# taz.de -- Außenministerin Baerbock in Kasachstan: Gratwanderung in Zentralasien
       
       > Kasachstan setzt sich sanft von Russland ab. Der Westen will die Chance
       > nutzen und eine Energiekooperation eingehen – aber nicht um jeden Preis.
       
 (IMG) Bild: Annalena Baerbock begrüßt auf ihrer Reise Ausbn Mukhtar Tleuberdi, Außenminister der Republik Kasachstan
       
       Astana taz | Die Basis für Menschenrechtsarbeit befindet sich im 14. Stock
       eines in die Jahre gekommen Plattenbaus. Mitten im Zentrum der kasachischen
       Hauptstadt Astana, an einer viel befahrenen Hauptstraße. Dort oben treffen
       sich Aktivist:innen, Menschen, die sich um die gesellschaftliche Lage in
       ihrem Land sorgen. Sie kümmern sich um Journalist:innen, beobachten die
       Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen am 20. November, wollen
       Frauenrechte stärken. Drei von ihnen warten an diesem Tag auf die deutsche
       Außenministerin Annalena Baerbock.
       
       Wer in das Gebäude will, muss an einem Mini-Supermarkt vorbei, einem
       Matratzenladen, einem kleinen Cafe. Es riecht eigentümlich nach einer
       Mischung aus scharfem Putzmittel und verbrannten Reifen. Oben angekommen,
       wirken die bunt bemalten Wände des Flurs eher wie ein abgehalfteter
       Jugendclub als ein Menschenrechtszentrum.
       
       Der Raum für das Treffen mit der Außenministerin ist karg eingerichtet: ein
       paar Klappstühle, ein Flipchart, ein Schränkchen für Tassen und die
       Kaffeemaschine. Über eine Stunde sitzt Baerbock dort mit den drei
       Aktivist:innen und tut das, was sie vor Beginn ihrer Reise angekündigt
       hat: zuhören.
       
       Die Grünen-Politikerin besucht zum ersten Mal [1][Kasachstan]. Ein Amnesty
       International Report zu den zentralasiatischen Land bescheinigt dem Staat
       eher eine durchschnittlich bis schlechte Lage, was die Einhaltung von
       Grund- und Menschenrechten angeht. Eingeschränkte Versammlungs- und
       Meinungsfreiheit, Repressionen gegen Regimekritiker:innen, Stigmatisierung
       von LGBTIQ-Personen, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Die
       Liste der Verwerfungen ist lang. Nach den [2][Ausschreitungen im Januar
       dieses Jahres] kam es zu Festnahmen, es gibt Berichte über Folter und
       [3][Gewalt gegen die Demonstrant:innen.] Die Regierung Kasachstans
       verspricht Aufklärung. Doch die lässt auf sich warten.
       
       ## Kasachstan kritisiert Putin nicht, unterstützt aber auch nicht
       
       Baerbock will ihr Credo [4][einer wertegeleiteten Außenpolitik] hier
       setzen. Und sie will die deutschen, die europäischen,
       Wirtschaftsbeziehungen mit dem zentralasiatischen Land stärken. Der
       Zeitpunkt ihrer Reise ist gut gewählt. Seit Beginn des russischen
       Angriffskriegs auf die Ukraine verschieben sich [5][historisch gewachsene
       Verbindungen] weltweit. In Zentralasien ist es Kasachstan, das den Kurs
       Putins zwar nicht ausdrücklich kritisiert, aber auch nicht unterstützt.
       
       Offensichtlich wurde diese Haltung beim Internationalen Wirtschaftsforum im
       Juni in St. Petersburg. Präsident Kassym-Schomart Tokajew kündigte dort an,
       dass Kasachstan die ostukrainischen Separatistenrepubliken Donezk und
       Luhansk nicht als selbstständige Staaten anerkennen werde. Auch bei der
       [6][UN-Vollversammlung im März], die mit großer Mehrheit den russischen
       Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilte, setzte Kasachstan ein Zeichen.
       Das zentralasiatische Land enthielt sich bei der Abstimmung über diese
       „historische“ Resolution, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres sie
       nannte.
       
       Und das, obwohl die Abhängigkeiten von Russland groß sind. Kasachstan ist
       Mitglied in der von Moskau geführten Organisation des Vertrags über
       Kollektive Sicherheit. Als es im Januar zu Demonstrationen und
       Ausschreitungen im Land kam, rief Kasachstan auch Russland zu Hilfe.
       
       Die gemeinsame Grenze beider Staaten ist über 7.600 km lang. Im Zuge der
       Teilmobilisierung in Russland flohen rund 200.000 Russ:innen nach
       Kasachstan. Hinzu kommen etliche wirtschaftliche Verbindungen. Es geht um
       Rohstoffe, um Öl, um Gas, um gemeinsame Transportwege.
       
       ## Wirtschaftliche Interessen und Rechtsstaatlichkeit
       
       Noch kurze Zeit vor dem Treffen mit den Menschenrechtsaktivist:innen
       war die deutsche Außenministerin Baerbock in einer anderen Welt. Ihr
       kasachischer Kollege Muchtar Tleuberdi empfing sie im herrschaftlichen
       Palast des Außenministerium. Vergoldete Treppengeländer, Marmorsäulen im
       Empfangsraum, ein echter Staatsempfang eben.
       
       Baerbocks Angebot an Tleuberdi: faire, verbindliche Wirtschaftsbeziehungen.
       Auf Augenhöhe, wie die deutsche Außenministerin es nennt, sollen diese
       laufen. Für Baerbock gehen wirtschaftliche Interessen und
       Rechtsstaatlichkeit, die Einhaltung von Menschenrechten zusammen. Nur wenn
       es die Sicherheit gebe, dass diese Regeln auch eingehalten würden, könnten
       auch wirtschaftliche Beziehungen gelingen, betont sie. „Nachhaltiger
       Wohlstand entsteht nur dort, wo die Rechte der Menschen gewahrt und
       geschützt sind.“ Es sind Sätze wie diese, die nachhallen sollen. Nicht nur
       in Kasachstan.
       
       Baerbock lobt öffentlich die Haltung der kasachischen Regierung gegenüber
       Russland und sagt ihre Unterstützung zu. Vermutlich zieht Amtskollege
       Tleuberdi nicht ganz dieselben Schlüsse. Nach dem Treffen mit seiner
       Kollegin Baerbock erwähnt er den [7][russischen Angriffskrieg] kein
       einziges Mal bei einer offiziellen Pressebegegnung. Stattdessen schwärmt er
       über die neue geplante Zusammenarbeit zu grünem Wasserstoff am Kaspischen
       Meer. Kern dabei ist die EU-Initiative Global Gateway. Bis zu 300
       Milliarden Euro sollen über die EU in die Infrastruktur von Schwellen- und
       Entwicklungsländern fließen.
       
       Auch EU-Ratspräsident Charles Michel war vor kurzem erst in Astana, um für
       das Projekt zu werben. Baerbock bestärkt nun das Vorhaben und bringt als
       Beweis gleich eine zehnköpfige Wirtschaftsdelegation mit nach Kasachstan,
       die den Deal vorantreiben soll. Gelingt die Zusammenarbeit, könnte dies
       nicht nur die Bindung Zentralasiens an den Westen stärken, sondern auch
       [8][Chinas Pläne für eine „Neue Seidenstraße“] ausbooten.
       
       Seit 30 Jahren bestehen die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden
       Ländern. Baerbock spricht bei ihrem Antrittsbesuch in Astana zarten
       Klartext. Die deutsche Außenministerin weist auf Reformen hin, die
       angegangen werden müssen. Aber viel länger spricht sie über ein
       Wasserstoffbüro, das bald eröffnet werden könnte, vom großen Potenzial für
       Wind- und Sonnenenergie. Ein Windpark – so groß wie Brandenburg, Baerbocks
       Heimatbundesland, soll entwickelt werden. Von einem deutschen Unternehmen.
       Kasachische Unternehmer:innen und deutsche Investor:innen sind
       also zuversichtlich, dass sie irgendwie zusammenkommen.
       
       Im 14. Stock des Plattenbaus unweit des kasachischen Außenministeriums sind
       weder Windparks noch Milliardeninvestitionen Thema. Den
       Menschenrechtsaktivist:innen geht es darum, wie junge Menschen
       geschützt werden können, eine Perspektive haben in Kasachstan. Und
       überhaupt darum, wie es weitergehen kann. Baerbock hört ihnen zu. Und eilt
       dann zum nächsten Termin.
       
       1 Nov 2022
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tanja Tricarico
       
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