# taz.de -- Außenministerin in Zentralasien: Baerbock auf Integrationsreise
       
       > In Zentralasien will die Außenministerin klarmachen, dass es
       > wirtschaftlich Alternativen neben China und Russland gibt. Doch viele
       > Menschen wollen nur weg.
       
 (IMG) Bild: Schülerinnen der Schule Nr. 60 im usbekischen Taschkent während des besuchs von Annalena Baerbock
       
       Astana, Taschkent und Samarkand taz | Auf den ersten Blick wirkt der Termin
       in der Schule Nummer 60 im usbekischen Taschkent wie der einer
       Lokalpolitikerin: Die [1][Grüne Annalena Baerbock] besichtigt die
       Solaranlage einer Schule und spricht mit ein paar Schüler:innen. Doch geht
       es nach Baerbock soll genau dieser Termin wie kaum ein anderer ihre Agenda
       zeigen: Klima- und Außenwirtschaftspolitik, Mädchen- und Frauenförderung,
       hören und verstehen, was in den Ländern passiert, neue Allianzen schmieden.
       
       Am Eingang der Schule stehen Jungen und Mädchen Spalier, wedeln mit
       Fähnchen in den Flaggenfarben von Usbekistan und Deutschland. Die deutsche
       Außenministerin soll sich schließlich willkommen fühlen in ihrer Schule.
       Deutsch ist neben Russisch die Hauptfremdsprache, die die Schüler:innen
       lernen. Der Flur im ersten Stockwerk ist mit den Silhouetten der
       Sehenswürdigkeiten großer deutscher Städte bemalt: Berlin, Leipzig,
       Stuttgart, Duisburg. Bei Düsseldorf fehlen die beiden Punkte über dem „ü“.
       Die Eingänge zu den Klassenzimmern sind auf Deutsch beschriftet, Sprüche
       von Albert Einstein zieren die Wände in den Räumen.
       
       ## Baerbock verabredet sich zum Tanz
       
       Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die geopolitische
       Weltordnung durcheinander gewirbelt, der Wettlauf um Ressourcen und deren
       Vermarktung hat sich verschärft. Stürme, Fluten, Hitzewellen zeigen, dass
       die Klimakrise Lebensräume bedroht. Wo ansetzen, um alle Probleme
       gleichzeitig anzugehen? [2][Baerbock zieht es nach Zentralasien.] In
       Kasachstan und Usbekistan stärkt sie wirtschaftliche Beziehungen, um
       Energieversorgung in beiden Staaten klimafreundlich zu machen. Und sie will
       zeigen: Neben China und Russland hat Deutschland, hat die EU, ein
       ernsthaftes Angebot zu machen.
       
       Finanziert von der Bundesregierung hat sich die Schule in Taschkent einen
       Solarkoffer gekauft. Die Paneele sind auf dem Dach angebracht, die Kinder
       sollen lernen, wie aus Sonnenlicht elektrischer Strom entsteht und wie der
       für die Schule genutzt werden kann. In ihrer Rede bedankt sich Baerbock.
       Und sie spannt den globalen Bogen: Auch die kleine Solaranlage auf dem Dach
       der Schule Nummer 60 im [3][usbekischen Taschkent] leistet ihren Beitrag
       zur Weltklimakonferenz kommende Woche in Ägypten. „Wenn alle Schulen und
       alle Politiker:innen auf der Welt ein solches Projekt voranbringen,
       dann können wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen.“
       
       Überraschend für die Schüler:innen, die ihr brav zuhören, die Presse, die
       Wirtschaftsdelegation, die Baerbock begleitet, ist was sie dann tut: Zwei
       Mädchen in rotseidenen mit Gold-Bordüren bestickten Gewändern und ihre
       Freundin Aziza holt sie auf die Bühne der Schulaula. Es gehe bei solchen
       Veranstaltungen immer viel zu viel um die Erwachsenen, sagt Baerbock.
       Deshalb fragt sie die beiden über ihre Kleidung aus, eine traditionelle
       Tracht. Und verabredet sich mit den Mädchen zu einem Tanz.
       
       ## Es gibt nicht viel Arbeit in Usbekistan
       
       Aziza geht in die 10. Klasse. Die 16-Jährige wirkt streng in ihrer weißen
       Bluse, dem schwarzen Buntfaltenrock, der schwarzen dicken Brille. Es sei
       sehr wichtig viel zu lernen, man brauche eine gute Ausbildung, sagt sie.
       Aber auch: Es gibt nicht viel Arbeit in Usbekistan, vor allem nicht für
       junge Leute wie sie.
       
       Das bestätigt auch die Leiterin des Goethe-Instituts in Taschkent, Maren
       Niemeyer. Usbekistan ist ein junges Land, 1991 erklärte es seine
       Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Vor allem in den ländlichen Gebieten
       ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Etliche wollen zum Studieren vor allem
       von Naturwissenschaften oder Medizin, oder zum Arbeiten raus aus
       Usbekistan. „Deutschland ist Hoch im Kurs“, sagt Niemeyer. Allein das
       Goethe-Institut hat jedes Jahr 4.000 neue Teilnehmer:innen für
       Deutschkurse, über 400.000 Menschen lernen Deutsch.
       
       Deutschland gilt als der wichtigste Wirtschaftspartner Usbekistans in
       Europa. Ein Prestige-Projekt ist die Almalyk-Bergbauanlage unweit von
       Taschkent. 90 Prozent des Silbers des Landes werden dort gefördert sowie
       rund 20 Prozent des Goldes. Und die Anlage ist der größte Kupferproduzent
       auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Derzeit ist sie noch zu 100
       Prozent in staatlicher Hand, im Gespräch ist eine Privatisierung von 20
       Prozent. Rund 35.000 Menschen beschäftigt das Unternehmen in ganz
       Usbekistan. Deutsche Firmen sind dort als Zulieferer tätig oder bieten
       Ingenieurleistungen an.
       
       ## Ein usbekisches Lützerath kann sich keiner vorstellen
       
       4,2 Kilometer Länge, 1,7 Kilometer breit, bis zu 600 Meter tief. Der
       Tagebau Kalmakyr – ein Teil der Anlage – ist jetzt schon imposant. Und die
       Mine soll weiter wachsen. Als Baerbock mit der [4][Wirtschaftsdelegation
       den Tagebau] besucht, hat sie die lukrativen Geschäfte für die Firmen im
       Blick. Aber sie fragt auch nach Umweltstandards, Bedingungen für die
       Arbeiter:innen, nach Besitzverhältnissen. Wenn die Mine expandiert, was
       passiert mit den umliegenden Dörfern? Die Antworten seitens der
       Geschäftsführung sind erwartbar zurückhaltend. Man betont die
       Zertifizierung nach EU-Standards, was Umweltvorgaben angeht. Mehr aber auch
       nicht.
       
       Auf die Frage aus der Presse, ob er sich vorstellen kann, dass Menschen
       protestieren, wenn ihre Dörfer zugunsten der Mine zerstört werden,
       schüttelt Außenminister Wladimir Norow nur ungläubig den Kopf. Ein
       usbekisches Lützerath kann sich hier keiner vorstellen. RWE will das
       [5][Dorf in Nordrhein-Westfalen abreißen], um den Tagebau Garzweiler
       auszudehnen. [6][Lützerath ist deshalb seit vielen Monaten von
       Aktivist:innen besetzt]. Gewerkschaften oder
       Arbeitnehmer:innenbeteiligung gibt es in Usbekistan kaum oder gar
       nicht, das Versammlungsrecht ist eingeschränkt.
       
       Wandel durch Handel, aber mit Regeln. So lautet Baerbocks Credo.
       Menschenrechte, Arbeitsschutz, Klimaschutzstandards – ohne sie gibt es
       keine wirtschaftliche Kooperation. Für Baerbock ist ihr Ansatz auch
       Sicherheitspolitik: Weniger Abhängigkeit von China und Russland bei
       Bodenschätzen und in der Energieversorgung durch mehr Zusammenarbeit mit
       Usbekistan und Kasachstan. „Wir brauchen in Europa Rohstoffe, sonst können
       wir die Energiewende nicht gestalten“, sagt Baerbock. Aber: „Wenn sich
       Europa stärker engagiert, darf es gleichzeitig nicht in neue Abhängigkeiten
       geraten.“ Bisher war das Interesse an Zentralasien eher gering. Andere
       hätten bereits investiert, sagt die deutsche Außenministerin. Einen
       schnellen Einstieg wird es aber nicht geben, ihr geht es um
       Langfristigkeit.
       
       ## Usbekistan ist patriarchal geprägt
       
       Gerade in Usbekistan sind die Vorkommen an Gold, Silber, Kupfer, seltenen
       Metallen, Erdgas und Uran groß. Noch größer sind die Fragen, wenn es um
       Umweltauflagen, Frauenrechte, Versammlungsrechte, Pressefreiheit oder den
       Kampf gegen Kinderarbeit und Korruption geht.
       
       Das zentralasiatische Land ist patriarchal geprägt, ein Großteil der Frauen
       macht keine Ausbildung. Auch Baumwolle gehört zu einem der wichtigsten
       Exportgüter und zunehmend auch deren Weiterverarbeitung. Zwangs- und
       Kinderarbeit auf den Feldern sorgten in den vergangenen Jahren für
       Schlagzeilen. Seit knapp zehn Jahren kooperiert Usbekistan mit der
       Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), seit 2018 gibt es Kontrollen.
       Man bekräftigt bei Baerbocks Besuch auf allen Seiten, dass Reformen ernst
       genommen werden. „Ihr Land hat Fortschritte gemacht“, bescheinigt die
       deutsche Außenministerin ihrem usbekischen Amtskollegen Norow.
       „Verlässliche Regeln sind auch der beste Investitionsschutz für
       Unternehmen.“
       
       Usbekistan gilt als eines der ärmsten Länder der ehemaligen Sowjetunion.
       Offiziellen Angaben zufolge zog es rund 1,8 Millionen Usbek:innen allein
       nach Russland, um dort zu arbeiten. Die Schülerin Aziza will lieber heute
       als morgen weg aus Taschkent. Studieren will sie in Deutschland, am
       liebsten Lehrerin werden, oder Übersetzerin, oder auch was mit Politik
       machen. Warten bis sich in ihrer Heimat eine Perspektive auftut, will Aziza
       nicht.
       
       4 Nov 2022
       
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