dagegenzuhalten.
       
       Als Beispiel nennt sie die Diskussion um Lebensmittel aus der Ukraine und
       Russland, die kurz nach Kriegsbeginn aufflammte. Dass die
       Nahrungsmittelpreise auf dem Weltmarkt stiegen, sei die Schuld des Westens,
       behauptete Moskau damals. Neue Sanktionen verhinderten den Export
       russischen Getreides. International breitete sich diese Erzählung rasch
       aus.
       
       „Wenn wir das danach zurückholen wollen, dann braucht man im Zweifel auch
       eine harte Sprache“, sagt Baerbock in ihrer Rede. Je zugespitzter man
       formuliert, desto eher dringt man durch: Das russische Narrativ konterte
       sie, indem sie fortan von einem „Kornkrieg“ sprach, den Moskau durch die
       Blockade ukrainischer Häfen führe.
       
       Und wenn die Gegenseite dann ihrerseits eine Schippe drauflegt? „Ein
       Shitstorm bedeutet nicht nur, dass manche es anders sehen“, sagt die
       Außenministerin vor ihren Botschafter*innen. „Sondern er bedeutet auch,
       dass man gehört worden ist. Darauf kommt es in diesen Tagen an.“
       
       Es ist ein wenig wie im Flugzeug über dem Pazifik: Keine Angst vor
       Turbulenzen. Natürlich widerspricht das aber der klassischen Vorstellung
       von Diplomatie, die vorsichtig formuliert und die Form stets wahrt. Der
       Ansatz ist neu, und so ist es kein Wunder, dass er manche irritiert. Zumal
       wenn das Vertrauen fehlt, dass tatsächlich jede Zuspitzung wohlüberlegt
       ist.
       
       Mitte Februar, 90 Meter unter der Erde: In Helsinki besichtigt die
       Außenministerin einen Zivilschutzbunker, in dem im Notfall 6.000 Menschen
       Platz finden würden – gut geschützt sogar vor einem Angriff mit Atomwaffen.
       Ehrenamtliche zeigen ihr, wie sie in dem Fall den Eingang luftdicht
       versiegeln würden.
       
       Die Stimmung ist fröhlich. Baerbock ist gut darin, bei solchen Begegnungen
       eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Ihre Fragen wirken nicht bemüht,
       sondern zugewandt. Mit ihrer Art baut sie schnell eine Bindung: hier ein
       Scherz, da eine Anekdote, dort noch ein neuer Gedanke zum Thema – alles
       sehr schnell aufeinander. Manchmal aber auch zu schnell.
       
       Nach einer halben Stunde, als der Termin vorbei ist, sollen die
       Helfer*innen die Bunkertür wieder öffnen. „Unfortunately there was no
       attack“, sagt Baerbock. Es gab ja leider keinen Angriff.
       
       Zum Glück ist dieses Mal keine Kamera dabei. Anders als bei einigen anderen
       Anlässen, bei denen der Ministerin nicht nur ihr Hang zur Spontaneität in
       die Quere kam, sondern eben auch der zur Zuspitzung. Im Januar zum
       Beispiel, als sie in Straßburg im Europarat sagte: „We are fighting a war
       against Russia.“ Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland.
       
       Richtig einfangen konnte ihr Ministerium den Satz bis heute nicht. Erst
       Mitte Mai wurde Baerbock auf einer Pressekonferenz von einer chinesischen
       Journalistin schon wieder darauf angesprochen.
       
       „Das ist eine ihrer Schwächen: Dinge zu überhöhen und zu übertreiben“, sagt
       ein Grüner. Schon zu ihren Zeiten als Parteichefin galten ihre zuweilen
       steilen Sprüche intern als Schwachstelle. Sie ärgere sich hinterher
       fürchterlich über ihre Fehler, hieß es damals stets aus ihrer Pressestelle.
       Aus ihrem neuen Umfeld im Ministerium klingt sie jetzt genauso: „Sie hat
       sich über solche Sätze sehr geärgert. Aber sie will sie auch nicht um den
       Preis vermeiden, dass sie nur noch Phrasen vom Sprechzettel liest.“
       
       Vielleicht ist das auch ihr größtes Manko, falls sie noch mal nach der
       Kandidatur fürs Kanzleramt greift. Im Laufe des nächsten Jahres werden die
       Grünen voraussichtlich klären, wen sie 2025 ins Rennen schicken. Nach der
       verlorenen letzten Bundestagswahl schien klar, dass dann Robert Habeck an
       der Reihe ist. Baerbock hatte schließlich ihre Chance.
       
       Das Argument zählt immer noch. Mittlerweile hat sie sich im Amt aber neu
       profiliert, während das Regieren den einstigen Medienstar Habeck entzaubert
       hat. Auch nach dem Rauswurf seines Staatssekretärs Patrick Graichen steht
       er im Gegenwind. Bis die Entscheidung über die Kandidatur nächstes Jahr
       ansteht, kann sich die Geschichte zwar noch mehrmals wenden, für eine
       Prognose ist es zu früh. Aber als chancenlos gilt Baerbock heute nicht
       mehr.
       
       Zumal sie ihrem Konkurrenten eines noch immer voraus hat: Um die Partei
       bemüht sie sich stärker. Im vergangenen September, die mehrtägige Konferenz
       der Botschafter*innen im Ministerium läuft noch, klinkt sie sich für
       einen Abend aus. Die Bundestagsfraktion hat zu ihrem Jahresempfang geladen.
       Es ist ein lauer Spätsommerabend auf einem ehemaligen Bahnhofsgelände in
       Berlin-Pankow, hunderte Gäste sind da. Baerbock bleibt bis nach
       Mitternacht, nimmt sich Zeit für die eigenen Leute.
       
       Robert Habeck sitzt an dem Abend in der Talkshow von Sandra Maischberger.
       Die Moderatorin fragt, ob wegen der hohen Energiepreise eine Pleitewelle
       drohe. Habeck spricht minutenlang über Bäckereien, die nicht in die
       Insolvenz gehen müssten, nur weil sie keine Brötchen mehr verkaufen. Beim
       Fernsehpublikum weckt das mehr Zweifel als Vertrauen.
       
       Zumindest an diesem Abend hat nicht Baerbock das Porzellan zerschlagen.
       
       28 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Treffen-Baerbock-und-Lawrow/!5826151
 (DIR) [2] https://www.rnd.de/politik/precht-zieht-ueber-baerbock-her-was-fuer-ein-unfall-dass-diese-frau-aussenministerin-geworden-ist-TBMZ4G6EHNBOBAYZYQY3IQHVCU.html
 (DIR) [3] https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus245221170/Annalena-Baerbock-Man-koennte-auch-sagen-sie-agiert-wie-ein-wandelndes-Flugblatt.html
 (DIR) [4] /Annalena-Baerbock-ueber-Aussenpolitik/!5819421
 (DIR) [5] https://gppi.net/team/thorsten-benner
 (DIR) [6] https://time.com/collection/time100-next-2022/6213908/annalena-baerbock/
 (DIR) [7] /Beschluss-des-UN-Menschenrechtsrats/!5897799
 (DIR) [8] https://www.zeit.de/2023/07/panzer-lieferungen-annalena-baerbock-olaf-scholz-differenzen
       
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 (DIR) Annalena Baerbock auf den Fidschi-Inseln: Perfect Matsch
       
       Die deutsche Außenministerin hat sich mal wieder ohne Schuhe gezeigt. Manch
       einer fühlt sich auf die Füße getreten. Was ist da los?
       
 (DIR) Nach Baerbocks Diktator-Äußerung: China bestellt Botschafterin ein
       
       Außenministerin Baerbock bezeichnete Staatschef Xi Jinping als Diktator.
       China reagierte empört und bestellte die deutsche Botschafterin ein.
       
 (DIR) Annäherung von Iran und Saudi-Arabien: Sicherheit in der Golf-Region
       
       Iran und Saudi-Arabien normalisieren, wie angekündigt, ihre Beziehungen.
       Nach Jahren diplomatischer Verwerfung gab es nun einen Besuch.
       
 (DIR) Internationale Klimapolitik: Baerbock will Ziel für Erneuerbare
       
       Auf den Ausstieg aus den fossilen Energien kann sich die Welt bisher nicht
       einigen. Jetzt will die Außenministerin die Alternativen voranbringen.
       
 (DIR) Todesurteil für Deutschen in Iran: Baerbock in der Kritik
       
       In Iran steht die Hinrichtung eines Deutschiraners bevor. Seine Tochter
       wirft der Bundesregierung Untätigkeit vor. Auch aus der Opposition kommt
       Unmut.
       
 (DIR) G20-Treffen in Indien: Baerbock: „Stoppen Sie den Krieg“
       
       In Indien hat das Außenministertreffen der G20-Staaten begonnen. Das
       Gastgeberland steht zwischen Ost und West, und möchte weiter blockfrei
       bleiben.