# taz.de -- Preisgekrönte Buchhandlungen: Leseträume, leicht gemacht
       
       > Buchläden sind Inseln der Lesekultur. Drei von ihnen sind jüngst
       > ausgezeichnet worden. Was macht sie zu besonderen Orten?
       
 (IMG) Bild: „Die Kunden kennen uns. Wir kennen unsere Kunden.“ Sylvia Pyrlik in ihrer „Schatzinsel“
       
       Sylvia Pyrlik ist eine Frau der Worte, eigentlich. Sie erzählt von jungen
       Kunden, deren Großeltern bereits den Buchladen ihrer Familie besucht haben,
       sie scherzt mit der angereisten Fotografin herum, jedem ihrer Sätze hört
       man dabei ihre Brandenburger Herkunft an: „Soll ick mich hier janz lässig
       ans Regal lehnen?“ Doch als Pyrlik erklären soll, was eine inhabergeführte
       kleine Buchhandlung wie ihre auszeichnet, kommt erst mal eine knappe
       Antwort: „Na die Individualität, klar.“ Kurze Pause, dann führt sie doch
       noch aus, was sie damit meint: „Die Kunden kennen uns. Sie wissen, was sie
       hier erwartet. Genauso ist es andersherum: Wir kennen unsere Kunden. Wir
       wissen, der eine will dieses Buch, der andere möchte vielleicht heute mal
       in Ruhe gelassen werden. Das ist einfach so.“
       
       Pyrlik, 53 Jahre, Typ robuste Macherin, ist Inhaberin der [1][Buchhandlung
       Schatzinsel] in Bernau nahe Berlin. In dieser Form existiert das Geschäft
       seit 1993, seit zwölf Jahren ist der Laden in einem unauffälligen grauen
       Haus in der Altstadt beheimatet. Pyrlik kommt aus einer Buchhändlerfamilie,
       ihre Mutter war zu DDR-Zeiten Chefin der Volksbuchhandlung in Bernau.
       
       Die Schatzinsel, benannt nach Robert Louis Stevensons Abenteuerroman aus
       dem 19. Jahrhundert, zählt seit Kurzem zu den ganz besonderen Buchläden des
       Landes: Ende Oktober wurde Pyrliks Geschäft mit dem Hauptpreis des
       [2][Deutschen Buchhandlungspreises] ausgezeichnet. 435 Buchhandlungen
       hatten sich beworben, 118 wurden ausgezeichnet, drei von ihnen wurden zu
       den „besten Buchhandlungen“ gekürt. Neben der Schatzinsel waren dies die
       Buchhandlung Friedrich Schaumburg in Stade und Logbuch in Bremen. 25.000
       Euro erhielt jeder Gewinner.
       
       Zuallererst bedeutet die Auszeichnung für Sylvia Pyrlik „eine riesengroße
       Anerkennung“. Den „besten, schönsten, genialsten, größten, fantastischsten
       und wertschätzendsten Preis“ ihrer Buchhändlerinnenlaufbahn nennt sie ihn
       später in einer Mail. An zweiter Stelle steht für sie der finanzielle
       Spielraum, der durch das Preisgeld entsteht: „Jetzt können wir vielleicht
       auch mal Projekte verwirklichen, die wir schon lange im Kopf hatten. Unser
       größter Traum ist es, eine kleine mobile Buchhandlung zu gründen. Ein Auto
       mit ein paar Regalen drin, mit einem kleinen, ausgewählten Sortiment. Mit
       dem fährt man dann durch die Dörfer.“ Diesem Traum seien sie nun ein Stück
       näher gekommen.
       
       Die Schatzinsel ist ein gutes Beispiel für die unabhängigen Buchhandlungen
       in Deutschland, die bislang der Krise – Einzahl – oder den Krisen –
       Mehrzahl – trotzen. Die Inhaberinnen und Inhaber der kleinen Läden haben
       gute Rezepte gegen die Flaute: Einfallsreichtum, Originalität,
       Gestaltungswille. Die Geschäfte sind ein Treffpunkt, die Räume oft
       sichtlich liebevoll eingerichtet. Ein Laden wie der von Pyrlik, 74
       Quadratmeter groß, sorgt für Wohnzimmerfeeling, stöberfreundlich ist er
       zudem: Neben „normalen“ Büchern gibt es Sondereditionen und man kann
       lokales Craft Beer kaufen. In jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken.
       
       Um es aber in die Top drei der deutschen Buchhandlungen zu schaffen,
       braucht es mehr. Einzigartige Ideen zum Beispiel. In der frühen Coronazeit
       rief die Belegschaft der Schatzinsel Schaufensterlesungen ins Leben: Pyrlik
       oder eine ihrer Mitarbeiterinnen – sie hat vier Angestellte – sitzen dabei
       im Schaufenster und lesen, die Lesung wird über Lautsprecher nach draußen
       übertragen. Zuvor hatte die Schatzinsel bereits TaschenBuchModenschauen
       veranstaltet – besonders schöne Taschen und Bücher wurden vorgeführt.
       Während der Coronaschließzeiten hatten viele Buchläden bundesweit
       Bücherfenster oder -bringdienste eingerichtet. So geht Krisenservice.
       
       Dass diese Geschäfte ein schützenswertes Kulturgut sind, hat man in
       Deutschland begriffen. Nicht zuletzt deshalb gibt es seit 2015 den
       Deutschen Buchhandlungspreis, für den sich nur Läden mit einem Jahresumsatz
       unter einer Million Euro bewerben dürfen. Insgesamt 850.000 Euro verwendet
       die Beauftragte der Bundesregierung für die Auszeichnungen, es gibt Preise
       in drei Kategorien (in diesem Jahr aufgeteilt auf hundert „hervorragende
       Buchhandlungen“, 7.000 Euro, fünf „besonders herausragende Buchhandlungen“,
       15.000 Euro und drei „beste Buchhandlungen“, 25.000 Euro).
       
       Kulturstaatsministerin [3][Claudia Roth] (Grüne) sagte der taz:
       „Buchhandlungen sind quasi literarische Sammlungen, die Buchhändler und
       Buchhändlerinnen für uns mit Hingabe, Leidenschaft und Ideenreichtum
       kuratieren.“ Als Roth Ende Oktober im Augsburger Rathaus den Preis
       überreicht hat, habe sie das „Herzblut bei jeder einzelnen Person im
       Goldenen Saal spüren“ können. Mit dem Preis, so Roth weiter, wolle man auch
       ein Zeichen setzen: „Wir wissen um die Arbeit und um die schweren
       Bedingungen, mit denen Buchhandlungen zu kämpfen haben. Ich setze mich
       daher als Staatsministerin innerhalb der Bundesregierung dafür ein, dass
       diese Branche gesehen und nicht übersehen wird.“
       
       ## Die Preisregulierung hilft
       
       Dabei gibt es bereits einige Besonderheiten des Buchmarkts in Deutschland,
       die den Kleinen zugute kommen. Die Preisregulierung zum Beispiel. Die
       Buchpreisbindung sorgt dafür, dass die kleinen Läden neben den großen
       Ketten wie Thalia, Hugendubel und Weltbild (die führenden Unternehmen)
       sowie dem Onlinelieferriesen und Marktführer Amazon überhaupt bestehen
       können. Eine gute Lieferinfrastruktur kommt dazu.
       
       Wobei sich die Krisenzeiten auch hier auswirken: Die Buchhändler:innen
       kritisieren insbesondere den Großhändler [4][Zeitfracht], Nachfolger des
       ehemals größten Lieferanten Koch, Neff & Volckmar (KNV). Die Hauptvorwürfe:
       Unzuverlässigkeit, Probleme bei der Kontaktaufnahme, unzureichende
       Lieferbarkeit.
       
       Insgesamt ist der Buchhandel gut durch die Coronakrise gekommen, in den
       Jahren 2020 und 2021 gab es jeweils sogar Umsatzsteigerungen auf dem
       gesamten Markt. Doch es zeigen sich auch negative Tendenzen: Zwischen
       Januar bis September dieses Jahres ging der Umsatz der Branche im
       Einzelhandel um 21 Prozent zurück. Die Sortimentsbuchhandlungen à la
       Schatzinsel haben mit 39,1 Prozent immer noch den größten Anteil am
       gesamten Branchenumsatz, doch dieser Wert sinkt – 2019 waren es noch 46
       Prozent. Und nun kommen für die kleinen Läden auch noch Lieferengpässe beim
       Papier, die Inflation und massiv steigende Nebenkosten dazu.
       
       Der [5][Börsenverein des Deutschen Buchhandels] forderte deshalb bereits
       Entlastungsmaßnahmen für Buchhändlerinnen und Buchhändler: „Unsere Branche
       hat sich als widerstandsfähig erwiesen, aber sie erwartet in diesem Jahr
       ein frostiger Winter“, sagte Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff im
       Oktober. „Wir erwarten kurzfristig Entlastungspakete, die den Verlagen und
       Buchhandlungen helfen, die Auswirkungen der Kostensteigerungen
       einzudämmen.“
       
       ## Besuch im Bremer „Logbuch“
       
       Selbst in einer beschaulichen Straße im Bremer Stadtteil Walle, wo Axel und
       Sabine Stiehler durch ihre ebenfalls prämierte [6][Buchhandlung Logbuch]
       führen, gibt es leise Befürchtungen die Zukunft betreffend. „Durch die
       Coronakrise sind wir gut gekommen, die Kunden sind näher an den Laden
       herangerückt und haben weiter bei uns eingekauft. Der Eindruck war, dass
       die Leute uns ganz bewusst unterstützen, weil sie in ihrem Viertel weiter
       einen schönen Laden haben wollen“, sagt Axel Stiehler zwar. Aber er ergänzt
       auch: „Wenn es eine dauerhafte Krise gibt, könnte das auch uns betreffen.
       Beschreien will ich es natürlich nicht.“ Die Sorge teilt auch seine Frau
       Sabine Stiehler: „Ich frage mich schon, was mit den Nebenkosten auf uns
       zukommt und ob wir das Gehalt unserer Angestellten bezahlen können. Das
       muss ja auch alles irgendwie erwirtschaftet werden.“
       
       Die Stiehlers betreiben die Buchhandlung Logbuch gemeinsam, gegründet haben
       sie den Laden vor zehn Jahren. Um das Pensum zu bewältigen, beschäftigen
       die beiden drei angestellte Kolleg:innen und zwei Aushilfen. Sabine ist
       gelernte Buchhändlerin und Schriftsetzerin und in Bremen aufgewachsen, Axel
       ist Drucker und Grafikdesigner und in Ostfriesland groß geworden. Eine
       eigene Buchhandlung, selbst eingerichtet, mit eigens entworfenem Mobiliar,
       „nicht so piefig“, wie Axel sagt, sei den beiden schon länger durch den
       Hinterkopf geschwirrt. „Und als wir Mitte 40 waren, haben wir dann den
       Laden gegründet. Das war ein lang gehegter Wunschtraum von uns, und wir
       dachten: Wenn wir es jetzt nicht machen, machen wir es nie“, sagt er.
       
       Auch Logbuch steht nachgerade idealtypisch für den kleinen,
       inhabergeführten Buchladen. Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf
       Illustrationen und Graphic Novels, im Laden finden regelmäßig
       Werkstattgespräche zum grafischen Erzählen mit Künstler:innen statt. Die
       Gestaltung der Bücher spielt auch bei den eigenen Druckerzeugnissen eine
       große Rolle: Logbuch gibt unter dem Titel „Am Meer“ ein eigenes
       Kundenmagazin heraus, zudem gibt es eine Heftreihe mit illustrierten
       Erzählungen („Logbuch-Verlag-Hefte“).
       
       Axel kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen, Social Media
       und das Design, das Sortiment wählt hingegen Sabine aus: Belletristik,
       Krimis, Kinderbücher, Papierwaren, Postkarten, vieles mehr. „Natürlich
       haben wir auch mal Titel aus der Spiegel-Bestenliste dazwischen, aber man
       wird bei uns keine Stapelware wie bei Thalia finden“, sagt Axel.
       
       Axel Stiehler glaubt, dass mit dem Buchhandlungspreis auch Beharrlichkeit
       und Durchhaltevermögen belohnt wird. „Ich denke, Kontinuität ist ein
       wichtiges Kriterium. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren schon
       ungefähr 150 Veranstaltungen gemacht. Wir setzen dabei auf exponierte
       Sachen. Wir holen nicht nur deshalb jemanden zu uns, weil er populär ist
       und wir wissen, dass die Bude bei dem voll wird.“ Die eigene Akzentuierung,
       das originäre Programm, all das sei wichtig. Dank des 25.000-Euro-Preises
       könnten sie jetzt neue Events planen. „Wir müssen ja auch sehen, dass wir
       nicht nachlassen, dass wir weiter gute Veranstaltungen anbieten. Das kostet
       viel Energie, und das kostet auch Geld.“
       
       ## Tradition verpflichtet: Die Buchhandlung Schaumburg
       
       Rund siebzig Kilometer nordöstlich von Bremen-Walle befindet sich in der
       Stader Altstadt die [7][Buchhandlung Friedrich Schaumburg]. Der Laden ist
       in einem alten Fachwerkhaus beheimatet, er ist eines der ältesten Geschäfte
       Stades, existiert bereits seit 1840. Noch heute stammt einiges Mobiliar im
       Geschäft aus dem 19. Jahrhundert. Seit 1994 führt Heide Koller-Duwe
       gemeinsam mit ihrem Mann Sebastian Duwe den Laden, ihr Großvater begann
       1893 in der Buchhandlung Friedrich Schaumburg zu arbeiten und übernahmen
       den Laden im Jahr 1902, also vor 120 Jahren. Eine Bücher-Dynastie, die
       fortgeführt wird.
       
       Heide Koller-Duwe und Sebastian Duwe tauchen an einem Mittwochmorgen Ende
       November auf dem Laptop-Screen auf, sie stehen in ihrer Buchhandlung vor
       der Kamera, hinter ihnen sieht man zwei Illustrationen an der Wand hängen.
       Bilder aus der aktuellen Ausstellung mit Werken des Grafikers und
       Illustrators Klaus Ensikat, wie Koller-Duwe berichtet. „Mit den
       Ausstellungen wollen wir einfach zeigen, was das Objekt Buch leisten kann,
       was es im Gegensatz zu anderen Medien auszeichnet. Wir stellen nicht nur
       Illustrationen aus, auch Pop-up-Bücher zum Beispiel und wir hatten eine
       großartige Ausstellung zu Graphic Novels.“
       
       Wie umtriebig die Betreiber:innen sind, sieht man auch an anderen
       Formaten: Die im Jahr 2000 ins Leben gerufene Reihe
       „Schaumburg-Variationen“ zählt bis heute etwa 370 Veranstaltungen, zweimal
       im Jahr gibt es überdies ein literarisches Frühstück, und seit 14 Jahren
       das „Fest der Debütanten“. Samstags finden Veranstaltungen für Kinder statt
       und während der Coronazeit produzierte das insgesamt siebenköpfige Team
       einen Video-Adventskalender.
       
       Für Heide Koller-Duwe setzt der Deutsche Buchhandlungspreis ein besonderes
       Zeichen: Er zeige, dass Buchläden keine Geschäfte sind – oder besser: keine
       Geschäfte im herkömmlichen Sinne. „Wir sind ein Ort der Kultur. Durch den
       Preis können wir uns auch als ein solcher ausweisen. In der Stadt und von
       den Behörden werden wir ja erst mal wie ein ganz normaler Laden
       wahrgenommen, nicht als Kulturort.“
       
       Die Standardfrage, was sie mit dem Geld machen, beantwortet Sebastian Duwe
       zunächst hanseatisch pflichtbewusst. „Zuerst wird ein Teil davon
       versteuert.“ Von dem übrigen Geld finanziere man die laufende
       Veranstaltungsreihe, und einen noch nicht realisierten Wunsch hat man in
       der Hansestadt an der Unterelbe auch: „Wir wollen schon lange einen
       Geschichtspfad in der Buchhandlung einrichten, um aus der Historie des
       Ladens zu erzählen. Wir haben ja noch Originaldokumente aus den 1840er
       Jahren, zum Beispiel Lieferscheine. Die könnte man dann gut ausstellen“,
       sagt Heide Koller-Duwe.
       
       ## Der Mensch lebt nicht vom Buch allein
       
       In Bernau bei Berlin verlassen an diesem Nachmittag Mitte November zwei
       pubertierende Mädchen, eines mit Kopftuch, das andere mit gefärbten Haaren,
       den Laden, ein mittelalter Mann mit Brille tritt ein. Ruhe gibt es wenig im
       Moment für Sylvia Pyrlik. Das Kundenaufkommen ist seit der Auszeichnung in
       der Schatzinsel noch mal etwas angestiegen. Ein Erfolgsrezept sieht die
       Betreiberin auch in der Beratungskompetenz. „Von der Belletristik haben ich
       meine Mitarbeiterinnen mindestens 60 Prozent der Bücher gelesen“, sagt sie,
       „bei den Kinderbüchern eher mehr, 80 Prozent vielleicht. Ich glaube, das
       kann nicht jeder Buchhändler von sich behaupten.“ Auch so erklärt sie sich,
       dass die Schatzinsel mit einem Umsatz zwischen 400.000 und 500.000 Euro im
       Jahr gut dasteht.
       
       Denn bei aller Liebe zum Buch, der Laden muss nun mal auch das Auskommen
       sichern. „Es funktioniert ja nicht zu sagen: Ich bin Buchhändlerin und
       ernähre mich nur von Lesen, Luft und Liebe. So soll es ja auch gar nicht
       sein.“
       
       Das Buch aber, es erweist sich bislang als erstaunlich krisenresistent.
       Oder, Sylvia Pyrlik? „Ich hoffe es. Bislang ja, zumindest in meinem Laden.
       Und ich werde auch alles dafür tun, dass es so bleibt.“
       
       15 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] https://www.deutscher-buchhandlungspreis.de/
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