# taz.de -- Kochen in der Energiekrise: Deckel drauf
       
       > Pasta ist Nationalheiligtum in Italien. Umso emotionaler diskutiert das
       > Land nun über eine alte Zubereitungsart. Nobelpreisträger inklusive.
       
 (IMG) Bild: Möglicherweise mit Deckel gekocht: Sophia Loren serviert Pasta
       
       Am wichtigsten ist der Deckel. Nein, diesmal nicht der für die Gaspreise
       oder wenn, dann nur indirekt. Es geht nicht um schnöde Wärme, es geht um
       ein Kulturgut: die Pasta, zu der wir, als wir noch Barbaren waren, Nudeln
       sagten.
       
       In Italien soll die Pasta al dente sein, also nicht zwischen Zunge und
       Gaumen breiartig zerdrückbar, sondern zum herzhaft Reinbeißen. Es gibt
       Leute, die bei Blindverkostungen die Marke erraten oder zumindest
       überzeugend so tun. Wie die Teigware aber auch genossen werden soll –
       gekocht werden muss sie, und dazu braucht es Energie, die dem noch weithin
       üblichen italienischen Herd in Form von Gas entspringt; und das ist
       bekanntlich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und den Folgen
       teuer. Für den Winter rechnen Experten in Italien mit einer Verfünffachung
       der Kosten.
       
       Um diesen Preisanstieg zu drosseln, macht nun ein altes Rezept zum
       Pastakochen die Runde; eines, das populär war, als man nicht einfach den
       Hahn aufdrehte, sondern als für Hitze am Herd noch mühsam Brennmaterial
       gesammelt und angefacht werden musste.
       
       Die Diskussion darüber ist so entflammt, dass sich nun sogar der
       letztjährige und grundsympathische [1][Physiknobelpreisträger Giorgio
       Parisi] eingeschaltet hat. [2][Auf Facebook bestätigte er die Validität der
       Methode], vorausgesetzt die Regeln würden akribisch beachtet: „Das
       Wichtigste ist, den DECKEL immer draufzulassen, die Hitze verdampft sonst
       blitzschnell.“
       
       ## Und hier die Anleitung
       
       Und das ist, wie es sich für einen Nobelpreisträger gehört, auch schon die
       Zauberformel: Pastawasser mit Deckel zum Kochen bringen (spart Energie, 1);
       salzen und Pasta rein, zwei Minuten kochen lassen; Deckel drauf, Flamme
       aus- oder auf Minimum runterschalten (spart Energie, 2); ca. zwei Minuten
       länger drinlassen als die Kochanweisung besagt; Pasta kosten, abschütten,
       anschließend mit dem Sugo in den Topf zurückgeben und kurz zusammen
       durchziehen lassen; pronto. Wer es sich ansehen will, kann auch beim
       englisch untertitelten Y[3][outube-Kanal des Chemikers Dario Bressanini
       reinschauen.] Bis zu 47 Prozent betrage die Energieersparnis bei dieser
       sehr aktuellen, aber eben nicht neuen Methode, das Video ist von 2017.
       
       Kritik gibt es natürlich auch, wenn ein Nationalheiligtum auf dem Spiel
       steht. [4][Starkoch Antonello Colonna stellt bei der Reduktionstheorie
       Parisis eine „texture gommosa“], also eine gummiartige Textur als Ergebnis
       fest und empfiehlt die „cottura a freddo“ – „kaltes Kochen“. Dabei werden
       ein Liter Wasser und 100 Gramm Pasta zusammen erhitzt, das Wasser wird dann
       peu a peu mit der Schöpfkelle entnommen. Muss man mal ausprobieren. Die
       simple Pasta al burro, vor allem aber [5][die unschlagbar leckeren
       Safranspaghetti], waren immer schon „One pot“-Gerichte, die Menge des zu
       erhitzenden Wassers ist auch hier geringer, weil die Pasta alles aufsaugen
       soll.
       
       Ganz so harmlos-inspirierend wie bisher dargestellt ist die ganze Sache
       aber leider nicht. Die prorussische Querfront ist in Italien eine echte
       Macht und kommentiert die Gassparbemühungen hämisch-aggressiv. Sie ist in
       allen politischen Lagern zu finden, von alt- und jungstalinistischen
       Sowjetnostalgikern über die Fünf-Sterne-Bewegung bis hin zu Putins besten
       Freunden Silvio Berlusconi und Matteo Salvini, [6][dessen Lega aus Russland
       finanziell unterstützt worden sein soll.]
       
       Eine massive Desinformationskampagne hat eine schwer nachvollziehbare
       prorussische Antikriegswelle ausgelöst, ganz als ob Putins Regime das Opfer
       und nicht der Täter wäre. Italienische Intellektuelle schauen [7][geschockt
       auf ihr Land], in dem Demagogen im Fernsehen oft unwidersprochen Lügen
       verbreiten können. Insofern ist die Pastadebatte vielleicht das Äquivalent
       zum hiesigen Waschlappengate: mit dem Unterschied, dass das Ergebnis
       deutlich appetitlicher ist – Italien halt dann doch noch.
       
       5 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nobelpreis-fuer-Physik/!5801564
 (DIR) [2] https://www.facebook.com/giorgio.parisi
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=_jetYnD_FrE
 (DIR) [4] https://roma.repubblica.it/cronaca/2022/09/05/news/gli_spaghetti_a_fuoco_spento_escono_gommosi_lo_chef_stellato_colonna_boccia_in_cucina_il_nobel_parisi-364223344/
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=kHh-9Dgh338
 (DIR) [6] /Salvinis-Lega-Partei-unter-Verdacht/!5611606
 (DIR) [7] https://www.breviarium.eu/2022/05/02/francesca-melandri-25-aprile-2022-propaganda-putin/
       
       ## AUTOREN
       
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